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ausführlich erzählen, wie der Schändliche langsam,
immer mehr und mehr ein tödtliches Gift in meine
Brust senkte. Er malte mir aus, welche Nolle ich spielen
werde, wenn ich Fürstin sei, er schwor mir mit den
heiligsten Eiden, daß er mich zu seiner Gattin machen
werde, er verblendete mich, ich glaubte ihm, weil ich sa
nicht ahnte, daß ein Mensch so schlecht sein tonne —
ich vergaß Alles, Mann und Kind, ich war willenlos
geworden unter dein Einflüsse des Ehrlosen — ich floh
niit ihm!"
Sie ließ sür kurze Zeit den Kops sinken, dann
trank sie einige Schluck Wein und rechte ihre Kräfte
wieder zusammen.
„Es war kein Freudenrausch, in dem ich mich befand,
es war nur eine bange, unglückselige Täuschung. Als
ich endlich entdeckte, wie schändlich ich betrogen war,
band mich meine Schmach und mein Elend an den
Prinzen. Sie begreifen vielleicht nicht, weshalb ich ihn
nicht verlassen habe, wenn ich auch völlig verlassen und
hilflos dastand, so wäre es doch immer ehrenvoller ge-
wesen, zu betteln als bei ihm zu bleiben. Sie ver-
gessen, daß auch ich eine Andere geworden war an der
Seite dieses Mannes, der mich von einem Strudel des
Bergnügens in den anderen führte und mit zäher Be-
rechnung Alles ansbot, nm das Gefühl der Schmach in
mir zu tödten. Ich besaß dies Gefühl nicht mehr.
Ich liebte den Prinzen nicht, allein ich konnte doch an
seiner Seite glänzen, und ohne ihn glaubte ich verloren
zu sein. So lebten wir Jahre lang mit einander in
verschiedenen Ländern. Der Prinz liebte mich nicht mehr,
er war meiner überdrüßig geworden und behandelte
mich mit empörender Rohheit. Machte ich ihm einen
Borwnrf, so lachte er spöttisch darüber — das Gefühl
der Ehre war ja längst in seiner Brust erstorben. Um
die Rene, die in mir zehrte, zu verscheuchen, suchte ich
Vergnügungen und Zerstreuungen aus, der Prinz gab
mir wenigstens die Mittel; er besaß bereits eine andere
Geliebte, das Gefühl der Eifersucht war mir fremd, da
ich ihn nicht liebte. — Der Prinz besaß einen Diener,
der noch schlechter war als er selbst, der in alle seine
Schlechtigkeiten eingeweiht war und ihn darin unter-
stützte. Er hatte auch den Brief geschrieben, durch den
der Prinz mich einst bethört hatte, dieser Mensch, den
ich verabscheute, suchte mir, als sein Herr mich vernach-
lässigte, seine Liebe aufzudrängen; ich wies ihn zurück,
er wurde dreister und dreister. Ich suchte nun beim
Prinzen Schuß, er crwiederte mir höhnend, sür seinen
Diener sei ich immerhin noch gut genug und er rathe
mir, die Liebe des Mannes nicht znrückzuweisen; es gab
einen heftigen Auftritt und ich verließ das Haus des
Prinzen. Allein, ohne alle Mittel, stand ich jetzt in
dem fremden Lande da. Zu arbeiten hatte ich nicht
gelernt, mich an meine Verwandten zu wenden, wagte
ich nicht. Jetzt erst fühlte ich die ganze Größe meiner
Schmach. Ich versuchte Unterricht zu geben, es gelang
mir nicht, ich sank tiefer und tiefer, ich wurde eine
Bettlerin. Der Prinz ließ mir nie die geringste
Unterstützung wieder zukommen, sein Diener ver-
suchte noch mehrere Male, meine Liebe zu erwerben,
ich wies ihn mit Entrüstung und Abscheu zurück.
Jahre lang habe ich als Bettlerin in Italien gelebt,
der Prinz hatte das Land verlassen. Von meinem
Manne und meinem Kinde hatte ich seit Jahren nichts
gehört, ich wagte nicht nach ihnen zu forschen. Mein
Geschick erschien mir als eine gerechte Strafe, die ich
reichlich verdient hatte, unbekannt als Bettlerin wollte
ich sterben. Da trat ich vor einigen Monaten in Florenz
an einen Wagen, in dem ein Herr und eine Dame saß,
heran, um eine Gabe bittend. Erst als ich bereits die
Hand ausgestreckt hatte, erkannte ich den Herrn — es
war mein Mann. Wie gelähmt fuhr ich zurück, der
Wagen rollte weiter. Was ich an diesem Tage durch-
lebt habe, vermag ich Ihnen nicht zu beschreiben. Das
blühende, schöne Mädchen war meine Tochter rind ich
eine Verworfene und Bettlerin. Ich eilte auf eine
Brücke, um mich in den Fluß zu stürzen, es fehlte mir
der Muth. Vor mir stand immer das Bild meines
Mannes. Wie weiß sein Haar geworden war, der
Kummer hatte es gebleicht, und ich — ich hatte dies
Alles verschuldet! Ich war sehr — sehr elend! Durch
Zufall erfuhr ich an demselben Tage, daß der Prinz
mit einer neuen Geliebten, die er, wie einst mich, für
seine Gattin ausgab, hier lebte, das Verlangen, mich
an ihm, dem Schändlichen, zu rächen, erfaßte mich mit
unbezwinglicher Gewalt, noch an demselben Tage ver-
ließ ich Florenz, und langsam, langsam habe ich mich
bis hieher dnrchgebettelt. Ich wollte vor ihn hintreten
und ihm all seine Schändlichkeiten in das Gedächtniß
zurückrufen, ich wollte ihm öffentlich die Maske ab-
reißen — ich wollte — — ich weiß nicht mehr, mit
welchen Plänen der Rache mein kranker Kopf sich trug
— es hat mich ein Anderer an ihm gerächt!"
Sie sank auf das Bett zurück.
Erschüttert hatte Kurt ihr zugehört. Hier gab es
kein Wort der Beruhigung; was die langen Jahre nicht
zu beruhigen vermocht hatten, ließ sich nicht durch Worte
verwischen. Es war eine Schuldige, die vor ihm lag,
und doch erschien ihre Schuld geringer, nun sie ihm

Das Buch für Alle.
Alles mitgetheilt hatte. Und wie schwer hatte sie ge-
büßt !
Ihre Kräfte schienen mehr und mehr abznnehmen,
allein die Unruhe ihres Auges verrieth, daß sie dem
Tode noch entgegeukämpfte.
„Wo ist meine Tochter?" fragte sie nach einiger Zeit
mit matter Stimme.
„Sie lebt in meinem Hanse, ihr Vater hat sie mir
anvertrant."
„Wenn ich sie noch einmal sehen könnte," fuhr die
Kranke halb zu sich selbst fort.
„Sie war gesteru hier — hier vor diesem kleinen
Hanse schritt sie mit meinem Sohne ans und ab —
hier hat sie sich gestern mit ihm verlobt. Wenn sie
gewußt hätte, daß ihre Mutter krank und elend in
diesem Zimmer lag!" rief Kurt.
Die Kranke zitterte heftig erregt.
„Kennt sie die Schmach ihrer Mutter?" fragte sie.
„Nein, sie hat keine Ahnung davon," gab Kurt zur
Antwort. „Sie weiß nur, daß ihre Mutter gestorben
ist, als sie selbst noch ein kleines Kind gewesen ist."
„Lassen Sie sie in dem Glauben, ich bin ja von
der Stunde an, in der ich sie verließ, todt für sie ge-
wesen," fuhr die Unglückliche erregt fort. „Sagen Sie
ihr nie, wie tief — wie tief ihre Mutter gesunken ist."
„Sie wird es ans meinem Munde nie erfahren!"
versicherte Kurt.
„Wenn ich sie nur einmal — nur einmal noch
sehen könnte! Wie schön sie war, als ich sie flüchtig in
dem Wagen erblickte!"
„Es darf nicht sein!" rief Kurt. „Wenn eine Ah-
nung in ihr anfstiege!"
„Sie haben Recht, es darf nicht sein," wiederholte
die Unglückliche mit einem unsagbar schmerzlichen Tone
der Stimme. „Es darf nicht sein — ich bin ja todt
für sie. Aber ihr Bild möchte ich sehen."
„Ich werde es Ihnen heute noch bringen."
„Heute noch?" wiederholte die Kranke schmerzlich,
sie mochte fühlen, wie nahe ihr der Tod war. „Wie
hieß der Diener, den der Prinz hier bei sich hatte?"
fugte sie nach einiger Zeit hinzu.
„Schl obig."
„Ferdinand Schlobig!" rief die Kranke, sich erregt,
gewaltsam emporrichtend. „Das ist derselbe, der Schänd-
liche! O, er war noch schlechter als sein Herr."
„Er lebt nach dem Tode des Prinzen hier in der
Stadt," bemerkte Kurt.
„Hüten Sie sich vor ihm," fuhr die Frau fort.
„Er kennt mein Geschick, bewahren Sie mein armes
Kind vor ihm, denn schon aus Bosheit wird er ihr das
Geschick ihrer Mutter verrathen. Er ist ein Verbrecher
— wenn ich gegen ihn anftreten könnte — in Italien..."
Sie sank auf das Bett zurück, die Erinnerung an
diesen Menschen hatte sie zn gewaltig erregt. Kurt
reichte ihr etwas Wein, sie wies denselben mit schwacher
Bewegung des Kopfes zurück. Die Kräfte, die sie mit
aller Anstrengung znsammengerafft hatte, waren ge-
schwunden, der Tod ließ sich nicht länger verscheuchen.
Sie hatte ihn so oft herbeigewünscht, jetzt kam er. lind
ruhiger konnte sie ihm entgegensetzen, denn sie hatte ihr
Herz erleichtert, sie wußte, daß ihre Tochter glücklich
war und daß Den, der einst ihr Lebensglück vernichtet,
die Strafe erreicht hatte.
Sie lag regungslos da, nur ihr Athem wurde
schwerer und schwerer. Endlich zuckte es über ihr Ge-
sicht hin, sie versuchte, sich emporznrichten. „Mein Mann,
mein Mann!" rief sie, mehr vermochte sie nicht hervor-
zubringen, dann sank sie zurück, der Tod halte einem
unglücklichen Herzen Rnhe gebracht.
Erschüttert blieb Düringer neben der Todten sitzen.
Welche wunderbare Fügung des Geschickes. Die, welche
einst bethört und verführt ihren Mann verlassen hatte,
starb als Bettlerin auf dessen Besitzung! Endlich erhob
er sich, er mußte sich Gewißheit verschaffen, ob Nie-
mand ahnte, wer sie war. Er rief die Fran des
Gärtners.
„Hat die Unglückliche Ihnen nicht gesagt, wer sie
sei?" fragte er.
„Nein, ich mochte auch nicht danach fragen," gab
die Frau zur Antwort.
„Sie wissen auch nicht, woher sie ist?"
„Auch darüber hat sie kein Wort gesagt."
„Verschweigen Sie dem Fräulein und den Meinigen,
daß hier eine Unglückliche, eine Bettlerin gestorben ist,"
fuhr Kurt fort. „Der Tod hat für die meistcu Menschen
etwas Schauerliches und diesen Eindruck möchte ich
ihnen ersparen. Die Todte soll heute Abend in aller
Stille von hier sortgcbracht werden, ich werde der Be-
hörde die Anzeige erstatten und die nöthigen Vorkehrungen
zur Beerdigung treffen. Für die Mühe, die Sie mit
der armen Frau gehabt haben, werde ich Sie be-
lohnen."
Er kehrte Heini, tief bewegt von dem, was er soeben
erlebt hatte. Blochte die unglückliche Frau auch noch
so schuldig seiu, so hatte sie ihre Schuld doch schwer-
gebüßt. Wie leicht war der davon gekommen, den un-
bedingt die größte Schuld getroffen! Der Tod war ihm
so unerwartet gekommen, daß derselbe als eine Strafe

Htst 20.
nicht anzusehen war. Wie die Sterbende ihn geschildert,
hatte derselbe Schändlichkeit auf Schändlichkeit in seinem
Leben gehäuft, Mitleid rind Ehre waren ihm fremd ge-
wesen, das Glück Anderer hatte er in frevelhaftem lleber-
niiithe vernichtet, Rene über sein Leben hatte er nie
empfunden, und doch war sein Leichnam in einer Fürsten-
gruft beigefetzt, weil fürstliches Blut in feinen Adern
rann un^ fein Bruder ein Fürst war. Es erschien ihm
wie ein Hohn gegen die Gerechtigkeit.
Diesen Gedanken nachhängcnd schritt er durch den
Wald hin, als ihm unerwartet Schlobig entgegen trat.
Niemand hätte ihm ungelegener kommen können, als
dieser Mensch, den er jetzt noch mehr verachtete, als
früher. Er konnte ihm nicht ausweichen, schnell wollte
er deshalb an ihm vorüber gehen.
„Guten Tag, Herr Düringer," sprach Schlobig freund-
lich, indem er stehen blieb und vor ihn hintrat.
„Was wünschen Sie?" fragte Kurt ernst, kurz.
„Ihnen Glück wünschen zn der Verlobung Ihres
Herrn Sohnes mit Fräulein v. Salva," fuhr Schlobig
lächelnd fort, ohne sich durch Düringer's kurze Frage
einfchüchtern zn lassen. „Haha! Eine reiche Parthie!
Ich kannte den Herrn v. Salva nnd weiß, wie ver-
mögend er war."
„Woher wissen Sie, daß mein Sohn sich mit der
jungen Dame verlobt hat?" unterbrach ihn Kurt un-
willig.
„Haha! Ich habe es zufällig gehört."
„Von wem?"
Schlobig zuckte ausweichend mit der Achsel.
„Ist dies nicht gleichgiltig?" bemerkte er.
„Für mich nicht," fuhr Düringer fort. „Es liegt
mir daran, zn wissen, wer Ereignisse in meiner Familie,
die nur diese berühren, Anderen erzählt."
„Haha! Ich könnte ja heute Morgen zufällig gesehen
haben, wie Ihr Herr Sohn mit dem Fräulein v. Salva
in Ihrem Parke Arm in Arm spazieren gingen!" ent-
gegnete Schlobig mit verschmitztem Lächeln.
„Und was führt Sie in die Nähe meines Parkes?"
rief Kurt unwillig.
„Branche ich deshalb Rechenschaft zu geben? Hat
nicht ein Jeder das Recht, hier im Walde spazieren zu
gehen. Kann mir Jemand wehren, einen Blick in den
Park zu werfen?"
Düringer Preßte die Lippen auf einander. Es lag
in dem Gesichte des Mannes, in dem Tone seiner
Stimme etwas Höhnendes und Herausforderndes.
„Sie berufen sich ans Ihr Recht," crwiederte er.
„Nun, auch ich habe das Recht, hier durch den Wald
zu gehen, ohne von Anderen belästigt zu werden!"
Er wollte weiter gehen, Schlobig vertrat ihm den
Weg.
„Halt, Herr Düringer!" ries er. „Ihr Hochmuth
ist mir gegenüber nicht mehr angebracht! Einst konnte
Ihr Vater mich ans seiner Fabrik verweisen, jetzt stehe
ich anders da. Mögen Sie viel reicher sein, als ich es
bin — ich habe auf das Geld nie Werth gelegt. — Haha!
Kennen Sie denn das Geschick der Mutter des Fräulein
v. Salva?"
Düringer zuckte betroffen zusammen. Dieser Mensch
hatte die Dreistigkeit, ihn an etwas zu erinnern, bei dem
ein großer Theil der Schuld aus ihn fiel.
„Ich kenne es," gab er zur Antwort, „und zwar
genauer, als Ihnen vielleicht lieb ist."
„Mir?" fragte Schlobig.
„Ja, Ihnen, denn ich weiß, wie sehr Sie an dem
Geschicke der Unglücklichen betheiligt sind."
Schlobig's Auge schloß sich halb und fuhr forschend
über Düringer's Gesicht hin. Es gab in seiner Ver-
gangenheit freilich Manches, was für die Deffentlichkeit
nicht taugte — Thorheit! Wer konnte dies wissen. Der
Prinz hatte sicherlich nicht davon gesprochen, da er stets
nnr in dein Auftrage desselben gehandelt hatte und ge-
fährliche Sachen berührt Niemand gern. Er lachte
spöttisch auf.
„Und von wem wollten Sie dies wissen? Ich habe
nichts zil fürchten nnd lasse mich am wenigsten durch
Drohnngen einschüchtern. Es ist indessen nicht klug
von Ihnen, Herr Düringer, daß Sie mir drohen! Ich
weiß, daß der Herr v. Salva seine Tochter in dem
Glauben erhalten hat, daß ihre Mutter längst todt sei;
'wer will mich hindern, öffentlich zu erzählen, daß sie
nicht todt ist, daß sie einst ihren Mann verlassen, mit
dem Prinzen Jahre lang ein lustiges Leben geführt hat
und jetzt in Italien als Bettlerin lebt — haha! ich
glaube, dies würde Manchen sehr interessiren!"
„Ich werde Sie hindern!" rief Düringer auffahrend,
da er nicht länger im Stande war, seinen Groll zu be-
herrschen.
„Und durch welches Mittel?" warf Schlobig ein.
Düringer schwieg, er fühlte, daß er der Bosheit
dieses Mannes hilflos gegenüber stand.
„Herr Düringer," fuhr Schlobig mit ruhigerem
Tone nnd einlenkend fort, „ich glaube, Sie kennen mich
hinreichend nnd Nüssen, daß durch Gewalt nnd Droh-
ungen bei mir nicht das Geringste zn erreichen ist, da
ich gottlob frei von Furcht bin, einem friedlichen Mittel
werde ich vielleicht Gehör schenken. Mein Schweigen
 
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