Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
482

geschehen war, hatte die Zeit längst gewildert und zum
Theil vernascht; ich hatte meine beiden Kinder, von
denen das Elend mich getrennt, für immer anfgegeben,
nnd wenn ich an sie zurückdachte, war es mir, als ob
sie vor langen Jahren gestorben wären — das Alles
ist anders geworden. Ich lebe jetzt in einem Zwiespalt
mit mir selbst, mein Herz frent sich nnd bangt zugleich,
nnd dies Bangen wächst niit jedem Tage, es raubt mir
die Ruhe."
Ueber Schlobig's Gesicht zuckte eine freudige Genug--
thuung, denn eine bessere Wirkung feiner Mittheilnng
Hütte er nicht wünschen können. Die Angst sollte die
Frau zu dem treiben, was sie aus freiem Entschlüsse nie
gethan haben wurde. Sie mußte die Seinige werden,
um sein Schweigen zu erkaufen und das Glück ihrer
Kinder zu sichern.
„Ich kann Ihnen noch eine andere freudige Nach-- !
richt mittheilen" sprach er. „Düringer's, oder richtiger >
Ihr Sohn hat sich mit dem reichsten Mädchen in der
ganzen Stadt verlobt."
„Mit wem?" fragte Christine unwillkürlich.
„Mit der Tochter des Herrn v. Salva. Ihr Vater
ist todt und hat ein außerordentlich großes Vermögen
hinterlassen und sie ist die alleinige Erbin. Ich sah
gestern Ihren Sohn in Düringer's Parke mit ihr spa-
zieren gehen und las sein Glück aus seinen Augen. Ja,
er soll sehr glücklich sein und sie sehr lieben und nur
durch diese Liebe ist er so schnell wieder genesen. Er
hat auch Ursache, sich glücklich zu fühlen, denn Alle,
welche seine Braut, die sehr hübsch ist, kennen, beneiden
ihn. Die Verlobung hat sogar Aufsehen gemacht, der
Herr v. Salva war ein stolzer Mann, seine Tochter soll
auch stolz sein und man ist erstaunt, daß sie sich ent-
schlossen hat, einem Bürgerlichen die Hand zu reichen.
Düringer's Sohn ist freilich auch vermögend, haha, wenn
sie indessen erführe, daß ihr Verlobter der Sohn eines
einfachen Fabrikarbeiters nnd eines Verbrechers ist, dann
würde sie sicherlich ihre Hand znrückziehen, denn ich weiß,
wie tief der Stolz im adeligen Blute wurzelt, er ist
stärker als alle Liebe!"
„Seien Sie still!" bat Christine, nach Athem ringend.
Angstvoll blickte ihr Auge auf den Mann, der kein Veit-
leid kannte.
„Sie sind besorgt, daß ich es ihm verrathen könnte,"
fuhr Schlobig fort.
Christine schwieg, es lag in diesem Schweigen ein
Bejahen der Frage.
„Sie schweigen," bemerkte Schlobig, während seine
kleinen Augen zuckten. „Sie wissen, wie viel auf dem
Spiele steht, aber Sie habeu auch ein Mittel in der
Hand, mein Schweigen zu erkaufen."
„Was wollen Sie haben?" fragte die Frau schnell.
„Sie selbst, Christine, Sie selbst! Werden Sie die
Meinige und meine Lippen verrathen nie ein Wort!"
Christine streckte abwehrend die Hand aus, denn der
Gedanke, dieses Mannes Frau zu werden, war ihr so
entsetzlich, daß sie kein Wort der Erwiederung fand.
„Werden Sie die Meine," fuhr Schlobig fort; er
stand auf und näherte sich ihr. „Sie sollen es nie be-
reuen , ich will Alles aufbieten, Ihr Glück zu be-
gründen!"
„Nie — nie!" stieß die Geängstigte mit gepreßter
Stimme hervor.
„Sie wollen nicht?" fuhr Schlobig auf, und die
Maske der Freundlichkeit fiel von seinem Gesichte. „Und
wenn ich Ihnen nun die Wahl lasse, entweder die Mei-
nige zu werden oder Alles durch mich Verratheu und
das Glück Ihres Sohnes — ja Ihrer Kinder für immer
vernichtet zu sehen?"
„Allmächtiger Gott!" rief die Fran und erhob flehend
die Arme. „Haben Sie Mitleid mit mir!"
„Haben Sie es mit mir?" entgegnete Schlobig. „Ich
liebe Sie seit langen Jahren, mein Herz gehört Ihnen
und doch stoßen Sie es zurück! Christine, Sie müssen
die Meinige werden!"
„Ich kann es nicht — unmöglich — nie!" rief die
Fran aufspringend.
Sie wollte aus dem Zimmer eiten, allein Schlobig
erfaßte ihre Hand und hielt sie gewaltsam znrück. Sein
Ange glühte. Es war nicht allein das Scheitern eines
Planes, sondern Leidenschaft, die ihn erregte. Er hatte
die Frau nie so hübsch gefunden, wie an diesem Tage,
und er sollte ihr entsagen, weil sie durch thörichten
Leichtsinn sich leiten ließ? War er denn nicht im Stande,
den schwachen Willen eines Weibes zu brechen?
„Sie müssen mein werden!" sagte er mit leiser, halb
heiserer Stimme. „Sie wissen, daß ich vor nichts zurück-
schrecke, wenn ich gereizt werde. Christine, jetzt Ihre
Antwort!"
Er hielt ihre Hand noch immer fest.
„Nie — lieber will ich sterben!" rief die Bedrängte
und sank mit einem Aufschrei der Angst halb ohn-
mächtig nieder.
„So stirb!" murmelte Schlobig halblaut und beugte
sich über die Frau.
In diesem Angenblicke wurde die Thüre hastig auf-
gerifsen, Philipp stürmte herein. Er hatte den Rns
seiner Mutter vernommen, er sah sie auf der Erde liegen

D a s V u ch f ü r A l l e.
und den Mann, gegen den er von Anfang an die größte
Abneigung empfunden hatte, über sie gebeugt dastehen.
Mit einein Sprunge war er bei ihm, erfaßte ihn mit
überlegener Kraft nnd schleuderte ihn zurück.
Der Zorn entstellte Schlobig's Gesicht, er kannte
keine Beherrschung mehr.
„Bube, Du wagst es, mich anzurühren!" rief er, sich
emporrichtend.
„Fort aus diesem Zimmer!" rief Philipp.
„Haha! Du willst mir befehlen, Du, der Du in
meiner Hand bist!" entgegnete Schlobig höhnend.
„Fort!" wiederholte Philipp, sich nicht mehr
kennend.
„Haha! Willst Du vielleicht auch zum Verbrecher
werden, wie Dein Vater?" höhnte Schlobig.
„Allmächtiger Gott!" rief Christine, das Gesicht mit
beiden Händen bedeckend.
Philipp verstand den Sinn dieser Worte nicht, allein
er hatte den Ausruf seiner Mutter gehört, und Schlobig
erfassend, riß er die Thüre auf und stieß ihn so heftig
ans dem Hanfe, daß derselbe vor demselben auf die Erde
niederschlug.
Schlobig raffte sich wieder auf und verließ mit lauter
Drohung hinkend die Wassermühle.
Philipp kehrte zu seiner Mutter zurück, die sich empor-
gerichtet hatte und auf einen Stuhl gesunken war.
„Philipp — Philipp, was hast Du gethan?" rief sie.
„Einen Frechen aus dem Hanse geworfen, damit er
nie znrückkehrt!"
„O, o, er wird sich entsetzlich rächen," stöhnte die
Frau.
„Ich fi'wchte ihn nicht!" rief Philipp nnd im Voll-
gefühle seiner jugendlichen Kraft richtete er sich hoch auf.
Siebeuzehntes Kapitel.
Er ist es.
Christine hatte sich, als Schlobig die Wassermühle
verlassen, in ihrem Zimmer eingeschlossen, um ungehindert
ihre Thränen fließen lassen zu können. Sie sah ihr
Glück durch den bedroht, der dasselbe schon einmal vor
langen Jahren vernichtet hatte. Vergebens sann sie auf
einen Ausweg. Das Opfer, welches Schlobig von
ihr verlangte, hatte sie ihren Kindern nicht bringen
können, denn sie empfand gegen den Mann einen un-
besiegbaren Widerwillen. Und wenn sie es wirklich ge-
bracht, wenn sie durch seine Drohung sich hätte ein-
schüchtern lassen, würde sie dadurch vielleicht nicht noch
trübere Stunden für die Ihrigen heraufbeschworen haben?
An Schlobig's Liebe glaubte sie nicht, weil sie ihn
eines solchen Gefühles nicht für fähig hielt. Ganz richtig
hatte sie erkannt, daß es ihm nur darum zu thuu ge-
weseu war, in den Besitz der Wassermühle zu kommen,
nnd daß er, wenn er dies Ziel erreicht hätte, das Ge-
heimnis; benutzt haben würde, um sie zu beherrschen und
auszubenten.
An einer Hoffnung klammerte sie sich noch fest. Noch
hatte sie sich nicht üöerzeugt, ob Düringer's Sohn ihr
Kind sei. Konnte Schlobig sie nicht getäuscht habeu,
um eineu Zwang auszuüben, nnd wenn Düringer's
Sohn wirklich mit Rode Aehnlichkeit hatte, konnte dies
nicht ein Spiel des Zufalls sein? Zwischen Hoffnung
und Zweifel schwankte sie hin und her.
Sie hatte den Ihrigen gesagt, daß sie allein zu sein
wünsche, als aber der Abend hereinbrach, Pochte es leise
an die Thüre. Sie überhörte es anfangs, als es in-
dessen lauter pochte und sie auf ihre Frage Philipps
Summe erkannte, öffnete sie die Thüre.
Philipp trat ein, er war sichtbar erregt.
„Mutter," sprach er, und seine Stimme zitterte leise,
„gib mir Aufklärung über die Worte, welche Schlobig
heute mir zugerufeu hat."
Christine hatte diese Bitte erwartet und doch zuckte
sie zusammen, als dieselbe an sie gerichtet wurde. Konnte
sie dies Verlangen zurückweisen? Hatte sie Schlobig's
Worte durch ihren Ausruf nicht selbst bestätigt?
„Nicht heute," entgegnete sie.
„Doch, heute, denn jede Stunde erhöht meine Auf-
regung," fuhr Philipp fort. „Es ist durch die Worte
eine Jugenderinneruug in mir wiedergcweckt, die ich fast
gänzlich vergessen hatte, von der ich nicht wußte, ob sie
ein Traum oder Wirklichkeit war. Mir ist, als ob mir
als Kind schon einmal zugernfen worden sei, mein Vater
sei ein Verbrecher und als ob ich mich dann weinend zu
Dir geflüchtet habe."
Christine erinnerte sich des Falles noch zu genau,
war derselbe doch die Veranlassung geworden, daß sie
das Dorf mit ihren Kindern verlassen hatte.
„Ist dies nur ein Traum oder war cs Wirklichkeit?"
fragte Philipp.
„Weshalb legst Du auf die Worte des Maunes
solchen Werth?" bemerkte Christine ausweichend.
„Weil sie an dem gerüttelt haben, was ich rein
nnd heilig in mir bewahren möchte, die Erinnerung an
meinen Vater."
„Laß sie für Dich eine heilige bleiben."
„Mutter, Dll weichst meiner Frage ans. War mein
Vater ein Verbrecher?"

Heft 21
„Nein," entgegnete Christine nnd blickte den Sohn ent-
schieden an. Sie sah ein, daß sie ihm nicht länger ver-
schweigen durfte, was sie ihm gerne für immer ge-
heim gehalten Hütte. „Er war kein Verbrecher. Mag
eine unglückselige und unüberlegte That viel Unheil über
ihn und uns gebracht haben, ein Verbrecher war Dein
Vater nicht. Nur Der wagt dies zu behaupten, der ihn
selbst zu der That verleitet hat, auf den der größte Theil
der Schuld fällt."
Sie hielt einen Augenblick inne, um Kraft zu schöpfeu,
denn es wurde ihr unsagbar schwer, das, was ihr so
diele bittere Stunden bereitet hatte, in ihrer Erinnerung
vollständig wieder wach zu rufen.
„Setze Dich," sprach sie. „Ich will Dir Alles mit-
theiten, dann kannst Du selbst urtheilen. Ich habe
Alles aufgeboten, nm es Dir und Bertha geheim zu
halten, ihr solltet ohne trübe Erinnerung an euren
Vater denken können, es ist mir nicht gelungen."
Starr vor sich hinblickend erzählte sie nun Alles,
wie es einst gewesen war.
„Der Jähzorn hat Deinen Vater zu der That ver-
leitet," schloß sie. „Sein Herz war gut, allein in dein
Zorne kannte er sich nicht und war noch weniger im
Stande, die Folgen seiner Handlung zu berechnen. Den
Fabrikherrn zu erschlagen ist nimmermehr seine Absicht
gewesen. Es würde nie dahin gekommen sein, wenn fein
leicht erregbarer Sinn nicht von Anderen noch mehr gereizt
worden wäre, und diese Schuld trifft Schlobig am meisten.
Er nannte sich einen Freund Deines Vaters, obschon er-
es nie gewesen ist, er übte einen großen Einfluß auf ihn
aus, weil er klüger nnd berechnender war. Er haßte den
Fabrikherrn, der ihn aus seiner Fabrik sortgewiesen,
weil er zur Arbeit keine Lust hatte und unzuverlässig
war; er wollte sich an dem ehrenwerthen Manne rächen,
besaß indessen nicht den Muth, ihn: selbst entgegen zu
treten; deshalb hetzte er die Arbeiter und vor Allen
Deinen Vater gegen ihren Brodherrn auf. Ich habe
Deinen Vater vor diestm Menschen gewarnt, ich habe
ihn gebeten, nicht mit ihm zu verkehren, der Schändliche
übte jedoch eine Macht über ihn aus, der er sich nicht ent-
ziehen konnte. Dein Vater hat seine Schuld nut seinem
Leben gebüßt, dieselbe war dadurch gesühnt, so weit sie
sich sühnen ließ, ich habe ihm längst, längst vergeben,
obschon er für mich ein großes Elend gebracht hatte."
Philipp war erregt aufgesprungen und hatte die
Hand seiner Mutter erfaßt, in deren Augen die trüben
Erinnerungen Thränen gedrängt hatten. Seine Brust
athmete tief. War auch sein Vater kein gemeiner Ver-
brecher gewesen, so konnte er doch nicht so schnell über-
winden, daß derselbe seinen Arbeitgeber erschlagen und
sich selbst das Leben genommen hatte.
Sein Groll richtete sich zunächst gegen Schlobig.
„Der Himmel gebe, daß dieser Mensch die Wasser-
mühle nicht wieder betritt!" rief er.
„Er wird es nicht thnn," entgegnete Christine.
„Philipp, Du kennst jetzt das Geschick Deines Vaters,
laß es Dir zur Warnung dienen und lerne Dich selbst
in der heftigsten Aufregung zu beherrschen."
„Ich werde es thuu, allein der Mensch soll meinen
Vater nicht zum zweiten Male einen Verbrecher nennen,
ich werde ihn zur Verantwortung ziehen, wenn er es zu
thuu wagt. Ich habe mich in seinem Charakter nicht
geirrt. Schon als ich ihn zum ersten Male sah, er-
faßte mich Abneigung gegen ihn, denn aus seinen Augen
leuchtet Tücke und ans seinem Lächeln spricht Falschheit.
Ich begriff Dich nicht, daß Du so freundlich gegen ihn
warst."
„Jetzt wirst Du es begreifen," fuhr Christine fort.
„Ich wollte Alles vermeiden, um ihn zn erzürnen, es
ist mir doch nicht gelungen. Jetzt wird er es Anderen
erzählen nnd ich zittere bei dem Gedanken, daß es dann
auch Deine Schwester erfahren wird."
„Und Käthe und Robert?" warf Philipp ein. „Wer-
den sie uns dann noch in gleicher Weise lieben?"
„Ja, denn kann euch ein Vorwurf treffen? Hat
euer Stiefvater je mit einem Worte sich über euern Vater-
unwillig ausgesprochen?"
„Er wußte es?" rief der Sohn.
„Plan hatte es ihm erzählt, weil man verhindern
wollte, daß er mich heirathe, denn ich war arm; da
reiste er heimlich nach dem Dorfe, in dem einst Alles
geschehen war, ließ sich dort Alles berichten, nnd als er
zurückkam, reichte er mir die Hand. Auch er konnte
leicht heftig werden, allein sein Herz war edel, und
nimmermehr Hütte er sich verleiten lassen, euch aus der
That eures Vaters einen Vorwurf zu machen. Würde
ich so glücklich mit ihm gelebt haben, wenn ich ihn nicht
Hütte in jeder Beziehung hochachten können? Ihr wäret
nur seine Stiefkinder und doch hätte euer rechter Vater-
nicht besser gegen euch sein können."
Philipp nickte zustimmend.
„Wir haben ihn als unseren Vater geliebt," be-
merkte er.
„Ja, ja," fuhr die Frau fort. „Folge in Allem
seinem Beispiele. Nun laß mich wieder allein. Bertha
und Käthe werden Dich fragen, weshalb ich mich ab-
schließe, sage ihnen, ich sei durch die Aufregung sehr-
angegriffen, mein Kopf schmerze — er schmerzt ja in
 
Annotationen