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sinnigen zu Mnthe fein muß — ich war krank, geistes-
krank und die ganze Krankheit warf sich in eine Beule,
ein Geschwür, in dies Verlangen nach Rache. Als die
Beiden, die ich abgesandt hatte, diesen Zustand wahr-
nahmen — ich sprach ihn laut und drohend genug ans
— warnten sie mich. Sie ließen mich voranssehen,
daß, wenn ich Schritte thue, die Spesser lästig würden,
er Mittel habe, mich durch die Onästnr unschädlich
machen zu lassen; bewacht und beobachtet, ließen sie
mich ahnen, war ich ohnehin schon!
Als sie gegangen waren, hätte ich weinen können
vor unmüchtigem Zorn. Und dann, dann kam ein Zu-
stand von Apathie über mich, in welchem ich die Selbst-
vernichtung als das ganz natürliche und selbstverständ-
liche Ende meines tragischen Schicksals, meiner Lage, in
welcher sich eben gar nicht weiter leben ließ, betrachtete.
Ich saß brütend über diesem Gedanken, bis etwas wie
ein Ermannen der Lebenskraft sich in mir geltend machte
bei dem Gedanken an Bertha — ich wollte, daß wenig-
stens zwischen ihr und mir Klarheit werde, von ihr
wollte ich Auflösung der Räthscl, die Derschan's Mit-
theilungen enthalten hatten; sie sollte auch, wenn sie es
anders noch nicht wußte, erfahren, was ich für sie ge-
than und weshalb ich es gethan — und dann, dann sollte sie
später einmal, wenn ich aus dem Leben geschieden, meine
Rechtfertigung übernehmen können — auch bei Hermine!
Ich begann also endlich mich aufznraffen zu einem
Briefe an Bertha. Als ich eine Seite geschrieben, klopfte
es an meine Thüre und Derschan trat rasch und lebhaft
herein.
Er warf sich auf einen Stuhl und zog einen laugen
vielblätterigm Brief aus seiner Brusttasche hervor.
„Ich komme mit einer gewissen Beschämung, oder-
besser nut einem gewissen Unwillen über mich selbst zu
Ihnen, Herr Merk," sagte er. „Es ist Ihnen großes
Unrecht geschehen, ich erfahre es eben, bin auch überzeugt
davon, ich will trotz Allem, was man noch einwenden
könnte, nicht mehr daran zweifeln, Merk! Nicht wahr,
Sie, Sw haben nichts geahnt von — jener Katastrophe in
Ihrem väterlichen Hanse, in der der Vater Hermine
Branco's den Tod fand? Ihnen war das Geschehene
völlig unbekannt?"
„Ich habe Ihnen das erklärt, als Sie mir von dem
Auffinden eines Erschlagenen, meuchlerisch Gemordeten
sprachen —"
„Und ich habe es Ihnen nicht geglaubt," rief Derschan
aus, „habe auf Ihr Reden wenig geachtet, fo fehr stand
ich unter dem Einfluß der erschreckenden Thatsache und
des Lichtes, in dem sie mir gezeigt war — es ist das
mein Theil an denn Unrecht, das Ihnen geschehen ist,
und das ich wieder gut machen möchte, wie ich nur kann!"
„Was haben Sie da — welchen Brief?" sagte ich
mit stockendem Athem.
„Einen Brief aus Bellersheim — vor einer Stunde
erhielt ich ihn — er gibt uns die unvermuthetstcn Auf-
schlüsse, Aufschlüsse, die wir Ihrer Schwester verdanken
— lesen Sie ihn — Sie können ihn lesen von Anfang
bis zu Ende."
In der That, der Brief, den ich hastig durchflog,
und dann, mich zu Fassung und Sammlung zwingend,
wieder las, Ihr Brief, Baron, gab Licht — Licht ge-
nug, um einem Menschen, der an mir just nicht zwei-
feln wollte, die Ueberzeugung von meiner Unschuld
zu gewähren.
„Was mich jetzt," sagte Derschan, als ich tief aus-
athmend den Brief hinlegte, „was mich jetzt drückt und
wahrhaft unglücklich macht, ist, daß ich nicht zu Fräu-
lein Branco eilen kann, daß sie zu krank ist, um das
Alles fassen und verstehen zu können, um damit er-
schüttert werden zu dürfen."
„Das ist das Bitterste von Allem," versetzte ich, um
dann mich abwendend fortzufahren: „Aber zu Einem
können Sie eilen und ihn damit erschüttern, wenn er
anders bei dem Gedanken an das, was er wider mich
gethan, erschüttert werden kann — Spesser können Sie
mit diesem Briefe die Nichtswürdigkeit feines Verdachtes
und feines Handelns zeigen!"
„Das will ich!" versetzte Derschau, „ich will es.
Ich will ihm zeigen, wie er mit feinem elenden Stecken-
pferd, dem Verbrechenspüren, sich zu Dummheiten und
mich zu verhängnißvollen Voreiligkeiten verführt hat;
ich werde in ihn dringen, daß er zurücknimmt, wider-
ruft, was er erklärt, gerichtlich denuncirt hat..."
„Seine Denunciation hat die gerichtliche Prozedur,
von der Baron Bellersheim schreibt, veranlaßt?"
„Gewiß, nur sie — er hat sie veranlaßt; als er
vor zwei Tagen plötzlich und unerwartet bei mir ein-
trat — kurze Zeit, nachdem Sie bei mir gewesen, machte
er mir die Mittheilung davon. Er hatte Sie mit Reise-
gepäck in einem Omnibus zur Eisenbahn fahren sehen.
Rasch entschlossen hatte er sich in einen Fiaker geworfen,
um Sie aus dem, was er für Ihre Flucht hielt, zu ver-
folgen, nicht aus den Augen zu verlieren, bis er, auf
deutschem Grund und Boden angekommen, Sie verhaften
lassen könne, wozu er bei den italienischen Behörden sich
nicht im Stande fühlte; es fehlten ihm die eigenen Le-
gitimationen dazu, irgend ein Beweis, ein Beleg für
das, was er als Grund einer Verhaftung Vorbringen

Das Buch für Alle.
konnte — er hatte eine Scheu, sich mit den italienischen
Gerichten einzulassen, weil er nichts von ihrem Verfahren
kannte. So folgte er Ihnen, ohne daß Sie es ahnten,
und cs gelang ihm, bis Mailand auf Ihrer Spur zu
bleiben. Im Gewühl dieser großen Stadt verlor er
Ihre Spur. Die Hetzjagd hatte ihn überdies ermüdet,
er war ihrer überdrüssig geworden; darum setzte er sich
hin, arbeitete Alles, was er erfahren, entdeckt, erspürt,
zu kombiniren gewußt, zu einer Denunciation aus und
sandte sie an Ihre heimathliche Gerichtsbehörde. Dann
kehrte er ruhig über Florenz, wo er ein paar Tage blieb,
hieher zurück rind erschien bei mir, um mir sein plötz-
liches Verschwinden, das mich so in Aufregung versetzt
hatte und ja allein das Motiv meines thätigen Ein-
greifens und Michcinmischens gewesen war, so einfach
erklärlich zu zeigen. Ihm bereitete es dann eine große
Ueberraschung, daß ich ihm mittheilte, wie Sie nach
Nom zurückgekehrt uud Lei mir gewesen seien, und wie
ich Ihnen nicht vorenthalten Hütte, was er, Spesser,
gegen Sie ansznknndschastcn gewußt und welcher Ver-
dacht ans Ihnen ruhe. Wegen des letzteren, wegen die-
ser meiner Offenheit machte er mir keine Vorwürfe —
jetzt, wo das Eis einmal gebrochen, schade das nichts,
es fei ihm auch gleichgiltig, fetzte er hinzu, da er die
Sache nuu einmal von Mailand aus fchrifttich auhäugig
gemacht uud er uun deu Dingen ihren Lauf kaffen könne.
Er Wolle nur dem Gericht nachträglich noch anzeigm,
daß Sie wieder hier seien, und es diesem überlassen, ob
es bei den italienischen Behörden um Ihre Verhaftung
nachsnchen wolle oder nicht. Es war offenbar, daß jetzt,
wo „das Eis gebrochen war", wie er sagte, wo er nichts
zu erspüren und zu kombiniren übrig glaubte, die Sache
den stachelnden Reiz für ihn verloren hatte; vielleicht
kam, als ich ihm von Hcrminens schwerer Erkrankung
sprach, etwas vom Gefühl der unedlen Rolle, die er ge-
spielt hatte, über ihn; dies Gefühl muß sich jetzt in
hohem Grade steigern, wenn er diesen Brief meines
Oheims liest; ich 'werde ihm wenigstens meine Meinung
darüber nicht vorenthalten und ihm sagen, wie falsch
und verkehrt der Weg war, den er ans persönlicher Eitel-
keit, um sich durch eine große Entdeckung anszuzeichnen,
einschlug, statt den einfach gesetzlichen zu gehen! Damit
ist jer,t freilich leider wenig wiedcr gut zu machen; das
Unglück ist einmal angerichtet, und so lange Fräulein
Branco's Leben in Gefahr, ist nur selber zu Mnthe wie
einen: Menschen, der unter der Drohung irgend eines
schweren Schlages, in der Ahnung irgend eines über ihn
verhängten Unheils umhergeht! Denn denken Sie, wenn
ich mir sagen müßte, daß ich die Schuld trage... aber
ich will von mir nicht reden — reden wir von Ihnen,
Herr Merk, sagen Sie mir, was ich in diesem Augen-
blicke für Sie thun kann? Ich bin bereit zu jeder Ge-
nugthuung, die Sie von mir wünschen, die ich geben
könnte, zu jedem Dienste. . ."
„Zuerst," versetzte ich auf diese mit dem Ausdruck
offenbarer herzlicher Theilnahme von Derschau ausge-
sprochenen Mittheilungen und Versicherungen, die mich
fühlen ließen, daß ich ihm bisher Wohl Unrecht gethan,
wenn ich sein Wesen und seinen Charakter abstoßend ans
mich wirken lassen — „zuerst muß ich einen Dienst jeden-
falls von Ihnen verlangen — den, meinen Namen bei
meinen Freunden wieder herzustellen. Spesser hat die-
selben in einer Weife gegen mich eingenommen, daß es
eben nichts Dringenderes gibt, als sie so bald wie mög-
lich aufznklären. Mit dem Briefe Ihres Oheims da
können Sie es — wie d'e Dinge liegen, ist Diskretion
nicht mehr möglich — mag das Helle Licht der Sonne
ans Alles scheinen — mir ist es gleichgiltig, wenn nur
das Licht, in dem mich augenblicklich meine Freunde
sehen, ein anderes wird!"
„Gewiß, gewiß," siel mir Derschau in's Wort. „Ver-
lassen Sie sich darauf, daß es an mir nicht liegen wird,
wenn nicht schon heute allem den:, was bei Ihren Be-
kannten über Sie geredet werden mag, gründlich Ein-
halt gethan wird . . . Sie dürfen mir nur sagen, welche
Ihrer Freunde Sie zunächst in: Auge haben. . ."
Ich nannte ihn: den Bildhauer, den Doktor, auf
die Spesser ja zunächst gewirkt hatte. Und daß Derschan
sich mit Eifer der Aufgabe, die er übernommen, unter-
zog, sollte ich noch an: selben Tage erfahren. Was über
mich hereingebrochen, hatte mich so schwer getroffen, so
vernichtet, daß die Plötzliche Ehrenerklärung, die Derschau
nur ebenso unerwartet gebracht, wie die Beschuldigungen,
die er nur unverhüllt ausgesprochen, unerwartet gewesen,
daß diese Rehabilitation mich nicht aus dem Zustande
von innerlicher Erstarrung, in die ich mein ganzes
Wesen versunken fühlte, gerissen Hütte; es lag jetzt wie
ein Gelähmtsein, ein Gefühl, als ob ich ans der ganzen
Welt hinausgestoßen und von ihr in irgend ein schreck-
liches Sein voll Dunkelheit und Oede und schweigender
Qual sortgeschleudert sei, auf mir. Die ersten freieren
Athemzüge eines rückkehrenden Gefühls von Lebensenergie
that ich, als ich wahrnahm, wie ehrlich Derschau Wort
gehalten. Noch an: Abend des Tages kamen meine
Freunde zu nur, um mir die Haud zu schütteln und
mir anszudrücken, wie sehr sie es berenten, ans Anklagen
gegen mich gehorcht zu haben, deren Grundlosigkeit sie
gottlob so bald in den Stand gesetzt seien, zu dnrch-

Heft 26.
schauen. Und an: anderen Morgen wurde nur — zu
meiner nicht geringen Ueberraschung — die Ehre zu
Theil, eiuen deutschen, sich in Rom im Urlaub aufhal-
teuden Offizier Lei nur eintreten zu scheu, der mir von
Spesser's Seite die Erklärung Lrachte, er haLe zwar in
gutem GlauLen, rein der Sache Wegei:, gegen mich ge-
handelt, glauLe mir jedoch die Erklärung schuldig zu
sein, daß er eine Satisfaktionsforderung, wenn ich sie
wiederholen sollte, nicht mehr ablehnen würde. Es war
natürlich, daß ich dieselbe wiederholte. . ."
„Und Sie schlugen sich dann mit ihn:?" fiel leb-
haft der Baron ein.
„Ich schlug mich mit ihm — draußen vor der Porta
Portese, auf dem Monte Verde; wir wechselten zwei
Kugeln erfolglos, die dritte traf ihn in die Brust —
der Arzt erklärte die Wunde für hoffnungslos und ich
wurde von meinen Freunden in Hast und Eile nach der
Magliana, der benachbarten Eisenbahnstation, geleitet,
von wo ich — hieher, heimwärts eilte!"
„Dein Himmel sei Dank," sagte der Baron, be-
wegt aufspringend, „so wissen wir Sie doch Wohl und
geborgen! Und hier können wir ja nun abwarten, daß
sich Alles schlichtet, wie es sich schlichten muß und wird!
Wir wollen mit Frank besprechen, was Lein: Gerichte
von Ihnen gethan werden muß! Ob es nöthig ist,
ihn: Anzeige von dem Duell und seinem Ausgange zu
machen oder nicht. Ich denke nicht..."
„Frank wird es wissen," entgegnete Rudolph gleich-
giltig.
„Und Hermine?" sagte nach einer Pause mit einen:
wie scheuen Blick in Rudolphs Züge Bertha... „Du
hast nichts mehr von ihr vernommen, von der Wen-
dung, die ihre Krankheit genommen. Sie wird nicht
daran gestorben, nicht todt sein. . ."
„Nicht todt," versetzte Rudolph ausstehend und an's
Fenster tretend, wie um die Bewegung seiner Züge zu
verbergen, „nicht todt! Das wolle Gott nicht! Müßte
nur ich nicht todt sein für sie!"
Rudolph sprach diese Worte gedämpft und leise, ober-
es lag in dem Ausdruck derselben ein Seelenschmerz,
den: gegenüber der Baron wie Bertha fühlten, daß ein
tröstender Widerspruch nicht am Platze sei. Sie schwie-
gen Beide, Bertha nur ging, sich neben den von ihr
abgewandt in das Abenddunkel draußen schauenden Bru-
der zu stellen, die rechte Hand auf seine Schulter und
ihr blondes Haupt au seinen Arn: zu legen.
Zwanzigstes Kapitel.
Vorndorf's letzter Wille.
„Daß sich Alles schlichtet, wie cs sich schlichten soll
und wird," hatte der Baron gesagt. Die nächsten Tage
vergingen jedoch ans Bellersheim, ohne es irgend wie zu
solchen: beruhigenden Ende aller Aufregungen zu bringen.
Von Derschau traf ein Brief ein, der zwar wegen der
äußeren Folgen von Rudolphs Duell beruhigend wirkte.
Die italienischen Behörden hatten die gewöhnlichen Er-
hebungen gemacht, die gesetzlichen Maßregeln getroffen,
die in solchen Fällen vorgeschrieben sind, dann aber, da
der Hauptschuldige sich flüchtig jenseit der Grenzen ge-
borgen hatte, die Sache aus sich beruhen lassen und auch
die Sekundanten Rudolphs und Spesser's nach einmaligen:
Verhöre nicht weiter belästigt. Die Fremden sind eben
in der ewigen Stadt ein zu wichtiges und bedeutsames
Element, daß man nicht glimpflich mit ihnen umginge.
Für Rudolph hatte die Sache die einzige Folge, daß
Derschau ihn: von einer Rückkehr in den ersten Paar-
Jahren abrieth.
Aber weniger beruhigend waren die Nachrichten, die
Derschau von Herminen gab. Sie war noch immer
nicht außer Gefahr, ihre Krankheit eines jener schweren
Fieber, die zu den Dingen gehören, welche die Schatten-
seite des alten Zauberlandes bilden, in den: neben so
viel Schönheit und berückenden: Reiz auch so manche
Schlange unter den: Blüthenstrauch liegt!
Da Rudolph nach diesen Nachrichten über Hermine
nicht fragte, da ein eigentümliches Siegel seine Lip-
pen für diesen Namen zu verschließen schien, so daß
er ihn nie aussprach, theilte Bertha sie ihm auch nicht
mit — sie konnten nichts dazu beitragen, die innerliche
geistige Lähmung zu heilen, in welcher er müßig, sich
isolirend und schweigsam die Stunden dahinschleichen ließ.
Otto Frank war in die Stadt zurückgereist und ver-
wandte sich dort für die beschleunigte Erledigung der
Untersuchung, welche über Bertha und Friedrich und
Rudolph hing. Diese war denn auch bald zu Ende ge-
führt. Man hatte gerichtsseitig sich nut der Behörde
der Stadt in Verbindung gesetzt, in welcher Rudolph
sich zur Zeit des Todes von Gustav Branco ans der
Akademie befunden, und diese hatte die Auskunft geben
können, daß nach den Aussagen der gerichtlich vernom-
menen Wirthslente Rudolphs dieser in jenen Tagen sich
ohne Unterbrechung anwesend befunden habe. So, lag
dein: in dieser Beziehung ans den Tod Branco's nichts
gegen Rudolph vor; nur Friedrich und Bertha traf der
Vorwurf der Verheimlichung, und wegen dieser traf
Beide eine Polizeistrafe, welche durch Geld verbüßt wer-
den konnte.
 
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