DOI Heft:
Heft 25
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.44255#0636
Heft 85. Illustrierte Familien-Deitung. Zahrg. mi.
In letzter Stunde.
Roman von Henriette v. Meerheimb.
(Forksetznug.)
r illeneuve war ein uralter Besitz der
Marquis d'Orvnles gewesen Als dies
! vornehme französische (Geschlecht im
Aiannesstamwe erlosch, kam das Gut
' durch Erbschaft in den Besitz des Barons
v. Aiontigni, der es vn Sommer be-
wohnte. Die kalten Monate brachte er seiner Gesund-
heit wegen im südlichen Frankreich oder Italien zu.
Im Gegensatz zu der staubigen Chaussee erschien der
frühlingsgrüne Park mit seinen breiten, schattigen
Fahr- und Fußwegen wie eine Oase, zuerst trug er
ganz den Charakter des Waldes. Kleine schmale Wege
schlängelten sich durch dichtes Unterholz, ein Gewirr
von Farnen und Schlingpflanzen wucherte auf dein
feuchten, moosigen Boden; dazwischen nickten Orchideen
und die schlanken Stengel des Fingerhuts. Goldig
leuchteten die Ginsterbüsche auf jeder Lichtung unter
den dunklen Tannen.
Je näher man dein altersgrauen, von Epheu um-
rankten , im Barockstil erbauten Schlosse kam um so
sorgfältiger gehalten erschien der Park.
Breite Rasenflächen schimmerten sammetgrün, ein
stiller, dunkler Teich mit Schwänen tauchte auf; Spring-
brunnen sandten haushohe, im Sonnenlicht wie Mil-
lionen funkelnde Diamanten sprühende Wasserstrahlen
in die Luft. Steif verschnittene Taxushecken, Ueber-
bleibsel aus alter Zeit, führten schnurgerade zur Auf-
fahrt des Schlosses, das so still verschwiegen in der
schläfrigen Stille des Sommernachmittages von der
Vergangenheit zu träumen schien.
„Wie wunderschön! Dornröschens Schloß im Mär-
chen," sagte Baby entzückt.
lieber der von roten Kletterrosen umzogenen Thür
prangte in Stein gehauen das Wappen der Orvüles:
ein zum Sprung bereiter Löwe mit drohend erhobener
Tatze. Auch die kühnen Worte: „laut ou rion" *),
nach denen dies stolze Geschlecht in längst vergangenen
Tagen handelte, ließen sich noch deutlich als Inschrift
über dein Wappen erkennen.
Der Diener, der auf das Nollen des Wagens hin
in die geöffnete Thür trat, berichtete, die Frau Baronin
fei soeben vom Reiten zurückgekehrt.
Er verschwand, um den Besuch zu melden, und er-
schien nach wenigen Sekunden wieder, um Baby von
ihrem hohen «sitz herabzuhelfen und sie in den Garten-
saal zu führen.
Herr v. Königseck sah sich mit halbem Lächeln um.
Der sehr große Raum war so ganz anders wie früher
der Berliner Salon der Baronin. Die hohen Bogen-
fenster, aus denen man auf die den Park umgrenzenden,
im blauen Duft verschwimmenden Berge der Vogesen
sah, die von Epheu umrankten Säulen, durch die man
auf ein Rosenparterre hinaustreten konnte, sowie die
*) Alles oder nichts.
AraOerjnnge ans Algerien. Nach einer Photographie von A. Loroux in Algier. (S. 656 >
In letzter Stunde.
Roman von Henriette v. Meerheimb.
(Forksetznug.)
r illeneuve war ein uralter Besitz der
Marquis d'Orvnles gewesen Als dies
! vornehme französische (Geschlecht im
Aiannesstamwe erlosch, kam das Gut
' durch Erbschaft in den Besitz des Barons
v. Aiontigni, der es vn Sommer be-
wohnte. Die kalten Monate brachte er seiner Gesund-
heit wegen im südlichen Frankreich oder Italien zu.
Im Gegensatz zu der staubigen Chaussee erschien der
frühlingsgrüne Park mit seinen breiten, schattigen
Fahr- und Fußwegen wie eine Oase, zuerst trug er
ganz den Charakter des Waldes. Kleine schmale Wege
schlängelten sich durch dichtes Unterholz, ein Gewirr
von Farnen und Schlingpflanzen wucherte auf dein
feuchten, moosigen Boden; dazwischen nickten Orchideen
und die schlanken Stengel des Fingerhuts. Goldig
leuchteten die Ginsterbüsche auf jeder Lichtung unter
den dunklen Tannen.
Je näher man dein altersgrauen, von Epheu um-
rankten , im Barockstil erbauten Schlosse kam um so
sorgfältiger gehalten erschien der Park.
Breite Rasenflächen schimmerten sammetgrün, ein
stiller, dunkler Teich mit Schwänen tauchte auf; Spring-
brunnen sandten haushohe, im Sonnenlicht wie Mil-
lionen funkelnde Diamanten sprühende Wasserstrahlen
in die Luft. Steif verschnittene Taxushecken, Ueber-
bleibsel aus alter Zeit, führten schnurgerade zur Auf-
fahrt des Schlosses, das so still verschwiegen in der
schläfrigen Stille des Sommernachmittages von der
Vergangenheit zu träumen schien.
„Wie wunderschön! Dornröschens Schloß im Mär-
chen," sagte Baby entzückt.
lieber der von roten Kletterrosen umzogenen Thür
prangte in Stein gehauen das Wappen der Orvüles:
ein zum Sprung bereiter Löwe mit drohend erhobener
Tatze. Auch die kühnen Worte: „laut ou rion" *),
nach denen dies stolze Geschlecht in längst vergangenen
Tagen handelte, ließen sich noch deutlich als Inschrift
über dein Wappen erkennen.
Der Diener, der auf das Nollen des Wagens hin
in die geöffnete Thür trat, berichtete, die Frau Baronin
fei soeben vom Reiten zurückgekehrt.
Er verschwand, um den Besuch zu melden, und er-
schien nach wenigen Sekunden wieder, um Baby von
ihrem hohen «sitz herabzuhelfen und sie in den Garten-
saal zu führen.
Herr v. Königseck sah sich mit halbem Lächeln um.
Der sehr große Raum war so ganz anders wie früher
der Berliner Salon der Baronin. Die hohen Bogen-
fenster, aus denen man auf die den Park umgrenzenden,
im blauen Duft verschwimmenden Berge der Vogesen
sah, die von Epheu umrankten Säulen, durch die man
auf ein Rosenparterre hinaustreten konnte, sowie die
*) Alles oder nichts.
AraOerjnnge ans Algerien. Nach einer Photographie von A. Loroux in Algier. (S. 656 >