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Biller, Thomas
Das "wüste Steynhus" bei Oschatz in Sachsen - frühe Gotik auf dem Weg nach Osten — Oschatz, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.4716#0026
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3. Interpretation

Zwei zentrale Fragen bleiben nach alledem zu beantworten.
Welche Funktion war dem Bau zugedacht? Und, aus kunsthisto-
rischer Sicht die zentrale Frage: Wie kam es zu einer so unge-
wöhnlichen Bauform, zu dieser Zeit und in dieser Region?

3.1. Kloster, Burg, Schloss?

Die Frage nach der Funktion des Baues muss, angesichts der
fehlenden Baunachrichten, in grundsätzlicher Weise gestellt
werden. Wir haben es zu tun mit einem siedlungsfern liegenden
Vierflügelbau, was nur eine begrenzte Zahl von Deutungen zu-
lässt. Ein Sakral- bzw. Zentralbau ist angesichts des Hofes aus-
zuschließen - aber ein Kloster scheint diskutabel, wobei man
das Badehaus als Brunnenhaus anzusprechen hätte. Genauere
Betrachtung führt aber zum Ausschluss dieser These. Bei einem
Kloster ist ein Flügel des Quadrums durch die Kirche ersetzt,
mit Querschiff, Chor und meist Seitenschiffen, die anderen Flü-
gel sind in erkennbar spezialisierte Räume aufgeteilt; nichts
weist beim „Steynhus" auf eine Kirche, die Flügel waren räum-
lich alle gleich. Der Bau steht außerdem buchstäblich quer zu
den Himmelsrichtungen, obwohl man die Kirche im offenen
Gelände exakt hätte osten können. Es fehlt ferner der Kreuz-
gang, und das Badehaus ist eben kein Brunnenhaus - mit
Becken im Boden, nicht mit aufgeständerten Wasserbecken für
die Waschungen 4 - und es liegt in einer Hofecke, wo es in ei-
nem Kloster nie lag.

24 Nur am Rande sei erwähnt, dass es sich natürlich auch nicht um ein jüdi-
sches Ritualbad, eine „Mikwe" handeln kann - eine Mikwe immerhin enthält
wie der Oschatzer Bau ein zum Untertauchen geeignetes, aus natürlicher
Quelle gespeistes Wasserbecken! Jedoch gab es Judengemeinden mit dem
notwendigen Ritualbad im Mittelalter in Deutschland nur in Städten. Mikwe,

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