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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0243

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V1.3. Die »Lebensalter

ser einerseits formal für die Gesamtkomposition als Bedingung der syntaktischen
Inbezugsetzung der Bildhälften, andererseits szenisch als Wert der Unterteilung
besitzt. Ein und dasselbe bildnerische Element — der mittlere Baumstamm — be-
gründet zwei grundverschiedene Sehweisen desselben Bildes, die nicht gleichzeitig
möglich sind: Das Gemälde erscheint der Betrachtung entweder als eine gegen-
standsindifferente, »dem Auge gerechte Situation«'3 oder als Träger hierarchisch
gestufter Einzelsituationen, die semantisch durchaus bedeutsam sind.11

VI.3.4. Realität und Utopie
Fiedler muss klar gewesen sein, dass das Gemälde, das Marees ihm geschenkt
hatte, eine kaum verschlüsselte Botschaft an ihn richtete."1 Das Bild bezieht sich
bei aller Typisierung ausdrücklich auf den Bruch mit Adolf Hildebrand, den der
Freund mit herbeigeführt hatte. Aus diesem biographischen Kontext heraus hat
Christian Lenz, wie schon bemerkt, die Botschaft der Lebensalter in ihren auto-
biographischen und sinnbildlichen Motiven überzeugend gedeutet: Rechts ist
Marees dargestellt, der »in gänzlicher Freiheit die Früchte der Kunst erlangt, wäh-
rend der junge Mann, in dem wir sowohl Hildebrand, als auch den von der Frau
versuchten jüngeren Marees zu sehen haben, dazu nicht fähig ist.« Der Greis ver-
körpere das »Ende des Lebens und zugleich das Unvermögen, überhaupt die
Frucht zu fassen zu bekommen. Marees hat diese Figur dem jungen Mann zur
Mahnung vor Augen gestellt [...]«.16 Auch in diesem Gemälde hat sich Marees zu
einem einsamen Künstler stilisiert, der die »Früchte der Kunst« erlangt, weil er sich
von der Bindung an eine Frau abgewendet hat. Das Gemälde nimmt damit das
antithetische Motiv »Hingabe an die Kunst versus Bindung an Frau und Familie«
wieder auf, das seit den frühen römischen Gemälden im Werk von Marees eine zen-
trale Rolle spielt. ‘ ‘

Schwemme, dem Meier-Graefe eine stark von Wölfilin inspirierte Beschreibung gewidmet hat,
die mit dem Gleichnis des »Billards« eine gegenstandsindifferente, dynamische Anschauungs-
tätigkeit charakterisiert, die sich am ruhenden Bild und dessen statischem Bildpersonal ent-
faltet (vgl. Meier-Graefe 1909-1910, Bd. 1. S. 90). Der bewegten Prozessualität der Anschau-
ung entspricht hier — wie in den Lebensaltern — noch kein Bewegungspotential der Figuren.
75 Wie im ersten Kapitel erörtert, ist erst von Ettlinger 1972, S. 761., und Lenz 1987a, S. 10, auf
die biographischen Bezüge des Gemäldes hingewiesen worden. Von diesen Beobachtungen geht
die folgende Interpretation aus. Vgl. außerdem Domm 1989, S. 45ff.
76 Lenz 1987a, S. 10.
77 Auch in diesem Gemälde bezieht sich Marees, wie Sigrid Esche-Braunfels zeigen konnte, auf
Hildebrands Adam (Esche-Braunfels 1993, S. 46f.). Wiederum ist die Anspielung möglicher-
weise nicht ohne inhaltliche Bedeutung. Marees greift in der Gestaltung seiner Selbstdarstel-
lung als aktiver Künstler auf den passiven* Adam I zurück, während er den zögerlichen Hil-
debrand in der Pose des »aktiven« Adam II darstellt. Man könnte dieses doppelte Zitat so ver-
stehen, als würde Marees Hildebrand einen Gegensatz zwischen eigenem künstlerischem An-
spruch (im Adam II vom »Knaben zum Mann voranzuschreiten« [siehe in der vorliegenden
Arbeit 111.2.1.2.4.]) und seiner Lebenswirklichkeit (der Bindung an Irene Koppel) vorhalten
und gleichzeitig sich selbst zum »wahren Adam« und überlegenen Künstler stilisieren. Hilde-

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