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Allgemeine Charakteristik.

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allgemeinen und vorgefafsten Anschauungen sich zu wirklicher
Kenntnis des Körpers durchgearbeitet. Aber auch bei ihm und
im ganzen Quattrocento ist diese Kenntnis, ähnlich wie in der
antiken Kunst, ein aus steter Anschauung gewonnenes Resultat;
erst Leonardo erhebt die Anatomie zu einer Hilfswissenschaft
der Kunst. Durch Piero della Francesca hatte schon früher die
Perspective ihre wissenschaftliche Begründung erhalten, während
sie bis dahin, auch in der Plastik, meist in naiver Ausübung
richtiger Beobachtungen mehr oder weniger glücklich ange-
wandt war.

Mit dem Studium des nackten Körpers geht das Gewand-
s_tudium Hand in Hand. In Bewegung, in Faltengebung, selbst
in der Wahl der Stoffe sind die Künstler bestrebt, die Gewandung
der Figur möglichst anzupassen, den Körper darin erkennen zu
lassen und zugleich die Gestalt dadurch zu heben und zu charak-
terisieren. Um die Wirkung der Stoffe in Stein zu übersetzen
und zugleich die künstlich gelegten Falten dauernd zu erhalten,
wurden die über dem Manneken angeordneten Stoffe [in der
Regel ein starker Leinenstoff) von manchen Künstlern in Gips
getränkt, gelegentlich sogar in derselben Weise auf dem Original
angebracht (vergl. die Johannesbüste von Donatello No. 38a).

Das Moment, welches neben der Rückkehr zur Natur als
gleichbedeutend für die »Wiedergeburt« der italienischen Kunst
bezeichnet zu werden pflegt, das Studium der Antike, hat
Auffassung und Behandlung der Bildhauer des Quattrocento
fast gar nicht berührt: es läfst sich kaum ein gröfserer Gegen-
satz in der Plastik denken, wie zwischen der Florentiner Kunst
des XV. Jahrh. und der griechischen der Blütezeit, von der römi-
schen Kunst ganz zu schweigen. Dagegen galten die Uberreste
der antiken Kunst, welche mit gröfstem Eifer aufgesucht und
gesammelt wurden, den Bildhauern des Quattrocento in solchem
Mafse als unübertreffliche Vorbilder, dafs sie ihnen nicht nur
fast sämtliche Motive der Dekoration entlehnten, sondern sogar,
wo es irgend anging, auch ihre figürlichen Kompositionen sich
zum Vorbild nahmen. Die mythologischen und zum Teil auch
die allegorischen Gestalten und Motive in den Bildwerken des
XV. Jahrh. sind fast regelmäfsig der Antike, namentlich den
Sarkophagen, geschnittenen Steinen und Münzen entlehnt.
Gerade der Künstler, der durch seinen rücksichtslosen Realismus
die Richtung des Quattrocento am schärfsten ausgeprägt und
die ganze italienische Kunst der Folgezeit am stärksten beeinflufst
hat, dessen schöpferische Gestaltungskraft, dessen eigenartige
Phantasie von wenigen Künstlern erreicht worden ist: gerade
Donatello entlehnt, ja kopiert mit gröfster Vorliebe atrs—der
Antike. Seine Reliefs im Hof des Palazzo Riccardi sind als
Nachbildungen antiker Gemmen und Kameen bekannt; als solche
lassen sich aber auch verschiedene Plaketten nachweisen, und

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