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Die Hochrenaissance

(Das Cinquecento, um 1500 bis 1630.)

Im letzten Jahrzehnt des XV. Jahrh. bereitet sich in Florenz,
das auch jetzt wieder die Schicksale der italienischen Kunst
entscheidet, eine Wendung vor, welche hier mit dem Beginn
des neuen Jahrhunderts als vollzogen bezeichnet werden darf;
eine Wendung, die eine neue, von der vorausgehenden Ent-
wicklung grundverschiedene Epoche der italienischen Kunst
heraufführt. Kaum in einem anderen Zweige der Kunst kommt
dieselbe so scharf zum Ausdruck wie in der Plastik, in keinem
anderen Zweige aber auch im Allgemeinen so wenig günstig
wie gerade in der Plastik.

Die Skulptur des XV. Jahrh. strebte nach Natürlichkeit und
Wirklichkeit; die neue Zeit setzte dagegen an die Stelle der
Individualität die Verallgemeinerung. Sie will nicht das Modell
mit allen seinen Eigenheiten und Zufälligkeiten, sondern einen
daraus abstrahierten Typus geben. Diese Verallgemeinerung und
Idealisierung der Formen erstreckt sich nicht nur auf die Köpfe
und den Körper; auch die Stoffe und das Nebenwerk werden
vereinfacht und nach einem Schema behandelt, das sich die
Künstler nach selbstgeschaffenen Schönheitsgesetzen gebildet
haben. Dicke Stoffe, die volle Falten bilden, werden das Vor-
bild, und jede Verzierung derselben wird verschmäht.

Diese Schönheitgesetze wurden aber nicht aus der Natur,
sondern aus der antiken Kunst abstrahiert. Diese wird daher
jetzt mit erneutem Eifer studiert; nicht um Anregung für
Motive und Begeisterung für eigene Erfindungen daraus zu
schöpfen, sondern um daraus allgemeine Grundgesetze der
statuarischen Kunst abzuleiten und auf Grund derselben Neues
zu schaffen. Dadurch, dafs die Künstler die Gesetze aus den
Antiken abstrahierten, wie sie ihnen vorlagen, also aus mehr
oder weniger geringwertigen römischen Kopien, meist aufser
Zusammenhang mit den zugehörigen Skulpturen und der Archi-
tektur, für die sie erfunden waren, mufsten sie vielfach zu
Trugschlüssen kommen, die für ihre eigene Kunst verhängnis-
voll wurden.
 
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