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teuer sein, denn es ist ein Teil unseres Herzens. Kein Verstehen wird nötig sein.
Das Gefühl, daß das Kunstwerk nur Ausdruck dessen, was uns selbst in hohen
Stunden ahndungsvoll durchzogen, kann uns nimmer verlassen. —

Bis dahin plätschert es in seichtem Wasser: Der Künstler sucht Anregung
bei alten Völkern, die ihm, das fühlt er, Uberlegen sind. Der Laie blättert,
nach neuen Sensationen haschend, in Bilderbüchern und läßt sich im Lehnstuhl
Werke vorführen, die mit dem Herzblut vollsaftigerer Menschen geschaffen
sind. Greisenhaft und kindlich zugleich.

Vielleicht ist die mehr optische Einstellung dem Kunstwerke gegenüber
noch der sympathischste Zug des modernen Menschen. Vielleicht ist er sogar
von symptomatischer Bedeutung für die Zukunft: Wieder sehen zu lernen, der
Natur wieder näher zu kommen. Und damit verknüpft: das innere Erlebnis.
Nie gekannte Freude.

Noch ist unser Wissen ohne Liebe. Wäre doch unser Lieben ohne Wissen!
Liebten wir doch die Kunst um ihrer selbst willen, ohne nach Zweck und Ziel,
nach wo und wann, wie und was zu fragen. Ich meine: vorläufig. —

IL

Wie die Zeugungsvorgänge der noch so tief eindringenden Wissenschaft
ewig ein Rätsel sein werden, wie die Wunder der Vererbung sich niemals dar-
legen lassen, so entzieht sich auch das Aufkommen eines neuen Kunststiles
verstandesmäßiger Erwägung. Wohl vermag die Geschichtsforschung, wohl
können Untersuchungen über Rasse, Nationalität, geographische und wirt-
schaftliche Verhältnisse des Landes interessante Streiflichter auf die Betrach-
tung seines Kunststiles werfen, die wichtigen inneren Zusammenhänge bleiben
der Gedankenarbeit und wissenschaftlichen Erörterung verborgen. Sie können
vielleicht empfunden werden, zergliedern lassen sie sich nicht.

Die Wissenschaft neigt dazu, Urteile, die auf Gefühl und Empfindung
allein beruhen, als nicht beachtenswert zu verwerfen. Und in der Tat: nicht
alle Probleme sind der gefühlsmäßigen Behandlung geneigt. Die Kunst je-
doch, die letzten Endes instinktiv geschaffen, läßt sich auch nur instinktiv
d. h. gefühlsmäßig hinnehmen und spontan begreifen.

Wer die Abbildungen dieses Buches nicht nur flüchtig durchblättert hat,
sondern wen die Werke derartig beschäftigt haben, daß er sie in seinem Geiste
an sich vorüberziehen lassen kann, nicht in ihren Einzelheiten, sondern zu-
sammengefaßt zu einem Bilde kretisch-mykenischer Kunst Uberhaupt, dem
wird es nicht entgangen sein, daß sich in seiner Vorstellung Züge finden,
die sich erst allmählich zu einem Bilde vereinigen wollen.

Wer als Europäer denkt und fühlt, ist mit einer dadurch bestimmten Vor-
stellungswelt behaftet und verwachsen. Ganz von selbst wird er Vergleiche
mit dein ihm geläufigen europäischen Kunstschaffen ziehen. Sein Eindruck
 
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