Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
4

zumal beim Kunstgewerbe, das in besonderem Grade unabhängig und aus
alter Tradition erwachsen scheint.

Dieses Hinneigen zu einem edlen und, man darf wohl sagen, raffinierten
Kunstgewerbe, diese Freude an Farben und Farbtönen, dieses Sichausleben
in einer bunten, erträumten Welt, die auf Bildern ein räum- und zeitloses
Dasein führt, teilen die Etrusker mit den Altkretern. Und wenn man etrus-
kische Fresken wie kretische Töpfereien gewissen asiatischen Erfindungen
und Gebilden gegenüberstellt, hat man damit vielleicht blutsverwandtschaft-
liche Bande aufgezeigt, über die es sich lohnt, ernsthaft nachzudenken.

Gleichartig freundlich ist die Lebensart und Lebensführung der alten
Kreter und der Etrusker: Freude am Dasein, allen diesseitigen Genüssen zu-
gewandt. Umfassende Liebe zur lebenden und toten Natur paart sich mit
tiefer Ehrfurcht vor ihren Kräften und Einflüssen auf das menschliche Leben.
Umgeben von lieblichen Blumen, deren Zucht und Pflege besondere Mühe-
waltung erheischt, suchen diese Völker der Nutzbarmachung von Wildge-
wächsen und der Zähmung von Tieren vorzuarbeiten. Die Etrusker waren
ihrer Ärzte und Heilkräuter wegen in der Antike berühmt — altkretische
Rezepte sehen wir bis nach dem hochkultivierten Ägypten wandern und kre-
tische Bohnen genossen dort einen besonderen Ruf! Krefisch-mykenische
Völker bahnten dem Pferde den Weg, züchteten neue Rinderrassen, Etrurien
hat Geparden und Panter zur Jagd abgerichtet und allerlei fremde Hühner-
arten dem Hause zugeführt.

Eine einzigartige Verehrung wird bei beiden Völkern der Frau gezollt,
deren soziale Stellung infolgedessen grundverschieden von der bei den Nach-
barn ist. Mode und jeglicher Luxus, der in Beziehung zur Frau steht, sind
Fragen, die Alfkreta und Etrurien in hohem Maße beschäftigt haben. Nur
die Tracht des Mannes war kaum Änderungen unterworfen: Noch in der
ersten Hälfte des 6. Jahrh. v. Chr. fragen Etrusker wie Kreter denselben
Lendenschurz und dieselbe Schamtasche wie die kretisch-mykenischen Männer
tausend Jahre zuvor.

Bleibt zu erwähnen übrig, daß Kreter wie Etrusker seefahrende Handels-
völker waren, deren Staatsverfassung zwischen Aristokratie und Königtum
schwankte, ohne dem dauernd großen Einfluß der Kleinfürsten und Hochade-
ligen jemals Abbruch zu tun. Beide Völker waren Eroberervölker, die nach
glanzvoller Machtenfaltung schließlich im Genußleben erschlafften und rauheren
Eindringlingen Platz machen mußten. Ein alltägliches Völkerschicksal zwar,
doch dadurch, daß die Nachfolger bald der älteren Kultur erlagen und ge-
zwungen waren, sie in ihrer Art fortzuführen, bedeutungsvoll für die Zukunft
und für uns, die wir in den Fußstapfen der Römer und Griechen stehen.

Betrachten wir künftig die etruskische Kunst und Kultur als unmittelbarste
Fortsetzung kretisch-mykenischer Art — die fehlenden Zwischenglieder werden
sich finden lassen — so dürfte dadurch Wesentliches für das Verständnis
beider Völker gewonnen werden.
 
Annotationen