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Laune erscheinen. So überrascht es nicht, daß auf den Fresken und Gefäßen
nirgends der Versuch unternommen wird, das Auge in die Bildtiefe zu führen
oder auch nur bei den einzelnen Figuren durch Schattenabstufung bescheidenste
Rundung zu erreichen. Die Farbengebung ist der Phantasie entlehnt. Grün,
die Hauptfarbe der Natur, fehlt so gut wie ganz. Mit bewußter Einseitigkeit
werden die Fleischteile der Frauen weiß, die der Männer dunkelbraun gegeben
und so ein vager Natureindruck starr schematisiert. Die Figuren sind von
ihrer Umgebung durch scharfe Konturierung oder Farbkontrastierung abgesetzt.
Ein Bestreben, sie irgendwie in der Gesamtheit aufgehen zu lassen oder sie
mit ihr zu verbinden, wird nicht merkbar. Über die Komposition der Fresken
zu sprechen, erübrigt sich, da es nicht möglich war, ein ungefähr erhaltenes
Bild wiederzugeben. Jene eigenartigen Wellenlinien, die die Fläche der kre-
tischen Fresken gliedern und ihnen einen wundersamen Rhythmus verleihen,
jene tropfsteinartigen oder korallenähnlichen Gebilde, die von den Bildrändern
in die Darstellung hineinragen, sind eine der kretisch-mykenischen Kunst eigen-
tümliche Erfindung, die alle Darstellungen von vornherein aus der Sphäre des
nur Gegenständlichen heraushebt und sie in ferne, zauberhafte Gegenden ver-
setzt. Es fällt schwer, sich diesem Zauber zu entziehen. Lassen wir uns
von ihm gefangennehmen, geben wir uns ihm ganz hin! Pflücken wir die
köstlichen Früchte, die in jenen fremden Gärten wuchsen und lassen es damit
genug sein!
Netzartig sind die Bilder und Reliefs übersponnen, weniger aus Angst
vor leerer Fläche als aus Freude an dem Vielerlei, das in seiner bunten Zu-
sammenstellung glitzert und gleißt. Ein malerischer Eindruck wird hervor-
gerufen, der in seiner Unübersichtlichkeit von einer übersprudelnden Phantasie
Zeugnis ablegt. Auch in der Architektur, die wir so wenig kennen, bleibt das
Gefühl der Unübersichtlichkeit vorherrschend. Die großen Hofanlagen, die sich
auf Kreta besonders schön entwickelt finden, dürfen uns darüber nicht hinweg-
täuschen. Nicht umsonst hat die Sage vom Irrgarten, jenem Labyrinth, an
altkretische Bauwerke angeknüpft. Mangelnde Organisation zeigt sich nicht
nur im Grundriß. Auch im Aufbau, soweit er erhalten, strebt der Kreter nach
Licht- und Schattenwirkung, nicht nach s'ruktiver Gestallung im Sinne der
Griechen. Lichtschächte, Treppenanlagen, übereinandergeschachtelte Stockwerke,
die durch das ansteigende Gelände noch unübersichtlicher werden, wechseln
sich ab und lassen in ihrer Farbigkeit, die sich nicht nur auf Decken und
Wände, sondern auch auf die Fußböden ausdehnt, die mit Teppichmustern be-
malt sind, einen schillernden, mannigfaltigen Eindruck zurück.
Augenfälligste Verkörperung krelisch-mykenischer Architekturgedanken
ist die Säule. Unbekümmert der auf ihr lagernden Last steigt sie schlank
empor, um sich nach oben immer mehr zu verbreitern. Spiralförmig um ihren
Schaft gelegte Dekorationen verstärken den Eindruck, daß hier in bewußter
Schöpfung dem Gefühl des Leichten, Spielerischen Geltung verschafft werden
soll, und daß der Gedanke an Sichtbarmachung statisch wichtiger Momente
Laune erscheinen. So überrascht es nicht, daß auf den Fresken und Gefäßen
nirgends der Versuch unternommen wird, das Auge in die Bildtiefe zu führen
oder auch nur bei den einzelnen Figuren durch Schattenabstufung bescheidenste
Rundung zu erreichen. Die Farbengebung ist der Phantasie entlehnt. Grün,
die Hauptfarbe der Natur, fehlt so gut wie ganz. Mit bewußter Einseitigkeit
werden die Fleischteile der Frauen weiß, die der Männer dunkelbraun gegeben
und so ein vager Natureindruck starr schematisiert. Die Figuren sind von
ihrer Umgebung durch scharfe Konturierung oder Farbkontrastierung abgesetzt.
Ein Bestreben, sie irgendwie in der Gesamtheit aufgehen zu lassen oder sie
mit ihr zu verbinden, wird nicht merkbar. Über die Komposition der Fresken
zu sprechen, erübrigt sich, da es nicht möglich war, ein ungefähr erhaltenes
Bild wiederzugeben. Jene eigenartigen Wellenlinien, die die Fläche der kre-
tischen Fresken gliedern und ihnen einen wundersamen Rhythmus verleihen,
jene tropfsteinartigen oder korallenähnlichen Gebilde, die von den Bildrändern
in die Darstellung hineinragen, sind eine der kretisch-mykenischen Kunst eigen-
tümliche Erfindung, die alle Darstellungen von vornherein aus der Sphäre des
nur Gegenständlichen heraushebt und sie in ferne, zauberhafte Gegenden ver-
setzt. Es fällt schwer, sich diesem Zauber zu entziehen. Lassen wir uns
von ihm gefangennehmen, geben wir uns ihm ganz hin! Pflücken wir die
köstlichen Früchte, die in jenen fremden Gärten wuchsen und lassen es damit
genug sein!
Netzartig sind die Bilder und Reliefs übersponnen, weniger aus Angst
vor leerer Fläche als aus Freude an dem Vielerlei, das in seiner bunten Zu-
sammenstellung glitzert und gleißt. Ein malerischer Eindruck wird hervor-
gerufen, der in seiner Unübersichtlichkeit von einer übersprudelnden Phantasie
Zeugnis ablegt. Auch in der Architektur, die wir so wenig kennen, bleibt das
Gefühl der Unübersichtlichkeit vorherrschend. Die großen Hofanlagen, die sich
auf Kreta besonders schön entwickelt finden, dürfen uns darüber nicht hinweg-
täuschen. Nicht umsonst hat die Sage vom Irrgarten, jenem Labyrinth, an
altkretische Bauwerke angeknüpft. Mangelnde Organisation zeigt sich nicht
nur im Grundriß. Auch im Aufbau, soweit er erhalten, strebt der Kreter nach
Licht- und Schattenwirkung, nicht nach s'ruktiver Gestallung im Sinne der
Griechen. Lichtschächte, Treppenanlagen, übereinandergeschachtelte Stockwerke,
die durch das ansteigende Gelände noch unübersichtlicher werden, wechseln
sich ab und lassen in ihrer Farbigkeit, die sich nicht nur auf Decken und
Wände, sondern auch auf die Fußböden ausdehnt, die mit Teppichmustern be-
malt sind, einen schillernden, mannigfaltigen Eindruck zurück.
Augenfälligste Verkörperung krelisch-mykenischer Architekturgedanken
ist die Säule. Unbekümmert der auf ihr lagernden Last steigt sie schlank
empor, um sich nach oben immer mehr zu verbreitern. Spiralförmig um ihren
Schaft gelegte Dekorationen verstärken den Eindruck, daß hier in bewußter
Schöpfung dem Gefühl des Leichten, Spielerischen Geltung verschafft werden
soll, und daß der Gedanke an Sichtbarmachung statisch wichtiger Momente