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Ruskin

An der Universität spielte er keine so glänzende
Rolle, als sein Vater es sich träumte, wurde aber
immerhin beachtet, erntete akademische Ehren. Seine
gesellige Ungewandtheit, seine physische Temperament-
losigkeit (in geistiger Beziehung war er ein Feuerwerk,
ein Nervenbündel), bewahrte ihn vor jeder Versuchung.
Seine Mutter mietete sich in Oxford ein, dort besuchte
sie allabendlich ihren John, an jedem Sonntag kam
der Vater aus der kleinen Londoner Vorstadt herüber,
ging die Familie gemeinsam zur Kirche. Religiöse
Anfechtungen blieben ihm vorläufig erspart. Wenn
er auch der allerengsten Orthodoxie seiner Eltern ent-
wuchs, diese Ansichten ihm fast ebenso unangenehm
wurden, wie die von Kindheit auf verabscheute katho-
lische Kirche, blieb er bis zum fast fünfzigsten Jahre
nicht nur äusserlich und innerlich religiös, sondern
bibelgläubig streng. „Nie erstieg ich einen Berg allein,
ohne instinktiv auf dem Gipfel betend niederzuknieen“
(M. P. II 229). Als Inbegriff seines Glaubens nennt
er den 119. Psalm, diese grossartige Lobpreisung des
göttlichen Gesetzes. Im „Val d’Arno“ (191) sagt er:
„Die Religion eines Mannes ist geistiges Ausruhen, ist
die Heimat, welche teils seine Vorväter erobert und
erbaut haben, teils er sich selber errichtet.“ Dann
wiederum: „Was in der christlichen Religion einem
Kind unverständlich ist, brauchen Erwachsene auch
nicht zu verstehen“ (Pr. II 171). Demütig fügt er
sich dem Glauben aller Welten an die Gegenwart der
Engel auf Erden wie im Himmel (Pr. III 141). Am zu-
sammenfassendsten äussert er sich im Schlussband der
„Modern Painters“ (V 360): „Der Zweck des Menschen
ist, Zeugnis von Gottes Herrlichkeit abzulegen und diese
Herrlichkeit durch vernünftigen Gehorsam und der
hieraus sich ergebenden Glückseligkeit zu steigern.“
 
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