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Ruskin

bereits um diese Zeit Turnersche Kupferstiche mit
gewissenhaftester Hingebung nachgezeichnet. Seine
nach der Natur aufgenommenen Landschaften ver-
raten wenig Eigenart, aber künstlerische Auffassung,
in seinen viel spätem Wolken-, Blatt- und Blumen-
studien zeigt sich jedoch ein echtes, ungewöhnliches
Talent.
Noch erstaunlicher als seine florentinische Un-
empfindlichkeit ist der Eindruck, den Rom auf ihn
macht. Die krasseste, kaum glaubliche Unbildung
spricht aus den Bemerkungen dieses intelligenten,
einundzwanzigjährigen Oxforder Studenten.
„Offiziell hatte ich die ganze Aeneide durchgelesen und
hielt sie für Blödsinn. Von der späteren römischen Geschichte
wusste ich aus englischen Quellen einiges über die kaiserlichen
Lasten, nahm an, dass die Malaria der Campagna das Ergebnis
des Papsttums sei. Von einem guten römischen Kaiser oder
einem guten Papst hatte ich nie etwas gehört, wusste nicht
recht, ob Trajan vor oder nach Christi Geburt gelebt, und
hätte jemand mir gesagt, dass Marc Aurel ein römischer Philo-
soph zur Zeit des Sokrates gewesen wäre, hätte ich es dankbar
befriedigt geglaubt. . . . Die Piazza di Popoli war mir von
Darstellungen her ebenso bekannt wie Cheapside und be-
deutend weniger interessant. . . . Natürlich stiegen wir in irgend
einem Gasthofe der Piazza di Spagno ab, müde schlief ich ein,
ärgerlich, mich in einer grossen Strasse einer modernen Stadt
zu befinden, wo es gar nichts zu zeichnen gab, aber endlose
Sachen, mit denen man gequält werden würde. . . . Nach-
mittags fuhren wir natürlich umher, besahen das Forum, das
Colosseum und dergleichen mehr. Ich hatte wenig Ahnung,
was das Forum sei oder je gewesen wäre. . . . Wir fuhren zum
Kapitol, ein ekelhaftes, trostlos jämmerliches Nest. Eingedenk
der Bewunderung, welche Sir Joshua Reynolds (nur englische,
meistenteils untergeordnete Kunstkritiker sind ihm bekannt oder
beachtenswert) für Rafaels Stanzen empfand, studierte ich sie
aufmerksam . . . gelangte jedoch zu der Ueberzeugung, dass
sie mir nicht die geringste Freude verursachen könnten und
dass ihre Mischung von Heidentum und Päpstlichkeit sich un-
 
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