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IX. Schlußwort

Wir konnten bei der Lindenthaler Grabung bei einer vorgeschichtlichen Siedelung zum
ersten Mal die Nutzgebäude in ihrem Aufbau und ihrer Funktion neben den Wohnhütten
klar herausstellen und damit einen Einblick in die Einzelheiten des Wirtschaftslebens
gewinnen. Der Charakter des donauländischen Kulturkreises als des klassischen Bauern-
tums der jüngeren Steinzeit trat dabei ebenso klar in Erscheinung wie das hohe Alter und
die Tradition dieser Lebensform innerhalb der Bandkeramik. Es zeigt sich also, welch große
Bedeutung diesem östlichen Kulturkreise für die Gestaltung der jungsteinzeitlichen Kultur
zukommt, wie in erster Linie die Bandkeramik jenes seßhafte Bauerntum hervorgebracht
hat, auf dem viele späteren Kulturen erwachsen sindx).
Die Funde an Keramik und Steingeräten haben eine Sammlung schönen Materials er-
bracht, das zwar gemessen an der Größe der Grabung verhältnismäßig gering an Zahl
erscheint, aber doch wohl den größten geschlossenen Fundkomplex der deutschen Band-
keramik darstellt. Besonders erfreulich ist das Ergebnis der Auswertung der Keramik, bei der
es gelang, eine einwandfreie Chronologie der bandkeramischen Kulturenfolge an einem länger
besiedelten Platze aufzustellen, die sich zudem mit den Forschungsergebnissen anderer
Gebiete, besonders Ost- und Mitteldeutschlands, Böhmens und Ungarns, vollständig
deckt. Von Bedeutung ist die Feststellung der Gruppen importierter Keramik, die den
Schluß zulassen, daß die Anfänge des Handels mit Tongefäßen schon in die jüngere Stein-
zeit zurückreichen. Die bei dieser Gelegenheit mit Erfolg angewandte Methode, Keramik
mit Hilfe von Dünnschliffen zu untersuchen, wird auch für andere Gebiete unserer Vor-
geschichtsforschung von Bedeutung werden.
Alle diese Erkenntnisse konnten wir nur dank der Großzügigkeit und Ausdehnung unserer
Arbeiten gewinnen. Die Grabung kann damit den anderen großen neolithischen Siedlungs-
grabungen an die Seite gestellt werden, bei denen ebenfalls größtmögliche Vollständigkeit
angestrebt worden ist (z. B. Goldberg b. Nördlingen, die Moordörfer im Federsee). Nur
so kann man zu wesentlichen neuen Gesichtspunkten kommen. Dafür ist die Lindenthaler
Grabung geradezu ein Schulbeispiel. Wenn wir im Jahre 1932 nach der Untersuchung
des Südringes das Unternehmen abgeschlossen hätten oder uns nach der Entdeckung des
Nordringes mit der Feststellung seiner Ausdehnung begnügt hätten, wäre es nie möglich
gewesen, die ursprüngliche Lage der viereckigen Langbauten zwischen Dorf und Feldern
und damit ihre Funktion zu erkennen; auch wäre es kaum gelungen, den Besiedlungsgang
so klar herauszuschälen, wie er uns jetzt vor Augen steht.
Es handelt sich heute in der Vorgeschichte darum, den Blick von kleinen Einzelproblemen
auf große Gesichtspunkte zu lenken und bei Ausgrabungen lieber wenige große Objekte
in Angriff zu nehmen und diese gründlich zu bearbeiten als den umgekehrten Weg zu be-
schreiten. Wenn es gelingt, nach und nach aus allen Kulturkreisen und Zeitstufen wenig-
stens eine oder zwei ganze Siedlungen auszugraben (so wie man schon eine Menge voll-
ständiger Gräberfelder kennt), dann bekommen wir allmählich das Material in die Hand,
mit dem wir uns ein gesichertes Bild zunächst von der materiellen und dann auch von der
geistigen Kultur der Vorzeit machen können. Dann werden viele Theorien und Hypo-
thesen, mit denen die Vorgeschichte heute noch in starkem Maße arbeiten muß, verschwin-
den und gesicherte Grundlagen für die Weiterarbeit vorliegen. W. Buttler, Köln.
1) Siehe auch Kunkel, Germania 18, 1934, 178.

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