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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 1.1862

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Nr. 12 (Dezember 1862)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6483#0048
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Das Streben die leeren Flächen mittelſt der Architektur
ſelbſt zu beherrſchen, verfolgte darauf der gothiſche Bau-
ſtyl mit ſolcher Entſchiedenheit, daß in ihm Alles Leben und

Geiſt haucht, ſo daß er der künſtlichen Farbengebung weit we-

niger bedurfte. Struktur und Material gehen ihm Hand in

Hand, ja bedingen einander derartig, daß dem Material

und ſeiner Natur ihre Rechte erwachſen durften. Selbſtver-
ſtändlich verfolgte die Gothik dieſes Ziel anders im Hauſteine,
anders im Backſteine, noch anders im Holzbaue.
Und welchen Eindruck die Formenbildung des Ma-
terials wie in der frühern romaniſchen ſo insbeſondere den
gothiſchen Kirchenbauten hervorzubringen vermag, kann man
in dem Dome zu Worms zuerkennen, deſſen Inneres vielleicht
die Hälfte ſeines erhabenen tief feierlichen Eindrucks einbüßen
würde, wenn nicht die anderwärts ſo greuelvoll wirkende Tün-

cherei hier ſein dunkelbraunrothes Quaderwerk bis zur Stunde
verſchont hätte; noch mehr aber in dem gothiſchen Dome zu Hal-

berſtadt, der Lorenzkirche Nürnbergs, und in den reſtaurirten
Domen zu Baſel und Straßburg, wie in der Elifabethenkirche
zu Marburg. In den drei letztern iſt jetzt nach glücklicher Be-
ſeitigung der Tünche die ganze Pracht des majeſtätiſchen Innern
hervorgetreten.
behauptet durch dieſen Material⸗Eindruck ihre wohlthuende
Belebung. ö
Und auf die Sache ſelbſt eingehend kann man, wie Kallen-
bach ſehr treffend erläutert hat,) dieſem Syſteme, durch das
Material der Bauſteine eine lebensvolle Wirkung zu erzeugen,
auch eine gewiſſe ſymboliſche Grundlage wohl nicht abſprechen.
Wurden ja ſchon in den älteſten Zeiten des Chriſtenthums die
Chriſtgläubigen öfters mit Steinen, mit gut behauenen Bau-
ſteinen verglichen. So nennt der hl. Petrus die Chriſten le-
bendige Steine (I. Petri 2, 5.) und im Hirten des Hermas
kommen an mehreren Stellen ähnliche Vergleiche nuter verſchie-
denen Beziehungen vor-
ſion: „der Thurm, deſſen Bau du ſiehſt, bin ich, die Kirche
— Vernimm nun das nähere von den Bauſteinen. Jene
ins Geviert gearbeitet und weiß und wohl in ihre Fugen paſ-
ſend, ſind Apoſtel und Biſchöfe, Lehrer und Diener, welche in
der Gnade Gottes gewandelt“ n. ſ. w. Dann beſonders im
dritten Buch dem 9. Gleichniſſe Capitel 15 und 16:
„Was bedeuten jene Steine, welche aus der Tiefe für den
Bau zubereitet werden? Die 10 im Grundbau bezeichnen das
erſte Jahrhundert; die folgenden 25 das zweite Jahrhundert
der Gerechten; die 35 die Propheten und Diener des Herrn;
die 40 aber die Apoſtel und Lehrer des Sohnes Gottes.“ Auch
das Mittelalter hat dieſe ſymboliſchen Beziehungen ſehr wohl
gekannt. So ſchreibt der Biſchoſf Durandus von Mende:
„Unter dieſen Steinen werden einige getragen und tragen ſelbſt
nicht, wie die Einfalt; andere werden getragen und tragen zu-
gleich wie die untergeordneten Prieſter; andere tragen bloß und
ruhen nur auf Chriſtus ihrem Grunde, nämlich die Vollkom-
menen und hohen Würdenträger. Alle aber verbindet in Eins
der Mörtel der Liebe, daß ſie als lebendige Steine in den
Fugen des Friedens zuſammenhalten.. (Rationale divinorum
officiorum.) —1
Wenn nun die geſammte Vorzeit die Wände ihrer Kirchen
in ſo gehaltvoller Weiſe aufzufaſſen und zu behandeln verſtand
was ſoll dann wohl jene gleichmachende, auffallende, an ſich
nichts ſagende, und doch ſo allgemeine und beliebte moderne
Tünche, ſei es in weiß, graugelb oder irgend ſonſt welcher
Farbe? Sie macht höchſtens das Innere monoton, und verwickelt
noch das äußerlich ſprechende hiſtoriſche Alter der Kirchen mit
dem ſcheinbar erneuerten Innern in Widerſpruch.

Ouartalblatt des Vereins der Erzdbiöceſe Bamberg für chriſtliche

Kunſt⸗Archäologie 1857 Nro. 1.

Selbſt die der Form nach ſtarre, glatte Fläche

So im erſten Buche der dritten Vi-

Was iſt hier zu thun? Ueberall die Tünche wegzuſchaffen,
wo nach der urſprünglichen Abſicht und Ausführung der Baues

das wohl gewählte und kunſtvoll zuſammengefügte Baumaterial

die innern Theile der Kirche beleben und ausdrucksvoll ma-
chen ſollte. Im beſten Falle wird die Tüncherkruſte, welche
häufig leicht abzufallen trachtet, zunächſt wieder entfernt, und
ſo die urſprüngliche Beſchaffenheit wieder hergeſtellt werden
müſſen. Wo dieſes aber nicht thunlich oder nothwendig, ſtelle
man über derſelben den Materialton derartig her, daß die Qua-
dern, als wären ſie natürlich, ſich von einander unterſcheiden,
wobei im Backſteinbaue namentlich auch die Fugen nicht ver-
geſſen werden dürfen. ö
Die Kunſt ergreift hier ein Mittel, die vernachläßigte oder
corrumpirte Natürlichkeit in ihr Recht zurück zu führen; und
ſoll einmal der Pinſel walten, ſo denken wir dürfte wohl keine
andere Weiſe als gerade dieſe am nächſten liegen. Auch for-
dert eine derartige Umwandlung einen nur geringen Mehrauf-
wand an Koſten; an Geſchick dagegen einen ungleich größeren
als die beliebte Egaltüncherei. Insbeſondere kommt es hier auf
die Farbentöne an, welche denen des verwendeten Materials,
der manigfachen Stein⸗ oder Holzgattungen, gleichen. Weiter
iſt zu beachten, ob das Innere einer Kirche dunkler oder hel-
ler, und aus dieſen oder noch andern nahe liegenden Gründen,
hellere oder dunklere Farbentöne ſich empfehlen. Zuletzt iſt noch
eine geübte Geſchicklichkeit erforderlich, die abwechſelnden Far-
bentöne ſo maleriſch zu verwenden, wie ſolche der natürliche
Zufall durcheinander gewürfelt haben würde.
Unnd in derartigen Verſuchen iſt in neueſter Zeit Außer-
ordentliches geleiſtet worden, ſo daß die imitirte Aehnlichkeit
oft nicht nur frappant iſt, ſondern die Nachbildung kaum
vermuthet wird.
Nur dann erſt, wenn das Mauerwerk auf ſolche Weiſe

ſein begründetes Gepräge erhalten, ſollte man zur weitern Aus-

ſtattung der Kirchen, ſei es mittelſt weiterer Farben auf den
Wänden, oder der Farben⸗Betonung des Kirchenmeublements,
übergehen, um ſo einen erfreulichen Vollklang, nicht aber ein
buntſcheckiges, abſtoßendes Gemiſch zu erzeugen.
Die vorſtehenden Erörterungen legen wohl an dieſer Stelle
nichts ſo nahe als den Wunſch: unſer Freiburger Münſter in
nicht zu weiter Ferne alſo in ſeinem Innern reſtauirt zu
ſehen, um dem Wunderbau durch Aufdeckung der Naturfarbe ſei-
nes an den Wänden verwendeten und kunſtreich zuſammenge-
fügten Steinmaterials die volle Pracht und Schönheit zu ver-
leihen! Die vielen Erfahrungen, welche bei der Reſtauration
der Dome zu Baſel, Straßburg und Marburg, und in dieſem
Augenblicke noch an der Pauls⸗Mund Liebfrauen⸗Kirche zu Eß-
lingen gemacht wurden, könnten trefflich verwendet werden, um
dem ſchönſten und vollendetſten Dome der mittelalterlichen Go-
thik die gereifte Frucht der Kunſtbeſtrebungen der Neuzeit als
eine neue Zierde zu weihen. Der dieſſeitige chriſtliche Kunſt-
verein wird die Erreichung dieſes Zieles ſtets als ſeine ſchönſte
Aufgabe betrachten. ö ö
Schließlich müſſen wir noch der ziemlich weit verbreiteten
falſchen Meinung entgegen treten, daß nämlich die gothiſche
Bauweiſe wegen der bezeichneten Tendenz wie ihrer Natur
nach der Wandmalerei ungünſtig ſei und dieſe verſchmäche. Es
genüge ſtatt zahlreicher anderer Beiſpiele auf den Freiburger
Münſter und ſeine Theile aus der Zeit der edelſten Gothik zu
erweiſen. In der Vorhalle des Thurmes waren die Seiten-
wände urſprünglich bemalt, ja auch die reichen Figurengruppen
des Giebelfeldes ſind durch Farbentöne expreſſiver gemacht.
Dies wird uns veranlaſſen in den Kunſtblättern des näch-
ſten Jahres von der Polychromie und dem Bilderſchmucke
der Kirchen, ihrer Natur und ihrem Verhältniſſe zur Architek-
tur ſpeciell und ausführlich zu handeln; aber auch die glückli-
 
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