Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 15.1876

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7193#0001
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kunſtblätter.

Chriſtliche

Organ des chriſtlichen Kunſtvereims der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 156.

Domine dilexi decorem domus iuae. Ps. 25, 8.

1876.

J. St. Michael am Perlachthurm zu Augsburg.

als im Jahre 1526 der Magiſtrat der Stadt Augsburg den
im Jahre 987 erbauten Perlachthurm bis auf die Hälfte
abbrechen und höher als zuvor wieder aufbauen ließ, am
Michaelistage, an welchem in Augsburg von jeher der
wichtigſte Markt gehalten wird, ſtatt des bisherigen Götzen-
bildes mit einem Male das Standbild des Erzengels Michael,
einen Drachen tödtend, zu erblicken. Ueber Alles war die
Freude des Volkes, und es konnte ſich Niemand an dieſem
ſchönen Engel ſatt genug ſehen, noch weniger ihm ſtark
genug huldigen. Durch die Länge der Zeit iſt aber dieſer
holde Jüngling, dem von dem Volke der Name Thurm-
Michele beigelegt wurde, zum Alter übergegangen, worauf
dann im Jahre 1616 auf Befehl des Magiſtrats Chriſtoph
Murmann ein neues Michaelisbild ſchnitzeln mußte und der
damalige geſchickte Uhrmacher Hans Schlym wußte dieſes
Bild mit ſeinem neu verfertigten Uhrwerke in Verbindung
zu bringen, wodurch denn der Engel mit jedem Schlage der
Stunden-Glocke den Speer dem Drachen in den Rachen ſtieß,
dabei er die beiden Arme und der Drache ſowohl den Kopf
als auch ſeine Füße bei jedem Stoß in Bewegung ſetzen.
Die Freude über dieſe Darſtellung war bei dem Volke un-
gemein groß, wie äußerſt zahlreich der Zulauf von der Stadt
ſelbſt, als auch von den benachbarten Gegenden war; und
weil die Erſcheinung des Thurm-Michele alle Jahre am
beſagten Tage regelmäßig geſchah, ſo konnte ſich die Stadt
Augsburg auch immerhin eines zahlreichen Zuſpruches in
Beziehung auf Conſumtion und des Handels erfreuen.
Jedoch durch den im Jahre 1805 erfolgten Preßburger
Frieden fiel die ehemalige freie Reichsſtadt Augsburg an
die Krone Bayern. Dieſe in allen Verhältniſſen ausge-
zeichnete Stadt wurde nun im Jahre 1806 zur Haupt-
Provinzialſtadt der bayeriſchen Provinz Schwaben erhoben,
ſohin auch einer neuen Verfaſſung unterworfen. Unter
dieſer Regierung wurden nun mehrere Veränderungen ge-
troffen, die ſich zu dem damaligen Zeitgeiſte eigneten, und
ſo kam es auch, daß unſer allgemein beliebter Thurm-
Michele nicht mehr erſcheinen durfte: er wurde in den
Bann gethan, an die Wand gefeſſelt, und leider war von
ihm nun ichts mehr zu ſehen. Als im Jahre 1818 der

Jn einem kleinen in der Rösl'ſchen Buchdruckerei im
Jahre 1822 gedruckten Schriftchen mit dem Titel: ,,Das
Kunſtwerk am Perlachthurme zu Augsburg, Thurm-Michel
genannt'', heißt es: Die Stadt Augsburg reiht ſich hin-
ſichtlich ihres Alters in die Zeiten des Heidenthums, und
es iſt nicht zu zweifeln, daß ſchon vor den Römern deutſches
Volk in derſelben gelebt habe. Sie iſt gleich merkwürdig
nicht nur durch ihr Entſtehen, ihre Schickſale und die darin
ſich ereigneten Begebenheiten, ſondern auch wegen ihren vor-
trefflichen Straßen, ſchönen Gebäuden, großen Gärten und
anderen ausgezeichneten Waſſer- und Kunſtwerken.
Unter den vielen Kunſtwerken verdient nun heute unere
beſondere Aufmerkſamkeit das auf dem Perlachthurm befind-
liche ſchöne Uhrwerk und viel mehr die weiter unter dem-
ſelben durch das Uhrwerk in Bewegung geſetzte Statue, jetzt
den einen Drachen erlegenden Erzengel Michael vorſtellend,
die nur an zwei Tagen des Jahres, nämlich an dem Vor-
abende des Michaelisfeſtes und am Michaelisfeſte ſelbſt aus
dem Thurme tritt und unter großem Zulaufe und Zujauchzen
der Kinder und des Volkes aus der Stadt und Umgegend,
zu jeder Stunde, bei jedem Glockenſchlage des Uhrwerkes
dem unter deſſen Füßen liegenden Drachen mit ſeinem Kreuz-
ſtabe einen Stoß verſetzt.
Schon in dem alten Heidenthume war die Erſcheinung
einer Statue, damals die Göttin Ciſa vorſtellend, unter vielem
Zulauf und Jubel von dem Volke in einer ihrer damaligen
Art üblichen Huldigung gefeiert. Als nun im ſiebenten Jahr-
hundert die Ausbreitung der chriſtlichen Religion auch in
Augsburg ihren erwünſchten Zweck erreichte und das Volk,
beſonders die muntere Jugend ein Vergnügen darin fand,
dieſem aufgeſtellten Götzenbilde wenigſtens des Jahres ein
Mal bei ſeinem Anblicke ihre Freude laut zu äußern, ſo
ließen die damaligen Regenten der Stadt Augsburg dem
Volke dieſes unſchuldige Vergnügen recht gerne und fanden
keinen Beruf, ihm dieſe Freude zu entziehen oder die Ge-
wohnheit des Schreiens und Jubelns beim Erſcheinen dieſer
Statue zu verbieten. Doch wie erſtaunt war aber das Volk,
 
Annotationen