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Hälfte. *) Die Massen haben sich durch die Herrlichkeiten hindurchgedrückt, wie sie
durch die Säle eines königlichen Schlosses sich hindurchfnhrcn lassen. „Es ist eben
nichts drin gewesen für den gemeinen Mann," sagte ein schwäbischer Bauer auf der
Heimfahrt. „Eins doch," erwiderte sein Nachbar, „die schönen Gäule!" Er meinte
die hölzernen Pferde, welche zur Schaustellung der Prachtgeschirre den Pracht-
wagen der Wagenfabrikanten vorgespannt waren. — Unmittelbar Einleuchtendes,
Ansprechendes, Packendes hat das Volk in diesen Kunstgewerbe- und Kunstaus-
stellungen allerdings nichts finden können. Nicht bloß weil es selbst seit zwei
Jahrhunderten der Kunst entwöhnt und entfremdet ist, sondern weil die hier
dargebotene Kunst ihm innerlich fremd cntgegentritt. Die Seele unseres Volkes,
soweit sie nicht auch bereits durch das Lesen und Sehen der ungezählten Menge
illustrirter Blätter und ihres überreichen Holzschnitt- und AbklatsH-Schundes ab-
gestumpft ist, wäre immer noch vorzugsweise empfänglich für religiöse Kunst.
Was ans der h. Schrift durch Schule und Haus sich im Innersten eingelcbt
hat, das im äußeren Bilde wieder zu erkennen, damit eben sein eigenes tiefstes
Wesen und sein höchstes Ideal gegenständlich anzuschanen, ist noch ein Volks-
bedllrfniß, dafür gibt es auch ein Volksverständniß, während alle die Landschaf-
terei, Historien- und Genremalerei nur wenig oder gar nichts beim Volke ver-
fängt. — In der mit der Landesgewerbeansstellung in Stuttgart verbundenen
Kunstausstellung war ein einziges biblisches Gemälde: eine Hagar mit dem jungen
Ismael. Eine schwäbische Bauersfrau kam aus ihrem entlegenen Dorfe nur
deßwegen in die Ausstellung, um das Bild der Hagar zu sehen, von dem sie
gehört hatte; aps ihrer biblischen Geschichte war sie ihr bekannt, und die Be-
kannte wiederzusehen scheute sie nicht Geld und Mühe. Auch die Gruppe des
verlornen Sohnes, der zu seinem erbarmungsvollen Vater gekommen ist, von
Bildhauer Bach in französischem Kalkstein ausgeführt und in: Palmenhause Vor-
theilhaft ausgestellt, wurde von Landleuten viel besucht. Außerdem war nur
noch ein Apostel aus Sandstein vorhanden und neben dem für katholische Kirchen
bestimmten, sehr modern geformten und gemalten Bildwerk nichts für das evan-
gelische Gemüth in der Ausstellung.
Auf welch ein reiches Erbe und auf welch eine reiche Saat hat die heutige
Künstlerschaft in ihrer gegenwärtigen Sonnenferne verzichtet! Mögen die
Künstler für die Schlösser der Großen und für die Prunkhäuser der Reichen
noch so viel zu thun haben, so lange sie dem Volk und seiner Kirche und seiner
Bibel sich nicht wieder zuwenden, wirds kein Kunstleben geben. Aber freilich,
das Heilige mit heiligen Händen anfasscn, das ist eine Kunst. Wenn nichts Wür-
digeres geleistet werden kann, als z. B- in der Ulmer illustrirtcn Bibel oder
von Plockhorst und Genossen geschah mit dem im letzten Jahre abgeschlossenen
allermeist ebenso effektvollen als weihelosen Bilderwerkc: „Von Bethlehem bis
Dank auch dem guten Wein und Bier, über dessen Verbrauch von den Blättern ganz
nach dem materialistischen Zeitgeist pünktliche Mitthcilnngen gemacht wurden. (So wurden bei
der Stuttgarter Ausstellung allein im Monat August 132N00 Liter Bier getrunken; ebenso hoch
belief sich die Anzahl der Besucher im August: also 1 Liter auf den Kopf, ob Männlein oder
Fräulein.)
 
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