Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
94

kennzeichnet als „die Zeit der Stilzersplitterung oder der Stillosigkeit, die im all'
täglichen Leben die größten Geschmacklosigkeiten duldet, im Privatban sowie in
der Hauseinrichtung und in den gewerblichen Erzeugnissen aller Art. Von einer
deutschen Kunst, im Sinn einer höchsten Äußerung des Schönheitssinnes der
Nation kann jetzt keine Rede mehr sein." Die Kunst hatte keinen Volksboden
mehr. „Die Künstler schufen sich ihre eigene Welt und bildeten einen ganz be-
sonderen Stand. Die Kunstgeschichte wird zur Künstlergeschichte. Von einem
Zusammengehen der drei Künste unter einander ist keine Spur mehr." Um so
leuchtender heben sich von der allgemeinen Elendigkeit die einzelnen großen klassi-
schen Meister ab, vor allen die glänzenden Namen Schinkel und Rauch. Ihnen
ist der erste Abschnitt mit 26 Bildern gewidmet. Dann werden Cornelius, Over-
beck und die Gesinnungsverwaudten, Runge, Schnorr, Führich, Genelli, Rottmann
gewürdigt und mit 57 Bildern zur Anschauung gebracht. Im letzten Abschnitt
endlich werden „andere Richtungen" geschildert: die klassische in den hervorragen-
den Bildhauern Rietschel, Drake, Kiß, die religiös-romantische in den beiden Eber-
hard und in Achtermann, die romantisch-klassizistische und deutsch-patriotische in
Schwanthaler, die moderne Renaissance-Baukunst in dem geistvollen Semper,
die moderne realistische und koloristische Malerei in der Düsseldorfer Schule, weiter
die Münchener Kaulbach und Schwind. Einen gewaltigen Gegensatz bilden einer-
seits Ludwig Richter, „einer der gemütvollsten Künstler aller Zeiten, dessen Schöpf-
ungen eine Verbreitung gefunden haben, wie sie seit Dürers Zeiten nicht wieder
dagewesen war, andrerseits der geistvolle Wirklichkeitsmaler A. Menzel, dessen
400 Illustrationen zur Geschichte Friedrichs des Großen einen Markstein in
der Geschichte der deutschen Kunst bilden." Mit dem großen homerischen Land-
schafts- und Sittenmaler Preller und mit Alfred Rethel, welcher „packende An-
schaulichkeit, hohe Schönheit und Gedankenreichtum vereinigt, und eine Kraft für
die Darstellung des Großartigen und Erhabenen in wahrhafter und fest und sicher
charakterisierender Gestalt besessen hat, wie seit Dürer kein Deutscher" — schließt
H. Knackfuß seine Geschichte der deutschen Knust. Auf der letzten Seite nimmt
er von unserm Jahrhundert den Vorwurf der „Geschmacklosigkeit" insoferne zu-
rück, als „ein Jahrhundert, das so rechte, selbständige und schaffensstarke Künstler-
persönlichkeiten wie die drei letztgenannten, hervorgebracht hat, seines Ehrenplatzes
in der Kunst gewiß sein kann." Zu den erfreulichsten Zeichen unserer allerjüngsten
Zeit rechnet er, daß das Kunstgewerbe sich wieder zu heben beginnt; denn „die
Kunst im Handwerk, und damit im Hause dient viel sicherer zum Maßstab für
das Kunstleben einer Zeit, als die sogenannte hohe Kunst." Wenn zum Schluß
gerühmt werden darf, daß Kugler und Schnaufe „die Pflege der Kunstgeschichte,
das Gebiet geschichtlicher Kunstbetrachtung weiten Kreisen erschlossen haben und diese
einen von der Befangenheit des Modegeschmacks unabhängigen Genuß der Kunstwerke
erleichtert," wenn dieser Gewinn wirklich schon „ein unermeßlicher" ist trotz der in
weitesten Kreisen noch herrschenden Urteilslosigkeit in Kunstsachen und trotz der Ab-
hängigkeit deutscher Künstler von der Pariser Mode, so wird auch diese schöne und
gediegene „Deutsche Kunstgeschichte" durch Wort und Bild an dem Verdienste der Vor-
gänger teiluehmen und ein Gewinn für unsere deutsche Bildung genannt werden dürfen.
 
Annotationen