Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 3

Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus

75

zu hören, das wohl in dunkelster Stunde zu entweichen droht, aber sofort sich wieder
so lebendig und stark einstellt, daß man den Eindruck hat: es ist für Augenblicke
getrübt, aber nie vernichtet gewesen. Vas wollen wir hören und schauen, wenn
wir am Karfreitag Rast machen unter dem Kreuz.
Aber wir sollten nicht bloß hören und sehen, wir sollten, wir müssen am
Karfreitag etwas erleben, wenn die Aast einen Wert haben soll; etwas
erleben tief drin in unsrer Menschenseele. Unsre zwei Wanderer auf dem Bild
haben bei ihrer Rast unter dem Kreuz etwas erlebt - eine Erquickung, weil
sie die Käst benützten zum Ausruhen. Können wir nicht auch bei unsrer Käst
unter dem Kreuz eine Erquickung erleben? Gder vielleicht etwas andres? Erleben
müssen wir etwas, ob wir am Karfreitag im Evangelium die Geschichte vom
Sterben Iesu lesen, ob wir ein Uarfreitagslied vornehmen, in eine Karfreitags-
betrachtung uns vertiefen, ob wir beim heiligen Abendmahl den Kreuzestod Christi
fleißig und gläubig betrachten! Aber was müssen wir erleben? vor allem ein
Gericht Gottes über die Sünde. Und zwar nicht bloß über die menschliche Sünde
im Allgemeinen, sondern über unsre Sünde. Sieh, wie man mit Jesus umge-
gangen ist! Damals! Aber wie gehen denn wir mit ihm um? Sieh, wie man
mit Gott umgegangen ist damals, als man seinen Sohn, den Bürgen seiner Liebe,
ans Kreuz schlug! Aber wie gehen denn wir mit Gott um? Sollten wir unter
dem Kreuz rasten können, ohne uns im Gewissen getroffen zu fühlen? ohne in
unsrem Gewissen ein Gericht zu erfahren darüber, daß wir so oft uns von dem
Gott getrennt, den Gott mißachtet haben, der immer nur unser Bestes will?
Nimm ein Passionslied vor, welches du willst. Du wirst in jedem finden, daß
die frommen Dichter bei ihrer Uast unter dem Kreuz etwas erlebt haben und
zwar eben dieses Gericht über die eigene Zünde. Kein Wunder, Gerhardt muß sagen:
Ich bin's, ich sollte büßen,
5ln Händen und an Füßen
Gebunden, in der Gual;
Vie Geißeln und die Banden,
Und was du ausgestanden,
Hab' ich verdienet allzumal.

Aber das ist nicht alles, was wir bei unsrer Käst unter dem Kreuz erleben
können, erleben sollten. Gottlob, daß wir auch noch etwas andres erleben dürfen.
Sieh, wie Iesus dort für seine Feinde bittet und zwar um Vergebung! Sieh, wie
er dem Schächer das Paradies verheißt! Den Feinden Vergebung, dem Schächer
das Paradies! Spürst du, was das heißt? Bedenke: Iesus weiß, daß erbitten
darf, daß er verheißen darf. Ist dir da nicht, wie wenn in dir eine ungeheuer
große, überwältigende Gewißheit aufleben würde? Die Gewißheit: es gibt einen
gnädigen Gott, einen Gott, der auch für Sünder Vergebung, Leben und Selig-
keit bereit hat! Einen Gott, dessen Vaterherz auch dem offen steht, der sich von
ihm verirrt, vielleicht weit verirrt, vielleicht losgemacht hat! wenn du davon
etwas spürst, dann hast du unter dem Kreuz das erlebt, was für arme, betrübte,
 
Annotationen