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394
Christliches Kunstblatt für Xirche, Zchule und Haus
Nr. l l

im Gegensatz zu den Funktionen des sinnlichen Gefühls und des sittlichen Wohl-
gefallens. Die interesselose Betrachtung, bezieht sich nur auf die Vorstellungsform,
nicht aus den empirischen Inhalt. Vas Wesen ästhetischer Betrachtungsweise liegt
also in einem Verhältnis der Vorstellungsfunktionen. Wies Wohl-
gefallen setzt Zweckmäßigkeit des Gegenstandes voraus. Das ästhetische Wohl-
gefallen bezieht sich auf eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck, ohne Absicht.
Jede Absichtlichkeit verstimmt den ästhetisch Genießenden. Für die rein ästhetische
Betrachtung ist die Harmonie zwischen Sinnlichkeit und verstand,
den beiden Grundfunktionen der Vorstellung, das Zweckmäßigste. Diese Zweck-
mäßigkeit gibt das ästhetische Gefühl vom Schönen. Die Kritik der reinen Ver-
nunft hat gezeigt, daß Verknüpfung von anschaulicher und verstandesmäßiger
Funktion eine Sache der Einbildungskraft ist.
Schönheit ist also Harmonie von Anschauung und Denken als
Funktion der Einbildungskraft. Das ästhetische Gefühl ist ein Gefühl
a priori, also allgemeingültig der überindividuellen Organisation der menschlichen
Vernunft angehört. Daran ändert auch die empirische Tatsache der Verschieden-
heit ästhetischer Urteile nichts. Vie Bedingung der Interesselosigkeit der
Betrachtung beim Zustandekommen eines ästhetischen Gefühls macht eben das
ästhetische Urteil abhängig von individuellen Neigungen und Stimmungen. Weil
das Schöne in seiner begrifflosen Zweckmäßigkeit nicht logisch bewiesen, sondern
nur gefühlt werden kann, deshalb ist ästhetischer Streit unentscheidbar. Das
ästhetische Gefühl ist aber mitteilbar an jeden, der nicht individuell für rein
ästhetische Betrachtung beschränkt ist. Kant sagt darum, daß es keine ästhetische
Doktrin, sondern nur eine allgemeine Kritik der Ästhetik gibt.
Kants ästhetischer Begriff ist eng: die freie Schönheit gibt es nur da,
wo gar keine Zwecke sind, also in der idyllischen Natur, in Blumen, Arabesken,
nur da, wo Spiel der Formen ist, das Sinnlichkeit und Denken in Harmonie
setzt. Kant muß daher sein Gebiet selbst erweitern zur „anhüngenden Schönheit",
deren oberster Ausdruck der Mensch ist als höchster Gattungstypus, von dem
die Schönheit abhängig ist: die menschliche Gestalt ist das Ideal der
ästhetischen Vernunft. — Nur ein Wesen wie der Mensch, das der sinnlichen
und übersinnlichen Welt zugleich angehört, kann ästhetische Urteile produzieren.
Windelband sieht in dieser Beschränkung der ästhetischen Funktion auf das
Schöne einen Mangel insofern, als Kant bei der Definition des Erhabenen
ästhetische Tätigkeit und moralisches Bewußtsein zusammenschließt, vom
theologischen Standpunkt aus wird man Kant bei dieser ethisch-ästhetischen Fassung
des Erhabenen, die in Schiller so reiche Früchte getragen hat, volles Verständ-
nis entgegenbringen, da diese Definition sich an die empirischen Tatsachen hält.
Mit dem Begriff des moralfreien Zwecklosen kommen wir nur in den Vorhöfen
der Ästhetik aus. Schon die „anhängende Schönheit" — die „menschliche Ge-
stalt als Ideal der ästhetischen Vernunft" zeigt, daß ohne Zweckbegriffe nicht
auszukommen ist. Die menschliche Gestalt ist schön in der Harmonie von An-
 
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