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396

Nr. II

Christliches Runstblatt für Rirche, Zchule und ^aus

Necht. Dieses Wohlgefallen am Erhabenen ist nichts Abgeleitetes, zufällig Mora-
lisches, sondern etwas Notwendiges, das in den praktischen Willen eingeht. Nein
ästhetisch bleibt dieses Wohlgefallen, wenn es sich uninteressiert und bedürfnislos
an der bloßen Betrachtung des Gegensatzes zwischen übersinnlichen und sinnlichen
Forderungen auslebt. Ja, Nant geht noch weiter. Wir konnten uns auf Grund
der empirischen Tatsachen (siehe die späteren Auseinandersetzungen mit Nonrad
Lange) daran genügen lassen, daß ein Teil der Menschheit, sagen wir der
theologisch-ethisch interessierte, nicht ohne moralisches Wohlgefallen diesen Nampf
des Erhabenen betrachtet und ein anderer Teil der Menschheit, die reinen Ästheten,
sich an objektiver Betrachtung des ästhetischen Kampfspiels der Kräfte erfreuen.
Aber wir Theologen haben keinen Grund, dem Philosophen Kant nicht noch in
der schärferen Fassung weiter zu folgen. Kant sagt, daß auch das ästhetische
Interesse abhängig sei vom sittlichen Interesse an der Unterwerfung des Sinn-
lichen unter das Übersinnliche. Diese eine Seite des sittlichen Zwecks, der das
Erhabene bedingt, verleiht ihm schon allein das Notwendige und Allgemeingültige,
wobei die Apriorität des ästhetischen Moments nicht geleugnet wird.
Das durch das Erhabene, sagen wir einmal das durch die religiöse Kunst
bedingte harmonische Gefühl der Schönheit zeigt unser Doppelwesen in Harmonie:
das Erhabene weckt den Gegensatz von Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit in uns
und bezwingt das Unlustgefühl des Kampfes durch das Siegesgefühl unsrer
höheren übersinnlichen (Qualität über die sinnliche. Das Erhabene bringt uns
zum Bewußtsein unsre eigene übersinnliche Bestimmung, das Schöne die Harmonie
unsres sinnlich-übersinnlichen Wesens.
Sofern Kant aber das Erhabene in die moralische Begriffssphäre gestellt hat,
hat er auch — bewußt oder unbewußt — seinen ästhetischen Begriff moralisiert
im Sinne der allgemeingültigen und notwendigen Menschheitsaufgabe.
Und deshalb werden wir Theologen am besten bei Kants philosophischer
Ästhetik grundsätzlich beharren, wenn wir auch der modernen, völlig tendenziösen
Ästhetik gegenüber Modifikationen gelten lassen. Kant hat — nur als versuch
- aus seiner Ästhetik auch ein System der Künste entwickelt: Aufgabe der
Kunst ist schön wirkende Gegenstände zu erzeugen. Sie scheidet sich als „schöne
Kunst" von der Kunst der Annehmlichkeit und Nützlichkeitstechnik. Ihr Ideal
ist der sinnliche Mensch in all seinen Erscheinungsmöglichkeiten. Der Mensch
äußert sein sinnliches Wesen in der redenden, bildenden und tönenden Kunst.
Die Poesie ist Kant Königin, weil sie die menschliche Phantasie am freiesten ent-
wickelt. Diese Kunst aber ist bewußte, absichtliche Erzeugung des Schönen
und Erhabenen. Das Schöne aber ist absichtslose Zweckmäßigkeit. Die
Produkte der Kunst müssen auf den Genießenden den Eindruck der absichtslos
schaffenden Natur machen. Damit ist der Zwiespalt zwischen Absicht und Absichts-
losigkeit im Werk des Künstlers gelöst. Die Kunst muß Darstellung der Natur
sein, ihr so gleich, daß die Arbeit und Absicht des Künstlers völlig ausgelöscht
ist. Diese ursprüngliche Arbeit des Künstlers bedingt ein spezifisch von andern
 
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