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Nr. I I

Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus
Unabsichtlichkeit des Kunstgebildes, in der „naturnotwendigen Wirkung", mit
der die Gebilde des Künstlers mit jedem Schritt neue, unlernbare Geheimnisse
des Lebens auftun, offenbaren. Uuch Windelband weist darauf hin, daß Schiller
in seiner wahrhaftig großartigen Bedeutung für das deutsche Geistesleben selten
voll gewürdigt worden ist. Zchiller ist der Bahnbrecher geworden, der ein Jahr-
zehnt lang das poetische und philosophische Schaffen seiner Zeit beherrscht hat.
Und diese Rolle kam ihm zu dadurch, daß er Kant und Goethe in sich aufnahm
und in seinem genialen Wesen künstlerisch, harmonisch aussöhnte, ein schaffender
Künstler und ein ringender Charakter zugleich und gerade das gibt ihm zusammen
mit Goethe die heute noch nicht entthronte Vorherrschaft im deutschen Geistes-
leben, daß er als Genie zugleich Mensch, als Künstler zugleich sich selbst dar-
stellender Charakter war, daß er Genialität und Moralität verband, poetische
Naivität und philosophische Reflexion.
Ulle Probleme in seinen ästhetischen Schriften (Wesen der tragischen Kunst
— Unmut und würde - Vas pathetische - Vas Erhabene) haben immer den
letzten Gedanken im Uuge: das Verhältnis des ästhetischen und des moralischen
Lebens. Line volle Uusgleichung hat Schiller nie gefunden. Sie ist vielleicht
überhaupt nicht findbar. Je nach dem Individuum wird das eine oder andere
Moment überwiegen: als Dichter erschien Schiller das ästhetische Schaffen als
höchster Uusdruck menschlichen Wesens, als Denker und Charakter sah er diese
höchste Vollendung in der Herrschaft des sittlichen Zwecks, wollte man eine
Harmonie zwischen beiden suchen, so wäre, wie uns scheint, sie nur darin zu
suchen, daß man als Inhalt des ästhetischen Schaffens nur das gelten läßt, was
den Wert des menschlichen Wesens steigert — vollendet wollen wir nicht sagen.
In dem Begriff der bloßen Steigerung liegt die Relativität der künstlerischen Werte
und die Notwendigkeit ihrer Ergänzung durch andere außerästhetische Lebenswerte.
Diese wertsteigernden Inhalte des ästhetischen Schaffens aber dürfen niemals in
Widerspruch stehen mit dem personbildenden sittlichen Endzweck des Menschen.
wie sagen: man könnte nur auf diesem Wege eine Synthese der Schiller-
schen These vom wert des Ästhetischen und des Moralischen vollziehen. Ich bin
mir aber der Ungriffsfläche dieser Synthese wohl bewußt, besonders wenn sie
von einem Theologen kommt, verringern ließe sich allerdings die Ungriffsfläche
dadurch, daß man als sittlichen Zweck der Menschheit nicht spezifisch normierte
einzelne Moralsätze meint, etwa im Sinne des Moralisierens gewisser „Lehr-
gedichte" oder Dramen oder gewisser Sittengemälde — Musik ist in diesem ersten
Sinne die am meisten „moral"freie Kunst — sondern den Inhalt des ganzen
großen Sittengesetzes, ohne das eine Organisation menschlicher Wesen nicht be-
stehen kann. Daß dabei für Theologen das Sittengesetz Christi oberste Maxime
ist, würde gegen den Kantschen Begriff nicht leicht verstoßen. Erleichternd für
diese Synthese vom ästhetischen Schaffen und moralischen Endzweck der Mensch-
heit würde für uns Theologen das in Betracht kommen, daß wir — und da
haben wir wieder Goethe, von Herder nicht zu reden, auf unsrer Seite — auch
 
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