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Nr. I I

403

Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus
(Kant) oder wie Schiller sagt: Zustand und Tat zugleich- weder mit sinnlichen
noch mit sittlichen Bedürfnissen schauen wir die Natur an im Zustand der ästhetischen
Betrachtung. Durch diese Interesselosigkeit der Natur gegenüber befreit sich der
Nlensch selbst vom Naturtrieb und wird frei für den moralischen Zweck.
Wir fühlen dieser Schönheit Schillers sofort an, daß sie mehr Nealitäten hat
als der landläufige Schönheitsbegriff, daß er unbewußt schon sich füllen läßt von
moralischen Trieben, denn die ästhetische Abwendung vom niederen Naturtrieb
setzt doch schon, wenn auch absichtslose, ethische Einströmungen voraus. Für
dieses geheimnisvolle Nledium zwischen Natur und Geist hat Kant die Mystik
der Religion genommen. Ls ist vielleicht nur ein Streit um Worte wenn wir
sagen, daß auch Schillers ästhetisches Bildungsideal religiös infiziert ist,
auch wenn Schiller im Gegensatz zum bewußten moralischen Willen den Trieb
des ästhetischen Standes den Spieltrieb nennt. Denn die Wirkungen, die
dieser „Spieltrieb" ausübt, sind so wesentlich verschieden vom bloßen Spiel, daß
das ganze Kausalgesetz zerschlagen werden müßte, wenn nicht in der Ursache
„Spieltrieb" schon Keime des sittlichen oder nach Kant religiösen Wollens wären.
Daß der ästhetische Stand nach Schillers tiefen Gedanken tiefer zu werten
ist als bloß mit dem Spielbegriff, das scheint mir schon daraus hervorzugehen,
daß das ästhetische Leben des Menschen eigenstes Eigentum ist im Gegensatz
sowohl zum Tier als zur höheren Geisterwelt. - Diese harmonische Ausgleichung
des Sinnlichen und des Geistigen kann sich zur sittlichen Stufe garnicht erheben
ohne Revolutionen, d. h. um mit Kant zu reden: von der „abhängigen Schönheit"
geht der Weg über das „Erhabene" in der Schönheit zur moralischen Bestimmung.
Eine Bestätigung meiner Ansicht findet sich auch bei Windelband. Er weist mit
Recht darauf hin, daß Schiller schon in seinen „Künstlern" (1789) die Tendenz,
die Kunst oder die Schönheit als die Vermittlerin und Leiterin zur höchsten, zur
sittlichen Kultur darzustellen. Daß Schillers ästhetisch-ethisches Erziehungsideal
originale Gedanken sind zeigt die Tatsache, daß Schiller schon vor Kantffchen
Einflüssen den Inhalt dieses ästhetischen Zwischenzustandes eben in den „Künstlern"
beschreibt:
„verlerne nicht, die ffand zu preisen,
Die frühe schon der künftgen Geisterwürde
Vein junges fferz im Stillen zugekehrt
Und die befleckende Begierde
von deinem zarten Busen abgewehrt,
Die Gütige, die deine Iugend
In hohen Pflichten spielend unterwies
Und das Geheimnis der erhabnen Tugend
In leichten Rätseln dich erraten ließ.

G falle nicht mit ausgeartetem verlangen
Zu ihren niedern Dienerinnen ab!
Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein,
 
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