Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
404

Christliches Kunstblatt für Rirche, Zchule und ^aus

Nr. 11

Vein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern,
Vie Kunst, o Mensch, hast du allein!
Nur durch das Morgentor des Schönen
Drangst du in der Erkenntnis Land."

Mit diesen wenigen Versen füllt sich die Schale dieses ästhetischen Zwischen-
zustandes zwischen physischen und moralischen Menschen mit einem köstlichen Inhalt.
Zwei Dinge sind uns theologischen Ästhetikern wertvoll: l. Schiller weist die
Einleitung dieses ästhetischen Zustandes einer höheren „Hand" zu — sie gehört
dem „Erschaffenden". Damit ist das ästhetische Lrziehungsideal Schillers jeden-
falls schon vor seinen Kantstudien religiös orientiert. Daß es auch moralisch
orientiert ist und daß es sich dabei nicht um harmlosen Kinderspieltrieb handelt,
sagt der Dichter in den Begriffen: der spielenden Unterweisung in - „hohen
Pflichten" — „in erhabenen Tugenden."
In dem Briefwechsel mit Körner und Humboldt und den philosophischen
Schriften wird gerade der Gedanke von 1789 - aus den „Künstlern" Leitmotiv:
„Die Kunst, o Mensch, hast du allein!" Daß Schillers Schönheitsbegriff von den
„Künstlern" an mit höheren Motiven gesättigt war, zeigt eben die Entwicklung
dieses Begriffes bei Schiller, die zu den Prädikaten Freiheit, Harmonie der
sinnlichen und übersinnlichen Welt, ja Vollendung des Menschengeistes führt. Daß
gerade diese höchste Aussage von der Wirkung der Schönheit religiös bestimmt
ist, zeigt Schillers Anschauung, daß der Mensch gerade in dieser harmonischen
Schönheit Buhe finde vor den Schwankungen seines sinnlich-übersinnlichen Mesens.
Daß Schiller in einer Periode seines Lebens dieses Keich der Schönheit bei den
Griechengöttern fand, brauchen wir Theologen ihm nicht allzusehr zu verdenken.
Das gehört zu den Elementen seiner Reaktion gegen den unerbittlichen Ernst
des Kant'schen Moralprinzips. Uber diese Reaktionen sind Stimmungen. In seiner
Schrift über naive und sentimentalische Dichtung von 1795 hat er die Antike
als überwundene naive Weltanschauung abgelehnt und eine höhere Form naiver
Kulturbestimmtheit als fernes Ziel der Menschheit dargestellt. An anderen Stellen
„huldigt Schiller bedingungslos dem Moralprinzip Kants", sagt Windelband,
wir werden Schiller in die Gedankengänge nicht folgen, wo er den Kant'schen
Antagonismus von Neigung und Pflicht, der für Kant gerade das Merkmal des
moralischen Handelns ist, zu überwinden glaubt durch das Ideal: die ästhetische
Gewöhnung soll den Triebmenschen von selbst zur Veredlung bringen. An diesem
Punkte treten für eine theologisch bestimmte Ästhetik andere Faktoren auf. Das
Resultat des moralischen Entwicklungsprozesses hat Schiller völlig richtig und
psychologisch einwandfreier gezeichnet als Kant. Der sittliche Mensch handelt
nicht in Befehlsakten sklavischer Pflichterfüllung, sondern das Sittengesetz ist ihm
freier Wille geworden. Diesen geistigen Entwicklungsprozeß leistet aber nicht
das Schöne, nicht die Kunst, sondern nur die Religion. Dafür finden sich natur-
gemäß auch Gedankengänge bei Schiller. Er gibt zu, daß das Handeln der
schönen Seele, wenn es bloß aus natürlicher Gewöhnung und Anlage folgt, nichts
 
Annotationen