Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4Z4

Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus ^Nr.12

sehen, und daß doch die alte Sprache und die alten Bilder, in denen das alte Geschlecht
seine Gotteserlebnis formte, sich geben, als hätten sie die ewige Tatsache selber, in ewiger
Form gebunden. Ewig ist nur die Tatsache selbst, nämlich daß Gott als gesetzgebender
Wille in allem Erscheinenden lebt und alles Erscheinende ihn erlebt, weil es nur durch
ihn ist, und ihn mit Seligkeit erlebt, wenn es sich mit seinem Selbstschein vor sich selbst
aufgibt, um sich zu ihm zu erheben. Uber zeitlich und vergänglich sind die Worte, mit
denen wir diese innerste Tatsache nach außen bringen und zu Luftwellen und Gehör-
schwingungen formen, die Symbole und Bilder und Namen, aus menschlich-zeitlichen Er-
scheinungen hergenommen, die wir für das Unsichtbare einsetzen, weil wir glauben, durch
den Anblick dieses Bildes und den Mang dieses Namens werde unser Gefühl in die
Schwingungen versetzt, in die es kommt, wenn die ewige Tatsache selber in ihm sich be-
tätigt. Je mehr sich nun die Symbole häufen und je mehr Bilder und Ulänge auftauchen
aus verschiedenen Generationen und verschiedenen Zeiten, um so mehr ist die Gefahr da,
daß ein anders redendes und anders sehendes Geschlecht durch diese Formen und Ulänge
nicht mehr so bewegt wird, daß sein inneres Erlebnis dem entspräche, als würde es an-
gerührt von dem Leben des Lwiglebendigen. Dann aber fangen diese Formen und
Ulänge an zu bedrücken statt zu befreien, zu ärgern statt zu beseligen, und werden um
so mehr zur Last, je mehr sie auftreten oder angeboten werden mit dem Nnspruch, höch-
stes Gut zu verkörpern und höchste Ehrfurcht zu verdienen.
Lin Beispiel für tausend! Die ungeheure Vielgestaltigkeit der Wesen und Erschei-
nungen, die alle demselben Gesetz, demselben allmächtig spannenden Willen gehorchen, hat
vor einigen tausend Jahren zu dem Menschen gesprochen. Nedet nicht aus dem Feuer
dieselbe geheime Uraft? Muß es nicht flammen nach dem ewigen Gesetz? Bebt etwa
die Erde nach ihrer eigenen Willkür? Neden sie nicht alle von dem einen Meister?
„Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen." Und so hat man
in Nssyrien und Babylonien und dann auch im Lande des Volkes Israel Symbole dieser
Zwischenkräfte als Gotlesboten geschaffen, Engel und Geister, in fabelhaften Formen,
oft halb menschlich, halb tierisch, so die Mischung des Naturhaften und des Göttlich-
geistigen kräftig ausdrückend. Dem antiken Menschen, auch noch dem phantasievollen
Menschen des Mittelalters, redeten diese Gestalten aus der Seele und in die Seele. Wo
um ihn her alles lebte, wo Luft und Wasser, Waldweben und Nachtschauer belebt waren
von guten uud bösen Geistern, warum sollte nicht Gottes Wirken durch die Engel ge-
schehen, warum nicht die Wahl ihrer Flügel oder ihrer Füße von dem, was sie Gött-
liches wirken, eine beredte Sprache reden? Vie Engel in den Phantasiebildern der an-
tiken Welt waren ihm Wirklichkeiten, bei denen er etwas fühlte, das dem Erleben
Gottes gemäß war. Über der Mensch von heute? Gewiß, daß es Zwischengeister gibt
zwischen Gott und Mensch, das ist auch ihm nicht nur möglich, sondern das wird ihm bei
einer gewissen nicht pantheistischen aber panpneumatischen Weltanschauung (dem reinen
Idealismus) fast zur Gewißheit. Goethes Erdgeist, dem Binde phantastisch genug, erscheint
gerade dem reifen Mann unserer Tage eine sehr glaubhafte Möglichkeit. Aber ebenso
gewiß ist ihm, daß jeder versuch, ihre Erscheinung in irgend einer tier-menschhaften Form
darzustellen, ganz andere Gefühle in ihm auslöst, als die der religiösen Ehrfurcht, näm-
lich die des Grotesken, des verworrenen, vielleicht — nämlich wenn sie auf Wahrheit und
Verehrung ernstlichen Anspruch erheben des Abstoßenden und Unwahrhaftigen. Diese
Symbole haben für uns ihre Sprache verloren, es sei denn, daß uns ihr Symbolismus
bewußt bleibt und poetischen Sinn erhält.
Laßt die Wahrheit erleben; und nennt die Wahrheit mit Namen.
Vas ist die wirksamste religiöse Erziehung, die es geben kann; es ist die unüberwindliche.
Vie Symbole aber bringt zunächst auf die allereinfachste Form, laßt sie ganz weg, soweit
sie nur auf Umwegen die Wahrheit ausdrücken; und erst dem gereiften religiösen Sinn,
 
Annotationen