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Nr. 12

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Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus
dem feiner entwickelten Formgefühl, das zur verständnisvollen Freude an allen Urten
des Symbolischen erwacht ist, laßt die Fülle der Symbole näher treten, die die vergangenen
Geschlechter geschaffen.
Gott Vater.
Diese Gegensätze also müßt ihr zu versöhnen lernen: Liebe zum herzlichen Symbol;
Festigkeit in der unzerstörbaren Wahrheit.
In dem Augenblick, da ihr Gott Vater nennt, ihn sprechen laßt, zu ihm beten lehrt
(in dem Sinn, als sei ein Sprechen nötig und warte er auf gesprochene Worte), gebt ihr
Symbole, vermenschlicht ihr, leitet ihr die Phantasie an, zu gestalten. Das sollt ihr und
müßt ihr, um das herzliche Verhältnis herzustellen, das denn doch der letzten Wahrheit
entspricht. Aber damit nicht einmal die Phantasiebilder mit der Wahrheit in Streit ge-
raten und dann doch um der Wahrheit willen verworfen werden und eine gottlose, hilf-
lose, trostlose Wahrheit übrig bleibe, müßt ihr die Phantasiebilder alsbald mit der Wahr-
heit versöhnen, nämlich an dem Punkt, wo sie mit der Wahrheit zusammenkommen: daß
man diesen Vater nicht sehen kann, daß ihn kein Mensch je gesehen hat noch sehen kann,
daß er wohnet in einem Licht, da niemand zukommen kann.
Ihr glaubt, das ginge nicht? Ja das ist eben der tiefe, verhängnisvolle Irrtum
über die Größe geistiger Gestaltungskraft im Uinde, in der Menschenseele überhaupt.
Gewiß, indem ihr von dem geistigen Vater sprecht, ihn handeln, wirken, gebieten, strafen,
trösten laßt, wird alsbald die Einbildungskraft tätig. Sieht ihn, gestaltet ihn. Was
schadet es, wenn ihr ein Bild zeigt, wie mächtige, große, ehrfürchtige Gestaltungskraft
vergangener Geschlechter ihn gestaltet hat? Schnorr von Earolsfeld, wie Gott Vater in
Feiertagsruhe auf dem Pimmel thront, und die Erde ist seiner Füße Schemel; Michel-
angelo, wie der barmherzige Vater den Finger reckt, um den schlummernden Menschen
ins Leben zu rufen, ein Leben, das so göttlich sein könnte, wenn er es zu fassen und zu
halten verstünde. Durch das Schauen dieser Gestalten wird die Seele fühlen, was sie
fühlen kann, wenn sie der vollen, letzten Wahrheit sich bewußt ist. Sollten wir nicht
auch dem Binde helfen mit solcher Offenbarung? Aber wir wollen ihm auch alsbald
helfen, daß es sich nicht daran binde und daß das Symbol ihm Symbol bleibe. Daß
Gott unsichtbar ist und kein Mensch ihn gesehen hat, das sollt ihr hart daneben setzen.
Part? Nackt? verneinend? Part, ja, aber nicht nackt, nicht verneinend, sondern in
Fülle und bejahend. Daß Gott unsichtbar ist, das läßt sich positiv sagen: er ist da, jetzt,
hier, bei dir, bei dir, in unserer Stube. Er hört, was wir sagen, er sieht dich, mich,
hält uns in der pand, atmet in deiner Brust, pocht in deinem Perzen. Siehst du ihn?
Sehe ich ihn? Siehe, Gott ist unsichtbar, niemand hat ihn je gesehen. Diese Gewißheit
heißt es daneben setzen, neben jene wundervoll gestalteten Bilder, neben jene Gottes-
symbole. Und, damit es praktisch werde, die pände falten und ein Gebetchen zu ihm
sagen: „Lieber Gott, weil du doch hier bei mir bist und ich dich nicht sehen kann, aber
du siehst mich wohl — ich will dich ja lieb haben und gerne artig sein und nichts Böses
vor deinen Augen tun. Aber weil wir dich nicht sehen können, darum vergesse ich es
manchmal, daß du bei mir bist, und es kommt wohl vor, daß ich etwas Böses tue, und
du siehst es dann mit deinen Augen. Dann, lieber Gott, sei mir nicht böse und hilf mir
lieber, daß es mir wieder einfällt und ich an dich denke und ich wieder artig werde.
Denn ich will dich gerne lieb haben und dir gehorsam sein, lieber Vater im Pimmel."
Es ist von unaussprechlicher Wichtigkeit, von grundlegender, heilsamer, errettender Wich-
tigkeit, daß das Bind dies Bewußtsein von der Unsichtbarkeit Gottes, die ihm nur durch
seine Allgegenwart ganz begreiflich und ganz fühlbar werden kann, so früh und so fest
und so unzerstörbar in sein Leben aufnimmt, daß es alle anderen religiösen Vorstellungen
damit durchdringt und sättigt. Venn auf ihm ruht das Pineinleben in den Allumfasser
 
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