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Debler, Werner [Editor]; Aderbauer, Herbert [Oth.]
300 Jahre Dreifaltigkeitskapelle in Schwäbisch Gmünd: 1693 - 1993; Geschichte und Geschichten — Schwäbisch Gmünd, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.42984#0131
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Auf „Schatzsuche66 -
Nachrichten aus einer Schokoladendose
Werner Debler

s ist Samstag, 7. Juni 1986. Der Himmel ist wolkenverhan-
gen, es regnet schon den ganzen Tag in Strömen. Seit vie-
len Stunden arbeiten 14 jüngere und ältere Mitglieder ver-
schiedener Debler-Familien an diesem ersten „Renovie-
rungstag“: Sie heben um die Kapelle einen Graben für die
Drainage aus und bergen die feuchten Bodenplatten im In-
nern des Kirchleins. Nach einer gründlichen Reinigung sol-
len die Bodenplatten später wieder einmal als Bodenbelag
in der Kapelle verwendet werden. Nachdem der Altar, die
Bänke und das übrige Mobiliar schon vor Tagen in das
leerstehende Polizeigebäude in der Hofstatt transportiert worden sind, soll nun auch der
durchnäßte steinerne Altarsockel, der den Holzaufbau des Altars trug, abgerissen und spä-
ter neu aufgemauert werden. Vorsichtig, bedächtig und behutsam werden die gemauerten
Backsteine weggebrochen, mit der Hand wird der Staub und der Gesteinsschutt im Innern
des etwa einen Meter hohen Sockels ausgeräumt: Man arbeitet mit größter Vorsicht, denn
aus einem Zeitungsbericht des Jahres 1905 und aus dem Protokollbuch II der
Balthasar-Debler-Stiftung wurde uns die Nachricht übermittelt, daß im Altar ein „Schatz“
verborgen liege.1 Die Spannung wird immer größer, immer mehr Personen stehen mit
durchnäßten Kleidern interessiert um den Altarsockel herum, bis schließlich Wolfgang am
späten Nachmittag einen kindskopfgroßen Klumpen aus angemörtelten Bruchsteinen etwa
aus der Mitte des Sockels heraushebt. Inmitten dieser amorphen Masse steckt eine verro-
stete Schokoladendose. Die handgroße Dose ist an zwei Stellen durchlöchert. Durch diese
Löcher, die der Rost in dieses „Schatzkästlein“ hineingefressen hat, kann man Fetzen völ-
lig durchfeuchteter Zeitungen erkennen, welche die damaligen Familienratsmitglieder mit
in die Dose gesteckt haben. In den Deckel der Blechdose ist - noch leicht erkennbar - der
Schriftzug „GEBR. STOLLWERCK - KÖLN“ eingeprägt.
Nun stehen sie ehrfürchtig da - alle 14 freiwilligen „Restauratoren“, jung und alt, in
ihrer Mitte auch Münsterarchitekt Hermann Hänle, der die Renovierung betreut und seit
Stunden die „Bergungsarbeiten“ mitbeobachtet. Die Versuchung ist natürlich groß, die
brüchige Dose sofort gewaltsam zu öffnen und einen Blick in das Innere dieses Blechkäst-
leins zu werfen, das vor 81 Jahren in diesen Altarsockel versenkt worden ist. Doch dies
hätte die Schokoladendose mit Sicherheit beschädigt und „unwiederbringlich“ zerstört.
Deshalb wird die Dose nicht weiter „untersucht“, sondern sorgfältig in den Innenraum
eines Pkw gelegt.
Nach dem Wochenende telefonierte ich mit Dr. Untermann von der Archäologischen
Denkmalpflege in Stuttgart. Er riet mir, die Dose sofort dem Gmünder Metallrestaurator
Rolf-Dieter Blumer zu übergeben, der ebenfalls am Landesdenkmalamt tätig ist und der
schon des öfteren diffizile historische Spurenanalysen durchgeführt hat. So hatte Blumer
auch vor einigen Jahren den Inhalt der Blechkugel untersucht, die als Teil des Dachreiters


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