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Demmin, August
Handbuch der bildenden & gewerblichen Künste: geschichtliche, archäologische, biographische, chronologische, monogrammatische und technische Encyclopaedie der Baukunst, Bilderkunde, Bildhauerei, Buchbinderei, Buchdruckerei, Buchmalerei ... (Band 1): Encyclopädie der Schriften-, Bilder und Wappenkunde, Trachten, Geräthkunst, Gefässkunde, der bürgerlichen und kirchlichen Baukunst, Kriegsbaukunst und Schiffsbaukunst: mit über 1000 Abbildungen — Leipzig, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.23810#0087
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Ideeenschrift, Lautzeichenschrift.

79

Das Ko-ten oder uiao-tsi, d. h. Vogelschrift, welche schon,
obiger Zeitangabe widersprechend, durch Tsang-kie im Jahr 2690
v. Chr. die iöm-Schrift ersetzt haben soll, bestand aus 540 Zeichen.
Die jetzige, schon seit Jahrtausenden gebräuchliche, Schrift der
Chinesen, welche sich beständig-, nach Maass der Erweiterung des
Ideenkreises und der Literatur, durch neue Zeichen bereichert hat,
ist eine Wort- oder besser Ideenschrift. Auch die von den ersten
Römern in Tempeln der Minerva eingeschlagenen Nägel, die ersten
Runenzeichen und Aehnliches, gehören noch zur Ideenschrift.

Die Aegypter hatten auch eine hierogiyphische Cursivschrift,
welche besonders für das Schreiben auf Papyrus diente.

Die phonetischen Schriften sind aus — in „Alphabete" ge-
ordneten — Lautzeichen zusammengesetzt, deren Gebrauch heutzu-
tage fast allgemein geworden ist. Mit ihnen kann man die verschiede-
nen Laute und dadurch die Gedanken in allen ihren Einzelnheiten, aber
freilich stets nur in einer Sprache ausdrücken. Alle Europäer, mit
Ausnahme der ältesten Griechen, schrieben und schreiben von links
nach rechts; die semitischen Sprachen48) des Orients aber werden
von rechts nach links geschrieben. Das Boustrophedon (vom grie-
chischen ßovi, Ochs, und oTatifw, ich wende) der alten Griechen ging
abwechselnd von rechts nach links und umgekehrt, wie der Ochs
beim Pfiüg-en die Furchen zieht. Die Schrift der Azteken hingegen,
sowie der Chinesen und Japanesen geht bald von oben nach unten,
bald schräg, bald von links nach rechts. Der Ursprung der Ideen-
schrift ist später als das Auftreten der Baukunst, der Keramik und
Bildnerei und gleichzeitig mit dem Auftreten der Malerei; war sie
ja doch im Anfang eine, allmählich mehr und mehr abgekürzte,
Malerei von Gegenständen, welche' mittelst Umwandlung in con-
ventioneile Zeichen vervollständigt wurde. Diese Bilderschrift war
bei den alten Aegyptern und vermuthlich auch bei den Amerikanern
von zweierlei Art: hieratisch oder priesterlich (die eigentlichen Hiero-
glyphen), die nur von Priestern gelesen werden konnte, und de-
motisch (Volksschrift), die fälschlich auch Hieroglyphenschrift ge-
nannt wird.

Die Lautzeichenschrift entwickelte sich aus der Bilderschrift
und tauchte zu gleicher Zeit in verschiedenen Gegenden auf, sicher

4S) So nennt man besonders die Sprachenfamilie der westasiatischen Völker, welche
nach dem Alten Testament von Sem abstammen. Das Altarabische erscheint als
Grundform; das Hebräische, Syrische, Phönikische, Chaldäische und vermuthlich auch
das Altägyptische, sowie dessen Abkömmling, das Koptische, sind die Hauptdialecte.
Alle diese Sprachen, welche von rechts nach links geschrieben werden, unterscheiden
sich wesentlich von denen, die vom Sanskrit abstammen (S-ans-kri — gebildet; die alte
Sprache der Brahmanen), wie das Persische, Altdeutsche, Slavische, Griechische, La-
teinische und also auch die modernen romanischen Sprachen: die italienische, fran-
zösische, spanische, die zum Theil vom Lateinischen, Griechischen und vom Zend
(Wort, jetzt todte, heilige Sprache der Meder und Perser zur Zeit des Zoroaster, Ver-
fasser der Zend-Avesta, der um's Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. gelebt zu haben
scheint) abstammen; ebenso gross ist der Unterschied von der kaukasischen Sprache,
deren Grundform das Armenische ist, und von der türkischen Sprache. Den semitischen
Sprachen fehlen die Vocalzeichen in der gewöhnlichen Schrift; dafür haben sie Affix
und Prefix und die Wurzeln aus drei Buchstaben.
 
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