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Demmin, August
Handbuch der bildenden & gewerblichen Künste: geschichtliche, archäologische, biographische, chronologische, monogrammatische und technische Encyclopaedie der Baukunst, Bilderkunde, Bildhauerei, Buchbinderei, Buchdruckerei, Buchmalerei ... (Band 1): Encyclopädie der Schriften-, Bilder und Wappenkunde, Trachten, Geräthkunst, Gefässkunde, der bürgerlichen und kirchlichen Baukunst, Kriegsbaukunst und Schiffsbaukunst: mit über 1000 Abbildungen — Leipzig, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.23810#0310
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302

Zweiter Theil. Allgemeines. Kriegsbaukunst.

Zugbrücken scheinen erst zu Ende des 13. Jahrhunderts er-
funden worden zu sein. Die einzige Spur einer Zugbrücke an einem
romanischen Portal befindet sich im Schloss Schömburg an der
Saale. Bis dahin waren die Thore durch eisenbeschlagene Flügel,
durch Fallgatter und Fallbäume vertheidigt. Die Holzbrücke,
welche am Thor über den Graben führte, wurde bei Belagerungen
weggehoben, und der Zugang war durch Pfahlwerke vertheidigt.

Die Hochstadt von Carcassonne ist ein sehr kostbares, erhaltenes
Muster dieser Befestigungen aus der Lehnszeit, denn ihre dop-
pelte Zingelmauer von 1500 Meter Umfang mit fünfzig" Thürmen
steht noch genau so, wie der Heilige Ludwig sie dereinst sah; hier
kann man demnach die Kriegsbaukunst des Mittelalters mit all'
ihren Einzelheiten, mit all' ihren Vertheidigung"smitteln studiren, wie
sie vor der allmählichen Einführung der Geschütze war, deren Fort-
schritte man an den Befestigungen von Nürnberg und Naumburg
so gut beobachten kann, während Freiburg an der Unstrut, Jena
und vor Allem Rothenburg an der Tauber manche Reste noch
älterer Befestigung" aufweisen. Die Spuren der Anwendung von
Laufgräben und Parallelen bei Belagerungen finden sich schon im
15. Jahrhundert. Befestigte Wohnhäuser gab es in vielen Städten:
erhalten sind solche in verschiedenen Städten Deutschlands, Italiens,
der Schweiz und Hollands, eine Art fester Schlösser der Patrizier
und Edlen, zu welchen auch der im 15. Jahrhundert erbaute Thurm
des Jean-sans-peur in Paris zählt. Schaff hausen enthielt deren
acht, die ebenso vielen unabhängigen Rittern gehörten100) und von
denen einige noch heute stehen. Eines dieser Gebäude, welches
.zuletzt der JCaufleicfshibenthur?n hiess und erst vor einigen Jahren
zerstört ward, zeigte an seinen Bildhauerarbeiten die Jahreszahl
876. In Meran in Tirol sind auch mehrere Burgen in der Stadt
erhalten; in Utrecht trifft man ebenfalls befestigte Wohnhäuser,
welche dort von Patriziern gegen die nächtlichen Angriffe der
bischöflichen Söldner errichtet wurden, ebenso wie in Regensburg101)
und Metz. Weiter unten folgen Abbildungen solcher Häuser.

Die eigentlichen Burgen oder festen Schlösser des Mittelalters
könnten auf verschiedene Weise in Classen getheilt werden. Die
hie und da beliebte Eintheilung in Stadtburgen und Landburgen
ist nicht passend, denn es dürften nur sehr wenig Fälle geschicht-

10°) Ich meine, dass diese Thürme und befestigten Wohnhäuser in den Städten
vielmehr von Patriziern errichtet wurden; die schweizerischen Ritter jener Zeit zogen
vor, isolirt auf ihren Horsten im Hennegau und Klettgau zu hausen; erst später, von
den Streitkräften der Eidgenossen gedrängt, verlangten sie, den bürgerlichen Truppen
der Städte eingereiht zu werden, wo sie sich bald mit der bevorzugten Bürgerschaft,
d. h. den Patrizierfamilien, verschmolzen, die sich so zu sagen selbst geadelt hatten und
-den Vorrechten der Bevölkerung oft verderblicher wurden als der alte Adel der
Kreuzzüge und des alten deutschen Reichs.

101) Der grosse Goliathsthurm, sowie der Thurm des jetzigen Gasthofs zum goldenen
Kreuz, in welchem einst Karl V. bei der Familie Blumberg wohnte und die schöne
Barbara kennen lernte, welche das lahr darauf (1545) dem berühmten Don Juan
d'Austria das Leben gab, und wenigstens noch zehn andere solcher Thürme stehen in
Regensburg bis heute.
 
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