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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 9.1864

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https://doi.org/10.11588/diglit.13518#0298

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290

Austritt aus der Akademie neben der Fortsetzung ihrer Stu-
dien sich damit zu beschäftigen, die bis dahin meist sehr ver-
nachlässigte allgemeine Bildung, die Erwerbung der
gewöhnlichen Schulkenntnisse nachzuholen — ein Mangel,
der später nur zu oft sehr fühlbar wird —: und man wird
diesen durch ihren Mangel an Bildung doppelt unreifen
jungen Leuten eine wahrhafte Wohlthat erweisen.

Ein zweiter Punkt des Bedenkens ist die Konkurrenz
selbst, ihrem Inhalt und Zweck nach. Sie soll, das ist
ihr Zweck, eine Garantie für die künstlerische Qualifikation
darbieten. Vermag sie das? Die Erfahrung bestätigt
das Gegeutheil. Wenn Künstler, die heute in erster Reihe
stehen, zu ihrer Zeit nicht nur in der akademischen Kon-
kurrenz durchsielen, sondern sogar „wegen Mangel an
Talent" (nach Ansicht der Akademie) gänzlich von der
Akademie abzugehen gezwungen waren — wir nennen nur
Menzel nnd Lessing als die bekanntesten Beispiele —:
so must selbst der Laie gerechten Zweifel gegen die Zweck-
mäßigkeit dieser Einrichtung hegen. In der That lehrt
die Erfahrung, daß gerade die später als original und hoch-
begabt zur Geltung kommenden Akademieschüler meist auf
der Akademie selbst als unbedeutend und talentlos galten;
daß dagegen mittelmäßige Künstler vorzugsweise als
preisgekrönt aus der Konkurrenz hervorgehen. Woher
kommt dies?

Die Erklärung ist leicht. Es kommt daher, weil ge-
wöhnliche Geister gerade aus ihrem Mangel an originalem
Drange die Fähigkeit schöpfen, sich leicht in den Fesieln
des akademischen Schulzwanges zu bewegen und sich darin
wohl zu fühlen, und daß sie daher, falls sie nur mit
einigem handwerklichen Geschick — das nichts mit künst-
lerischem Talent zu thun hat — begabt sind, die innerhalb
jener stereotypen Schranken gestellten Aufgaben sogar mit
anscheinender Sicherheit zu lösen im Stande sein werden;
während gerade die künstlerisch befähigteren Geister in
steter Opposition gegen diesen Formalismus sich befinden
und daher selten innerhalb dieser Schranken etwas leisten,
ja geradezu unfähig erscheinen werden.

Man verstehe uns nicht falsch. Wir sind weit davon
entfernt, ein festes, nach Stufen geordnetes, auf be-
stimmte Principien gegründetes System künstlerischer
Disciplin verwerfen zu wollen. Im Gegeutheil. Nur
muß dieses System naturgemäß sein; nur müssen diese
Principien sich nicht auf ko uv entio nelle Abstr actio neu
beschränken. Daß sie dies thun, dafür giebt nichts einen
schlagenderen Beweis als der Inhalt der Konkurrenz-
aufgaben. Wie in der Blüthe sich die ganze Lebensfähig-
keit und charakteristische Natur der Pflanze, so offenbart
sich in dem Inhalt der Konkurrenzaufgaben die Lebens-
fähigkeit und Tendenz des akademischen Lehrsystems. Wir
können also dieses, selbst wenn wir sonst nichts davon
wüßten, sehr wohl nach jenen beurtheilen.

Das für die diesmalige Konkurrenz in der „Geschichts-
malerei" gegebenen Motiv lautete „Prometheus, an
den Felsen geschmiedet, wird von den Wasser-
göttern getröstet". Hiergegen ist nun zu sagen,

1. daß das Motiv gar nicht der Geschichtsmalerei
angehört;

2. daß es überhaupt gar kein malerisch es Motiv ist;

3. daß, wäre es beides, es doch für eine Schüler-
konkurrenz ganz ungeeignet erscheint.

1. Das Motiv gehört gar nicht der Geschichts-
malerei an; denn es ist ein mythologisches Genre-
motiv. Was ist darin historisch oder von bistorischer
Bedeutung? Selbst „Prometheus" als historische Figur
angenommen, was besäße das Trösten der Meergötter für
eine historische Pointe? — Wir haben oft genug über
die Bedeutung des „Historischen" und des „historischen
Slils in der Kunst" unsere Meinung ausgesprochen, um
an dieser Stelle nicht in begriffliche Erläuterungen ein-
gehen zu dürfen. Auch kommt es hier nicht viel darauf
an; wichtiger und bedenklicher ist der zweite Punkt, weil
darin ein betrübender Rückschluß auf die kritische Intelli-
genz der Akademie liegt.

2. Jenes Motiv also, behaupten wir, eignet sich
überhaupt nicht für Malerei, sondern für die Pla-
stik oder höchstens für eine dem Relief ähnliche Aus-
führung von Grau in Grau oderin Cartonzeichnung;
und zwar aus zwei Gründen.

Erstens ist die Farbe, das Kolorit, ein so reales
Darstellungsmittel —das realste, konkreteste, was es giebt —,
daß abstrakte, also symbolische, mythologische und
sonstige in dies Gebiet schlagende Motive in Farben
nicht darstellbar sind, ohne mit sich selbst, d. h. mit der
Idee, in Widerspruch gerathen. Was gemalt werden
soll, muß für uns eine poetische Realität sein: „Chri-
stus" ist eine poetische Realität, „Madonna" ist eine solche,
„Rothkäppchen" und „Dornröschen", der „Rattenfänger
von Hameln" u. s. s. sind solche poetische Realitäten, aber
nicht die mythologischen Gestalten des hellenischen Götter-
kultus; diese wurzeln nicht in unserm Volksglauben, sie
haben keine malerische, d. h. konkrete, sondern eine
plastische, d. h. abstrakte Wahrheit.

Zweitens ist die ganze hellenische, überhaupt
antike Welt — und zwar nicht nur im Kunstgebiet, son-
dern auch im Gebiet des wirklichen Lebens — wesentlich
plastischer Natur, im Gegensatz zu der christlich-ger-
manischen, die malerischer Natur ist. Dies erstreckt
sich sogar auf die andern Künste, so daß sich z. B. der
griechische Tempel gegen die gothische Kathedrale wie
p l a st i s ch e A r ch i t e k t u r zur malerischen Architektur
verhält. „Apollo" und „Christus", „Venus" und „Madonna"
sind so, als bloße Schönheitsideale, gegen einander gehalten:
dort plastische, hier malerische Verkörperungen der
Schönheit. Ein wirklich künstlerisch fühlender Geist kann
sich „Apollo" und „Venus" nur als Statuen, „Christus"
und „Madonna" nur als Gemälde denken, wenn die in
ihnen liegenden Ideale zum höchsten Ausdruck
kommen sollen. Die zahlreichen statuarischen Bildwerke,
welche „Christus am Kreuz" und die „Madonna" darstellen,
haben — bei aller möglichen Anerkennung der Formen-
technik einzelner — doch mehr religiös-praktische Bedeutung
als künstlerische.

Diese Ansichten mag man als Barbareien verschreien
oder vornehm als Paradoxen beachselzucken: Dies gilt

uns gleich, denn wir wiffen, daß die Kunst dahin strebt,
sich von allen konventionellen und traditionellen Vorur-
theilen zu reinigen, und sich zum klaren Bewußtsein ihres
 
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