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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0014
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Neunter

Jahrgang.

-chR Ießruar 1858.

Literatur-Blatt

des

Deutschen

Nedigirt von Paul Heyse in München.

+ . . ^ •

Proben spanisch-arabischer Poesie.

Mitgetheilt von Adolf Friedrich von Schack.

Die arabische Poesie, welche einst vom Indus und Oxus
an durch ganz Vorderasten, die Nordküste Afrika's entlang,
auf den großen Inseln des Mittelmeers und der pyrenäi-
schen Halbinsel -bis an das Cap von Finisterra, also dem
Raume nach in größerer Ausdehnung als irgend eine andere,
geblüht hat, ist bisher fast ausschließlich in ihren dem Orient
angehörenden Erzeugnissen. bekannt geworden. Und doch
sollte man denken, daß vielmehr ihr westlicher Zweig das
Interesse des Abendlandes vorzugsweise erregen, müßte.
Denn die oft aufgeworfene Frage, ob unsere mittelalterliche
Dichtung in. Geist und Form wesentliche Einflüsse'von der
arabischen empfangen habe, läßt sich weder ohne Weiteres
verneinen, noch aus allgemeine Annahmen und oberflächliche
Analogieen hin bejahen; der vielfache Verkehr der christlichen
Nationen mit den spanischen Moslimen im Mittelalter, der
Besuch der Hochschulen von Cordova und Toledo durch
junge Deutsche, Franzosen und Jtaliäner, so wie andere
Umstände, auf die man sich zu stützen.pflegt, haben noch
keine Beweiskraft, und nur die Kenntniß der Werke abend-
ländisch-arabischer Dichtkunst selbst kann über den dunkeln
Punkt Licht verbreiten. Aber auch ohne solche Nebenbezie-
hungen hätte diese Poesie schon der Culturphase wegen,
welcher sie angehört, die Aufmerksamkeit wohl auf sich lenken
können. Alle Geschichtsbücher sind voll von dem außeror-
dentlichen Flor, zu welchem sich geistige Bildung und Wis-
senschaft im muhammedanischen Spanien entfaltet haben;
Monumente einer hochausgebildeten, ebenso reizenden wie
.eigenthümlichen Architektur zeugen noch heute von dem
Schönheitssinne seiner Bewohner; gewiß also liegt die Ver-
muthung nahe, es werde sich der Mühe lohnen, auch der
Dichtkunst dieses Volkes nachzusorschen. Mindestens sechs
Jahrhunderte lang ist dieselbe mit einem Eifer und von einer '
so' großen Menge von Individuen eultivirt worden, daß ein
bloßes Verzeichniß. aller spanisch-arabischen Poeten, wenn
es sich Herstellen ließe,, ganze Folianten füllen würde. Schon
etwa dreihundert Jahre nach der Eroberung der Halb-
insel konnte eine Anthologie verfaßt werden, welche in hun-
dert Meilen, deren jeder wieder in hundert Kapitel zerfiel,

Literaturblatt. 1858.

ausschließlich nur erlesene Verse von andalusischen Dichtern
enthielt. Auf die erste Blüthenperiode der Poesie unter
den Chalifen von Cordova, welche, wie die Macht und
den materiellen Flor ihres Reiches, so auch Gelehrsamkeit
und Literatur aufs Lebhafteste förderten, folgte eine zweite,
vielleicht noch glänzendere, unter den kleinen Dynastien von
Sevilla, Badajoz, Almeria und Granada. Die Fürsten
dieser Höfe versammelten Gelehrte und Schöngeister schaa-
renweise um sich, Einer wetteiferte mit dem Andern, es ihm
in Begünstigung literarischer Bestrebungen zuvorzuthun, und
die Großen wollten hinter den Herrschern.nicht zurückblei-
ben. Durch diese Freigebigkeit ward eine eigene Klasse
' von Dichtern und Sängern hervorgerufen, welche, ähnlich
den Troubadours und Jongleurs der Provence, von Ort
zu Orte ziehend und gegen reichliche Lobspenden reichlichen
Lohn eintauschend, die Schlösser der Emire und Sitze der
Großen umschwärmten. Die Poesie durchdrang das ganze
Leben und alle geselligen Verhältnisse; von allen hervorra-
genden Chalifen und Fürsten haben uns die Geschichtschrei-
ber einige Verse als Probe ihres Talents mitgetheilt; die
Frauen in den Haremen stritten mit den Männern um den
Preis des Liedes; Gedichte, sich in vielfachen Verschlingun-
gen um. Wände und Säulen windend, bildeten einen
Hauptschmuck der Paläste, und selbst im den Staatskanzleien
wie bei diplomatischen Unterhandlungen spielte die Dicht-
kunst eine Rolle. Allein nicht bloß ihr historisches Interesse,
ihre große Verbreitung durch das Volk in allen seinen
Schichten und ihr Verwachsensein mit dem Sein und Trei-
ben der Nation ist geeignet, unsere Aufmerksamkeit auf die
Poesie. der spanischem Araber zu lenken. Das Verlangen,
sie kennen zu lernen, wird besonders lebhaft durch die Ver-
muthung angeregt, daß sie, verschieden von der des Orients,
von dem eigenthümlich ritterlichen Geiste durchdrungen sei,
-welcher, durch die steten Berührungen mit den Christen in
Krieg und Frieden herbeigeführt, dem muhammedanischen
Leben in Spanien ein charakteristisches Gepräge verleiht.
Auch durch inneren Gehalt ferner und die Bedeutsamkeit,
der Talente, die sich in ihr hervorgethan, muß sie sich selbst
nach dem Urtheil der Orientalen, welche sonst geneigt waren,
ihre westlichen Brüder mit dem Auge der Eifersucht zu be-
trachten, ausgezeichnet haben. In Bagdad, dem Hauptsttze
der Literatur für den Osten, wie Cordova es für den Oc-

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