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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 5.1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.1207#0097
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I

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Handels so mild und freundlich erzählt und beürtheilt, daß
wohl der ernste Hutten selbst gerührt lächeln würde, wenn
man ihm sagte: siehst du, Verächter der Safran- und
Pfeffersäcke, so gerecht hat dich ein friedliebend Kauf-
mannskind geschildert, das freilich im Kerne des Wollens
und an Schneide der Gesinnung ein Ritter ist wie du!
Schließlich blieb aber Hutten, auch nachdem er Kämpfer
für Reformation und Einigung des Vaterlandes gewor-
den, Humanist, seine beste Waffe das Wort und zwar
das künstlerische Wort, denn sein Feuereifer verzehrte
nicht sein Formtalent, und so war im Centrum der
Aufgabe die Sympathie des Biographen, des furchtlosen
Kritikers, des kühnen geistigen Kämpfers und des Künstlers,
des Verehrers aller reinen Form und schönen Bildung, mit
seinem Helden^ in ihrer ganzen Kraft dem Helden gesichert.
Wir müssen daher dennoch zu unsrem obigen Bedenken
zurückkehren, daß bei so voller persönlicher Neigung zum
Stoffe die Objectivität der Behandlung leicht ins Wanken
kommen konnte. Strauß hat sich nicht wankend machen
lassen, ja er ist gerade in diesem Werke recht besonders ob-
jeetiv. Man hat dies als Kälte angegriffen. Ja, wenn
man will, dieses Werk ist kalt; eine eherne Bildsäule, streng
geformt, mit kühlem Fleiße gegossen, so daß das Erz in
jede kleinste Falte der Form ohne Bruch und Riß einschoß,
und dann noch ringsum bearbeitet, daß auch nicht eine
Spur stehen blieb, welche an das Machen und das Subject
des Machers erinnert. Legt man aber die Hand an das
Standbild, läßt man sie daran liegen, so fühlt man das .
kalte Erz wieder erwärmen, glühen, der heiße Strom, aus
dem es geworden, erneuert sich und geht mit unwidersteh-
licher Gewalt in dich über. Ein Niederschlag der tiefsten
inneren Wärme, der im Betrachten noch einmal weich wird,
aufthaut; eine Objectivität, die nichts Anderes äst', als die
volle Objectivirung der innigsten, von dem Gehalte rein
erfüllten Subjectivität; eine sächliche Strenge, die ganz
zurückweist, um ganz anzuziehen, ganz den Gegenstand uns,
uns dem Gegenstand anzueignen; kurz ein rundes, volles,
gegossenes, gediegenes Kunstwerk der biographischen Geschicht-
schreibung. Nicht so kann es mit der.Objectivität gemeint
sein, daß der Schriftsteller gar niemals mit einer eigenen
Reflexion hervortreten soll. Strauß hätte da und dort un-
gleich mehr in seinem Namen gerade heraus sprechen und
dennoch ganz objectiv bleiben können. Er beherrscht sich
darin bis zur äußersten Knappheit; selten, nur an den
Wichtigsten Wendepunkten, faßt er das Ergebniß in allge-
meine Sätze zusammen, die er als sein eigenes Urtheil aus-
spricht; sonst streut er nur wenige kurze, scharfe Winke
zwischen die Erzählung: „wer für eine Schrift gegen die
heutige Theologie um ein Motto verlegen ist, dem sei die
Stelle (aus Huttens Jnvectiven) empfohlen: vos autem
quomodo credemus viam virtuti patefacturos, cum clau-
datus veritati?“ oder zu Huttens Wort, so lange uns
Deutschen die Einigkeit fehle, gebe es keine noch so schwache
Nation, die uns fürchtete, ja nicht anzugreifen wagte, der
kurze Ausruf: „daß das nach 300 Jahren noch immer so
ist!" Es ist nun freilich leicht gesagt, Strauß hätte mehr
des Räsonnement geben und doch ganz gegenständlich bleiben
können. Die Grenze, wo das Subjeetive in jenem Maaße

hervortritt, mit welchem es wenigstens vor dem strengen
Forum der monumentalen Ansprüche der Geschichtschreibung,
zum unstatthaft Subjectiven, zum blos Subjectiven wird,
ist so schwer zu bestimmen, daß wir lieber etwas zu viel
Knappheit, zu viel Sorge, ja nur den Gegenstand selbst
sprechen zu lassen, als ein Jota zu viel von der Lust des
Subjects dulden wollen, sich selbst und sein Meinen zu ver-
nehmen und vernehmen zu lassen. Eine leichtere Lectüre
wäre freilich das Buch geworden, wenn, wie wir zu Anfang
dieses Ueberblicks uns ausgedrückt, mehr Sauce bei den
Brocken wäre; aber ob eine ebenso classische, das ist eine
andere Frage. — Einen Charakter der Strenge trägt unsere
Biographie jedoch nicht blos durch diese Objectivität seiner
Haltung überhaupt, sondern auch durch seine Gelehrsamkeit,
die unbestechliche Gewissenhaftigkeit in Behandlung des hi-
storischen Stoffes, in Ermittlung der thatsächlichen Wahrheit.
Oft muß es zögernden Schritts durch Zweifel vorwärts
gehen, der Leser ist gespannt und muß sich die Geduld
auflegen, bei Untersuchungen über Zeit und Verfasser dieser
oder jener Schrift sich aufzuhalten; er ist in vollem Athem
und muß Auge und Aufmerksamkeit zwischen dem Text und
den Noten hin und her bewegen. Allein was die erstere
Erschwerung betrifft, so vergesse man nicht, daß der Ver-
fasser keine Vorarbeiten hatte, welche ihm jene Untersuchungen
'abgenommen hätten, so daß er auf Abgemachtes sich be-
rufend ungehemmter sich bewegen könnte, die' Noten aber
geben größtentheils den lateinischen Text aus Huttens und
Anderer Schriften, und-daß er uns die bedeutendsten Stellen
wohlausgewählt im Original mittheilt, darüber wohl wird
er keiner Entschuldigung bedürfen, sondern nur unseres
Dankes dafür gewiß sein. . \ ’

Wir haben zu Anfang gesagt, für das Pathologische
sei überall, auch bei dem Gesunden und Großen, hinreichend
gesorgt, und fassen dieß wieder auf, um nun auf unfern
Mann überzugehen. In der That brachte des Helden sterb-
liche Seite jenem klaren Blick für die Grenzen, womit jede
' endliche Größe behaftet ist, Stoff genug entgegen, um in
der Begeisterung die milde Ironie, nicht ausgehen zu lassen.
Ein Abenteurer, ein Vagant, ein Thunichtgut, ein Mensch,
der in keiner positiven Fachwissenschaft einen Gradum er-
reicht hat, ein Mensch ohne Amt und Würde, ein „Nemo“
fast immer in Geldnöthen und von einer Übeln Krankheit
übel heimge.sucht; ein Mensch, beinah so angethan, daß
Manchem etwas wie das Wörtchen Lump auf der Zunge
schweben mag! Doch das Wörtchen auszusprechen wäre
gegenüber einem Wissen und einer Thätigkelt wie die unseres
Helden wohl selbst dem vollendeten Philister unmöglich und
was die Krankheit betrifft, so hat der Biograph gehörig
vorgebeugt, daß nicht übler Wille oder häßliche Phantasie,
die sich mit widerlicher Wichtigkeit in geschlechtliche Unter-
suchungen einhackt, fernerhin mit dieser düstern Stelle im
Leben des Mannes ihren Mißbrauch treibe. Man könnte
zu dem, was hierüber gesagt ist, noch fügen: wenn zu der
von Hutten selbst gemäß der Naivetät der Zeit nicht ge-
läugneten menschlichen Schwachheit, daß er sich- des sexuellen
Umgangs nicht enthielt, durch die Ansteckung mit einem
damals so furchtbar verbreiteten Uebel offenbar kein weiterer
Vorwurf zuwächst, so müßte, wer diesen Umstand bei Hutten

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