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Hans Schliepmann — Berlin.
reizten Nerven am anderen Ende kitzeln. Auch
sind es zumeist »homines novi«, die von Jugend
auf einseitig sein mussten, um durch diese
ausgebildete Einseitigkeit, den Erwerbssinn,
emporzukommen, und denen die Ueberlieferung
einer feinfühligen Kultur nicht • in die Wiege
gegeben wurde. — Unser Adel, dem so von
Rechtswegen die Pflege geistiger Güter obläge,
vermag diese Aufgabe, mit seltenen, um so
rühmlicheren Ausnahmen, auch seit anderthalb
Jahrhunderten nicht mehr zu erfüllen. Zumeist
geht er im Kriegs- und Verwaltungsdienst auf,
die Jugend leider zu betrachtlichem Theil in
einem Sport, dessen »Vornehmheit« den Mangel
an geistigem Werth ersetzen muss; vielen vor-
trefflichen Nachkommen edler Familien aber
fehlt eben die neue Macht, das Geld, um
wirksam die hohe Kulturaufgabe eines wahr-
haft gebildeten Mäcenatenthums zu erfüllen.
Der gebildete Bürgerstand ferner, der noch
die Freude an redlicher Arbeit über das Haschen
nach dem Mammon stellt, fühlt instinktiv, dass
die Entfaltung des Kapitalismus ihn mehr und
mehr an die Wand drückt. Ein Misstrauen
mit der neuen Entwickelung der Dinge macht
ihn trübe und muthlos; er ruft nach der
Polizei, träumt von der »guten alten Zeit« und
flüchtet in das Philisterium, die schlimmste
Barre gegen alle Kunst, denn ihm ist alles Neue
verdächtig, — und Kunst will stets das Neue!
Die grosse Masse endlich ist im Kampfe
um das liebe Brot schon zermürbt oder von
den Hirngespinsten ihrer Agitatoren aufgereizt
gegen die »Luxuskunst der Besitzenden«. Wo
bleibt unter diesen Verhältnissen die Kunst?
Eine zimperliche, die Maskerade eines roi
soleil aufwärmende Kunstübung fristet an den
Höfen ihr Bücklings-Dasein; für die Reichen
sorgt eine scheinbar umfangreiche, aber inner-
lich kranke, rückgratlose Afodekunst; das Volk
geht leer aus und ist so thöricht, am schänd-
lichen plunderhaften Abklatsch der Protzenkunst
noch seine Freude zu haben! Die Künstler
— haben die Wahl: Orden, Gold oder -
Hunger. Dazwischen sind einige Weltkluge
wie Piglheim, die sich durch Kokottenmalerei
Schenke im Thal.
Allgem. Gartenbau-Ausstellung Hamburg 18^7.
Fhotogr. Wendt & Co.-Hamburg.
Hans Schliepmann — Berlin.
reizten Nerven am anderen Ende kitzeln. Auch
sind es zumeist »homines novi«, die von Jugend
auf einseitig sein mussten, um durch diese
ausgebildete Einseitigkeit, den Erwerbssinn,
emporzukommen, und denen die Ueberlieferung
einer feinfühligen Kultur nicht • in die Wiege
gegeben wurde. — Unser Adel, dem so von
Rechtswegen die Pflege geistiger Güter obläge,
vermag diese Aufgabe, mit seltenen, um so
rühmlicheren Ausnahmen, auch seit anderthalb
Jahrhunderten nicht mehr zu erfüllen. Zumeist
geht er im Kriegs- und Verwaltungsdienst auf,
die Jugend leider zu betrachtlichem Theil in
einem Sport, dessen »Vornehmheit« den Mangel
an geistigem Werth ersetzen muss; vielen vor-
trefflichen Nachkommen edler Familien aber
fehlt eben die neue Macht, das Geld, um
wirksam die hohe Kulturaufgabe eines wahr-
haft gebildeten Mäcenatenthums zu erfüllen.
Der gebildete Bürgerstand ferner, der noch
die Freude an redlicher Arbeit über das Haschen
nach dem Mammon stellt, fühlt instinktiv, dass
die Entfaltung des Kapitalismus ihn mehr und
mehr an die Wand drückt. Ein Misstrauen
mit der neuen Entwickelung der Dinge macht
ihn trübe und muthlos; er ruft nach der
Polizei, träumt von der »guten alten Zeit« und
flüchtet in das Philisterium, die schlimmste
Barre gegen alle Kunst, denn ihm ist alles Neue
verdächtig, — und Kunst will stets das Neue!
Die grosse Masse endlich ist im Kampfe
um das liebe Brot schon zermürbt oder von
den Hirngespinsten ihrer Agitatoren aufgereizt
gegen die »Luxuskunst der Besitzenden«. Wo
bleibt unter diesen Verhältnissen die Kunst?
Eine zimperliche, die Maskerade eines roi
soleil aufwärmende Kunstübung fristet an den
Höfen ihr Bücklings-Dasein; für die Reichen
sorgt eine scheinbar umfangreiche, aber inner-
lich kranke, rückgratlose Afodekunst; das Volk
geht leer aus und ist so thöricht, am schänd-
lichen plunderhaften Abklatsch der Protzenkunst
noch seine Freude zu haben! Die Künstler
— haben die Wahl: Orden, Gold oder -
Hunger. Dazwischen sind einige Weltkluge
wie Piglheim, die sich durch Kokottenmalerei
Schenke im Thal.
Allgem. Gartenbau-Ausstellung Hamburg 18^7.
Fhotogr. Wendt & Co.-Hamburg.