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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 1.1897-1898

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Endell, August: Möglichkeit und Ziele einer neuen Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.6384#0170
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August Endell:

die schon in früher Jugend klug das Richtige
zu sagen wissen — aus Büchern, aber denen

Plakette.

RUI). liOSSELT—PARIS.

den Formen, setzt Linie an Linie, Fläche
an Fläche, je nach dem Karakt er, den ihr
erzielen wollt. Freilich das Produkt wird
dabei immer, falls es von einem Punkte aus
sich entwickelt, einen pflanzlichen, falls es
kompakt in sich geschlossen ist, einen
thierischen Karakter zu haben scheinen, denn
unsere Vorstellungen »Pflanze«, »Thier«
enthält formal genommen eben weiter keine
Bestimmungen. Und so kommt es, dass
Gebilde, die zoologisch in gar keiner Be-
ziehung thierisch, ja direkt unmöglich sind,
ohne weiteres als Thiere angesehen werden,
die man nur nicht kennt. Anders steht es
mit Formen, die sich aus mehreren Punkten
zugleich entwickeln: etwa ein Kapital, das
4 Symmetrieaxen hat, oder eine Thür-Um-
rahmung, die aus zwei Punkten ansteigt und
dann in eins verschmilzt. Hier hört der
pflanzliche
oder thier-
ische Ka-
rakter des
Gebildes
auf u. hier
zeigt sich,
ob man
wirklich
Form-
künstler
ist, oder
nur Natur-
formen auf

einfachere Linien reduziren kann. Daher
kommt es auch, dass der Naturalist und der
nur Stilisirende im Kunstgewerbe ganz
hübsche Sachen zustande bringt, an
architektonischen Aufgaben aber unbe-
dingt scheitert. Uer Architekt muss
Formkünstler sein, nur durch die reine
Formkunst führt der Weg zu einer
neuen Architektur. Wir haben nun
noch sehr wenige Werke reiner Form-
kunst, d. h. formale Gebilde, die nichts
sind und nichts bedeuten, die direkt
ohne jede intellektuelle Vermittelung
auf uns wirken, wie die Töne der Musik.
Diese Wirkungsweise, diese neue Kunst
aller dekorativen Kunst, nicht aber stilisirte ist fast unbekannt und das wenige, das
Pflanzen und Thiere. Entwickelt frei aus existirt, wird meist mit einem Achselzucken

das Schöne niemals ein Lebendiges wird.
Seht, seht mit der ganzen Kraft eurer Seele,
lügt euch nie etwas vor, lauscht euren Ge-
fühlen , unterdrückt sie nicht, sie sind euer
köstliches Gut. Pflegt sie, bildet sie aus
und ihr habt die Welt gewonnen, die Formen
sprechen zu euch und die Kunst ist euer!

Formgefühl ist die Grundvoraussetzung
für den Geniessenden und den Schaffenden,
aber der Schaffende braucht mehr. Seine
Phantasie muss so voll von Formen sein,
dass sie ihm mühelos für einen bestimmten
Zweck in Fülle zuströmen, aus denen er
wählt, aus denen er formale Gebilde ge-
staltet. Denn formale Gebilde sind das Ziel

Plakette.

KUD. BOSSELT -

Plakette.

KI'l). HOSSKLT- -l'AKIS
 
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