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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 1.1897-1898

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Fuchs, Georg: Melchior Lechter
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https://doi.org/10.11588/diglit.6384#0193
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Melchior Lechter.

folgen die Worte, die eines Dichters würdig
sind: »So taumeln wir dunkelen Wesen denn:
von Traum zur Enttäuschung, von Ent-
täuschung zum Traum«. Drum will er
träumen, jeden Traum erschöpfen, jede
Schönheit des Lebens träumen »in einsamen
Nächten am einsamen Meere. — In einsamen
Oeden sonniger Höhen. — In schwülen,
fliedergeschwängerten Nächten am klagenden
Springbrunn, in doppelt-dunkeler Zauber-
Nacht lasset uns weilen, lasset uns lagern,
bis uns die Einsamkeit trinkt, bis ins Ver-
gessen wir sinken: wesenlos, traumlos im
Traum.« So will er die »ewige Nacht«. —

Sein Schaffen, das Entstehen seiner
Linien und Farben enthüllt er uns mit diesen
Worten: »Der Einsame! I iefe Stille um
mich. Ich liege unter hohen grüngelblich-
weissen Schierlings-Blumen, die starr in den
tiefen blauen Mittags-Himmel starren, lang
ausgestreckt. Fast schliesse ich die Augen.
Ich gleite sanft in einen Wachtraum hinüber.
Die harten Linien der Wirklichkeit werden
verwischt — ich weile in grüner weicher
Dämmerung: die Stengel der Blumen werden
zu Bäumen mit feinen, schlanken, vielverzweig-
ten Aesten, die zu goldiger Krone verdichtet
in Lichtgeriesel schneeig auf purpurblauem
Himmelsgrunde enden. Ein leiser Windhauch
wiegt in den Kronen, leise ziehen die ge-
kräuselten Lichtschaum-Wellen über mich
hin in den Azur. Und ein feiner, seltsam
fremder Duft umhüllt mich: vor mir dämmern
Blumen - Farben-Visionen auf, zarte Licht-
gebilde entfalten ihre Blüthen. Duftwellen,
lang gezogen, in geschlungenen Rhythmen
auffluthend, langsam verbleichend, um-
schmeicheln mich.

Das Duft-Orchester verhaucht zu Traum-
Akkorden : fern, unirdisch-violett schwellen
Tonwogen lichtdurchtränkt an mein Ohr.
Meine Seele ist Licht.« —

Diese, in ihrem schmerzlichen Glücke
und in ihrer stammelnden Dankbarkeit und
Demuth vor einem von oben schenkenden,
das der Künstler sich selbst gar nicht zu-
zurechnen wagt, wahrhaft rührenden Be-
kenntnisse, erschienen in den »Blättern für
die Kunst«. Während er sich sonst ringsum
in Deutschland von den Erzeugnissen des

Entwurf e. Glasgemälde im Romanischen Hause zu Berlin.

(Baurath FRZ. SCHWECHTEN.) MELCHIOR LECHTER.

Literatenthums zumeist abgestossen fühlte,
fand er hier, um den Dichter Stefan George
geschaart, einen kleinen Kreis, welcher für
die poetische Kunst das gleiche Ziel erstrebte
wie er für die seine: eine wahrhafte, ge-
reinigte Kunstübung, aufgebaut auf der
Tradition und in vollgiltigen Formen sich
ausdrückend, eine Kunst, die unendlich weit
von dem entfernt war, was in der Oeffent-
lichkeit gemeinhin als »moderne Poesie«
verkauft wurde. Er fand die wahren Hüter
der Ueberlieferung deutscher Dichtkunst, er
 
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