Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 1.1897-1898

DOI Artikel:
Fuchs, Georg: Melchior Lechter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6384#0208
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
[82

Georg Fuchs:

das geistige Leben religiöser Art und Gluth
andere, entgegengesetzte Bahnen, lange ohne
sich Formen und ein inbrünstiges Erfüllen
zu finden: bis es ihm durch die Kunst ge-
geben wurde. Die Kunst feierte die grosse
»Lebens-Messe«, die Kunst erlöste jene
»Heiligkeit«. Welche philosophische Ideen
man auch immer aus den hier in Betracht
kommenden Kunstwerken herausklauben
mag, leben-bejahende oder leben-verneinende,
hauptsächlich ist nur, dass sie solche Stärke
des Ausdruckes und solche weihevolle Rein-
heit der Form erreichten, dass sie zu Mittel-
punkten religiöser Kulte werden konnten,
ebenso wie die griechische Tragödie. Nament-
lich die Werke Böcklin's, in denen ebenso
oft das düsterste Pathos des Pessimismus
(»Vita somnium breve«) als die orgiastischste,
dionysische Lebenslust zu lesen war, bezeugen,
dass die religiöse »Katharsis« — wenn diese

! BlBLK>TH€K->€S<ORSUL«

Ex Libris-Zeic

MELCHIOR LECHTER

Neudeutung des aristotelischen Ausdruckes
erlaubt ist — nicht abhängig ist von dem
dogmatischen »Inhalte«, sondern von der
ästhetischen Gewalt des Werkes. Es war
nur natürlich, dass bei solcher Stimmung
des schöpferischen Geistes diejenige Kunst-
weise neu erstehen musste, deren eigentlicher
Zweck es ist, das Leben zu verschönern, zu
verklären, zu »heiligen«, das Leben lebens-
werther zu machen: die angewandte Kunst.
Wir wissen von den englischen Begründern
derselben, von Rossetti, Ruskins und den
»Prärafacliteni., dass sie aus solchen Be-
weggründen zur Zierkunst kamen, in der
angezogenen Briefstelle bekundet es uns der
niederländische Meister van de Velde, und
bei unserem Melchior Lechter ist es, nicht
nur nach seinen Bekenntnissen und An-
schauungen, sondern auch nach seinen Werken
zu urtheilen, ganz ebenso.

Seine Glasgcniälde üben auch
auf den, welcher sie nur obenhin
betrachtet, eine feierlich-religiöse
Wirkung aus; dem einen ist es,
als ob er Musik aus dem »Parsifal«
vernähme, dem anderen, als ob
er einer Messe anwohne und ihn
schweifender Weihrauch und
strenge, brausende Gesänge um-
fingen, der dritte nennt sie ein-
fach: mystisch. Unter Mystik
fasst die vulgäre Mode-Aesthetik
all das zusammen, was ihr, als
über den gewöhnlichsten Verstand
hinausgehend, irgendwie »okkult«
erscheint. Zumeist läuft unter
dieser Bezeichnung die nur schwer
ernst zu nehmende Produktion
gewisser Literaten, Musiker und
Maler, die das, was ihnen an
Gestaltungskraft und formaler Be-
fähigung abgeht, durch seltsame
Stoffe und mysteriöses Gebahren
ersetzen zu können glauben. Eine
erstaunlich weit verzweigte »Char-
latankunst« ist hierdurch ent-
standen, ja in mancher Hinsicht,
z. B. in der Musik der Pseudo-
Wagnerianer, alleinherrschend ge-
worden. — Andererseits rechnet
 
Annotationen