Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ursächlicher Seelendeutung vorzudringen. Die rationalisierte, ausgeschnittene
Anekdote ist abgesetzt, philologischer Lyrismus wird durch Beobachten er-
ledigt; statt statischer Synthese der Person versucht man die „begründende“
Analyse und reiht Sensationen und Gefühle atomistisch aneinander. Der Ro-
mantiker, der die Zweiheit von common sens und autistischer Einbildungskraft
empfindsam oder ironisch gegeneinander ausspielte, wurde nun vom „unpersön-
lichen“ Beobachter abgelöst. In die Philosophie gleiten von der Biologie her
dynamische Lockerungen, von der Physik her typische Beziehungen oder äffisch
genutzte, nämlich physikalisch formulierte Kräfte; doch die absoluten, so sehr
geglaubten Systeme mit dem vorbeschlossenen happy end der reinen Vernunft
schlichen bedenklich ins Fragliche und wurden nur noch ästhetisch gewertet.
Wiederentdeckung des Lichts! Man findet eine neue Deutung des Sehens
durch das Licht. Sehen ist nichts fertig Gegebenes, vielmehr aufschimmernder
Umriß, ein Stück Körper, ein Aufleuchten, Färb Verhältnisse. Statt der klassi-
schen Vollständigkeit betont man die Auswahl der optischen Elemente, man
gibt visuelle Abkürzungen (Abbreviaturen). Sehen entsteht im Licht, wird aus
Teilen und Teilchen erregt. Licht ist Führer und Bilddominante; jenes be-
stimmt die Auslese der malerisch bedeutsamen Momente. Licht ist also ein
Mittel subjektiven Wertens. Man betreibt bald eine Art farbiger Atomistik,
eine simple physiologische Lehre von Farbreizen wurde zur Doktrin erhoben,
was dem abergläubisch positivistischen Geist dieser Zeit entsprach. Das Sehen
wird analytisch auf farbige Reize und Gegensätze zurückgeführt, geradezu
naturwissenschaftlich. Man zeigt das Bildgenetische, die Handschrift; das Zeit-
moment erschüttert die frühere formelhafte Festigkeit. Der platonisierenden
Ästhetik, der Lehre von ewigen, unabhängigen, statischen Formen, werden Ein-
drucksmoment und subjektive Erregung entgegengestellt.
Der fertigen Bildtypen überdrüssig, wollte man das Sehen selber greifen und
fand statt einheitlicher fester Formen leuchtende Beweglichkeiten, Zwischen-
stufungen, Schwingungen, das Licht. Die verheerende Wirkung der christlich
entfärbten Antike, die Überschätzung der unkörperlichen und platonisch
dauernden Linie waren beendet; die Linie hatte man einst wie eine Schatten-
seele vom vergänglichen Körper gelöst. Mit der Verheidnischung der Renais-
sance wurde sie zur plastischen Raumlinie umgebildet und später zum pseudo-
plastischen Modele des Baroque geschwellt.
Die statischen Formen und Massen, die ewige Geltung behaupteten, eigneten
sich nicht, das erregt Funktionelle dieser skeptischen Zeit auszudrücken. Die
stabile Geometrie der Massen wurde aufgegeben; jüngere Gläubige, denen die
Skepsis der Väter nicht lag, suchten jene fünfzig Jahre später wieder hervor.
Betont wurde das Licht als die entscheidende Bildkraft; doch wurde es zuneh-
mend lehrhafter zerlegt. Denn diese skeptische Zeit glaubte so gern der posi-
tiven Wissenschaft. Man mühte sich nun nicht mehr um Volumen und lineares
Umreißen plastischer Gestalt, sondern Lichtstärken werden dargestellt, freund-
lich verbunden oder kämpfend entzweit. Bald dringen die Neoimpressionisten

io
 
Annotationen