formalen Zensur. Jedoch ist solch sinnendes Schauen nicht rational geartet;
denn diese Basis bleibt halluzinativ.
Wir betonten, daß die Kraft zur Verwandlung aus traumhafter Loslösung
quillt. Diese Eile, der oft gescholtene heftige Verbrauch von Formen, die an
Picassos Werk beobachtet werden, diese zyklische Folge verschiedenster Ge-
staltungen, die wir als seelischen Pluralismus bezeichnen, ruht in einem festen
Gefühl eigener Identität. Was der landläufige Moralist als Charakter oder Ein-
heit der Person bezeichnet, ist meistens nur Armut und Langeweile.
Picasso hat dank dieser stilistischen Mannigfaltigkeit für Generationen for-
male Aufgaben gefunden. Sein Schatten, dem die Jüngeren noch nicht zu ent-
fliehen vermögen, übermantelt die Gegenwart. Die Frage nach einer Zukunft
heißt hier, ob ein Talent kommt, das mit gleicher Begabung, doch mit gänzlich
anderen Mitteln dem Oeuvre Picassos entgegnet.
Die gebieterischen Zentren und Bindungen des älteren Seins sind gelöst. Sie
hatten das Leben der Vorfahren autoritativ beherrscht und ihm zur Grundlage
das Wunder gegeben. Unser Sein ist im Gegensatz zur ergebenen Frömmigkeit
der Vorfahren, die immer auf eine statische Mitte gerichtet waren, zentrifugal
geartet. An die Stelle des religiösen Zwangs tritt nun die Fatalität des Un-
bewußten, die den Fakt nur des Subjektiven völlig überschreitet. Gleichzeitig
sind nun mehr Varianten und Gegensätze möglich, da das Leben kaum noch
dogmatisch überzeugend und bestimmt ist. Gewiß war Gott früher die Anti-
nomie des Seins, doch gleichzeitig seine unbestrittene Dominante; jetzt aber ist
jene paradox in das Sein selber verlegt und bedeutet die Möglichkeit gleich-
zeitiger entgegengesetzter Lösungen. Nun erhält innere Identität anderen Sinn.
Trieb früher der Mensch zerrissen in der Spannung von Diesseits und Jenseits,
so ist er jetzt in den dialektischen Kampf diesseitiger, doch entgegengesetzter
Strömungen gestellt. Früher wurde solcher Streit der Antinomien autoritativ
und dogmatisch entschieden. Jetzt sind Wahl, Bestimmung und Deutung der
widerstreitenden Kräfte dem Einzelnen zugewiesen. Früher erschienen Lö-
sungen wie von außen her angeordnet, jetzt wirken sie als subjektive, scheinbar
willkürliche Entscheide, wofür Normen kaum gefunden werden, wenn man
nicht das schicksalhaft Unbewußte und die subjektive Besessenheit als norm-
bildende Kräfte anerkennt.
Früher flog die Masse visionärer Erregung zur Mitte gerichtet in den einen
Gott, und so war die Bildung eines Kanons der Halluzinationen möglich. Nun
war diese Kraft in vielstimmige Wellen zerfallen und hatte sich in isoliertere
Erlebnisse abgetrennter Individuen aufgelöst. Doch konnten diese Halluzina-
tionen wieder typisch werden dank der archaisch kollektiven Unterschicht des
Unbewußten. Jedenfalls ist man in eine Zerspaltung und Differenzierung der
Normen geraten, der eine Mehrzahl von Lösungen entspricht.
Die Vision des Begabten scheidet sich von der des Durchschnittlichen da-
durch, daß der Mittelmäßige hilflos in der Wiederholung des Undeutlichen oder
eines Schemas dämmert, das ihn schicksalshaft gefangenhält. Der Begabte
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denn diese Basis bleibt halluzinativ.
Wir betonten, daß die Kraft zur Verwandlung aus traumhafter Loslösung
quillt. Diese Eile, der oft gescholtene heftige Verbrauch von Formen, die an
Picassos Werk beobachtet werden, diese zyklische Folge verschiedenster Ge-
staltungen, die wir als seelischen Pluralismus bezeichnen, ruht in einem festen
Gefühl eigener Identität. Was der landläufige Moralist als Charakter oder Ein-
heit der Person bezeichnet, ist meistens nur Armut und Langeweile.
Picasso hat dank dieser stilistischen Mannigfaltigkeit für Generationen for-
male Aufgaben gefunden. Sein Schatten, dem die Jüngeren noch nicht zu ent-
fliehen vermögen, übermantelt die Gegenwart. Die Frage nach einer Zukunft
heißt hier, ob ein Talent kommt, das mit gleicher Begabung, doch mit gänzlich
anderen Mitteln dem Oeuvre Picassos entgegnet.
Die gebieterischen Zentren und Bindungen des älteren Seins sind gelöst. Sie
hatten das Leben der Vorfahren autoritativ beherrscht und ihm zur Grundlage
das Wunder gegeben. Unser Sein ist im Gegensatz zur ergebenen Frömmigkeit
der Vorfahren, die immer auf eine statische Mitte gerichtet waren, zentrifugal
geartet. An die Stelle des religiösen Zwangs tritt nun die Fatalität des Un-
bewußten, die den Fakt nur des Subjektiven völlig überschreitet. Gleichzeitig
sind nun mehr Varianten und Gegensätze möglich, da das Leben kaum noch
dogmatisch überzeugend und bestimmt ist. Gewiß war Gott früher die Anti-
nomie des Seins, doch gleichzeitig seine unbestrittene Dominante; jetzt aber ist
jene paradox in das Sein selber verlegt und bedeutet die Möglichkeit gleich-
zeitiger entgegengesetzter Lösungen. Nun erhält innere Identität anderen Sinn.
Trieb früher der Mensch zerrissen in der Spannung von Diesseits und Jenseits,
so ist er jetzt in den dialektischen Kampf diesseitiger, doch entgegengesetzter
Strömungen gestellt. Früher wurde solcher Streit der Antinomien autoritativ
und dogmatisch entschieden. Jetzt sind Wahl, Bestimmung und Deutung der
widerstreitenden Kräfte dem Einzelnen zugewiesen. Früher erschienen Lö-
sungen wie von außen her angeordnet, jetzt wirken sie als subjektive, scheinbar
willkürliche Entscheide, wofür Normen kaum gefunden werden, wenn man
nicht das schicksalhaft Unbewußte und die subjektive Besessenheit als norm-
bildende Kräfte anerkennt.
Früher flog die Masse visionärer Erregung zur Mitte gerichtet in den einen
Gott, und so war die Bildung eines Kanons der Halluzinationen möglich. Nun
war diese Kraft in vielstimmige Wellen zerfallen und hatte sich in isoliertere
Erlebnisse abgetrennter Individuen aufgelöst. Doch konnten diese Halluzina-
tionen wieder typisch werden dank der archaisch kollektiven Unterschicht des
Unbewußten. Jedenfalls ist man in eine Zerspaltung und Differenzierung der
Normen geraten, der eine Mehrzahl von Lösungen entspricht.
Die Vision des Begabten scheidet sich von der des Durchschnittlichen da-
durch, daß der Mittelmäßige hilflos in der Wiederholung des Undeutlichen oder
eines Schemas dämmert, das ihn schicksalshaft gefangenhält. Der Begabte
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