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Das starke Herausheben unmittelbar subjektiven Erfahrens mag in seiner
zunächst negativen Einstellung zum Gegebenen gewaltsam anmuten; man
wollte hierin öfters etwas wie ein mystisches Schauen feststellen, was unsinnig
ist, da man gerade ein Erfassen eigener, undurchbrochener Empfindungen ver-
suchte und seine Einbildung dermaßen verselbständigte, daß man zur Erzeugung
neuer Gegenstände dringen konnte. Dies subjektiv Lyrische der Heutigen mündet
kaum in geistige Übereinkünfte; hierin zeigt sich die schmale Grenze, und da-
durch wird seine rasche Mechanisierung, sein schneller Verbrauch, verständlich.
Dieser Trennung der dekorativ spezifischen Bildvorstellung und der orga-
nisch nützlichen Gegenstände entspricht die Literatur um 1905—1914. Etwas
verspätet waren die Deutschen zur Abtrennung des sprachlichen Verbindens
von den organischen Zusammenhängen gedrungen. Im Strom der geschicht-
lichen Dialektik wurde man von der sentimentalen Schilderung zu selbstän-
digeren Wortbildern getrieben, deren Folge nicht durch Beschreiben, sondern
durch symbolisierendes Verbinden übersetzter Vorstellungen und Empfindun-
gen zustande kommt. Man trennte vom üblichen Erfahrungsverlauf bestimmte
Vorstellungszentren ab, die in dem Automatismus des isolierten Menschen
weiterrollten; wenn man oft das Wort ,,Kunstwollen“ gebrauchte, so zielte
man wohl dunkel auf diese Einengung und Konzentration des Subjekts hin,
die allerdings zumeist zwangsweise abläuft. Der Mensch spricht hier nicht, um
zu schildern, sondern um die ihm gemäßen Verknüpfungen von Zeichen aus-
zusprechen. Man ist vorwiegend lyrisch, und hierdurch war diese Literatur-
gbneration eingezirkt, deren Ironie und Groteske lyrisch klagten. Dies Auf-
fangen des inneren, von außen nur mittelbar bestimmten Fließens drängt zu
Rhythmus und Form, damit jenem ein Gesetz auferlegt werde. So gerät man
leicht in eine rhetorische Dekorative der Metaphern, die der ornamentalen
Stilisierung des Malers entsprach. Die Form soll vor dem Strom innerer Dy-
namik retten, vor dem Zwang aufspringender Zeichen schützen. Es beweist die
jämmerliche Schwäche menschlichen Schaffens, daß der Ausdruck des ihm
eigensten Erfahrens —letzte schwache Akme — gegenüber der Masse „äußeren“
Erfahrens wie ein gefährdetes „Unwirkliches“ erscheint; die zur Metapher ge-
demütigte Wirklichkeit wird dann schmale Imagination — wenn sie nicht zu
allgemeiner Übereinkunft banalisiert wurde — rächend niederkämpfen. Hierin
liegt die Ursache des Endes subjektiver Kunst und auch der jetzigen beschlos-
sen ; gern entzieht man sich konzentrierter Selbstverengung und entsteigt dem
monologischen Kreis des Lyrischen.
Nun hatte Epoche begonnen; als wirklich Unmittelbares galt die Imagination,
wahrer durch ihre Nähe zum Menschen. Dies Imaginäre, die Folge bildhafter
Zeichen, trennte man ab und bewegte sich in der Folge der Bilder, deren freie
Willkür entzückte und überraschte. Die Gesetzmäßigkeit organischen Ablaufs
galt nicht mehr, der Freidichtende entschied; Wirklichkeit: eine langweilende
Allegorie. Vision und Traum siegten. Man glaubte, in der Imagination den
Kern des Geschehens zu fassen, ein spezifisch Menschliches, das zu freien
 
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