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Totalitäten verarbeitet werden könne, wobei man sich etwas eitel verbarg,
daß jede Ganzheit und Form von Ermüdung bestimmt ist. Man hoffte dem
Fragment zu entrinnen, indem man den imaginativen Gegenstand nach
selbständigen Zusammenhängen baute, wobei der Vergleich zwischen Gedicht
und gegebener Tatsache wegfiel, da man die Bilder nur handwerksmäßig
ästhetisierend beschaute. Das äußere Objekt -— warum es in anderen Bezirken
umschreiben, statt gänzlich in sich selbst zu tauchen und sein Ungekanntes in
Zeichen emporzufördern, es durch Form und Folge der Zeichen zu bezwingen;
nun galt es, nicht die gewußten Dinge zu schildern, sondern letztbewußte
Grenzvorgänge, fast Neues hervorzuziehen. Das Imaginäre, das bisher von der
„Wirklichkeit" kompromittiert war, wurde als nächste, unmittelbare Realität
gefaßt, und das Erleben der Zeichenfolge war vor allem wichtig. Sehen, Hören,
Schmecken, Fühlen, Denken werden nicht organisch, sondern bildhaft zu
Handlungseinheiten verschmolzen, die der rationalen Kausalität spotten. Die
Gedichte geben eigengesetzliche, subjektiv freie Wortfolgen; bleibt die Er-
findung nicht selbständig, so wird das Gegebene nur sentimental übersetzt und
mit billigen Metaphern dekoriert. In der Dichtung wird nun das außen Wahr-
genommene nur noch als abgetrennte Randerscheinung gewertet, die an der
Grenze der unmittelbaren Erlebnisse strömt; die Bedeutung - des Wirklichen
erfährt eine Umkehr, das Gegebene wirkt schwach wie fernes Zeichen, doch
Erinnerungssignale werden dem freien Sprachablauf eingewebt. War bei
Nietzsche die Kunst beglückende Fiktion, so ist nun das Gegebene zur Allegorie
gemindert, das Wirkliche wird geringer gewertet. Man sucht die dem Subjekt
gemäße Gestalt und die Spannung zwischen Bild und Mensch wird verringert.
Skepsis, mitunter pessimistische, wird gegen die ablenkenden Dinge verspürt,
man begreift trauernd oder spöttisch die Grenzen autonomeren Schaffens und
flüchtet in etwas wie Sachangst. Dies Vertrauen auf den Ablauf der Zeichen
setzt ein Bezweifeln dinglicher Kausalität voraus; ein Alogisches bezaubert, das
vom angeblich Rationalen des Dinggeschehens verdeckt war. Seelische Abläufe
und kausal vernünftige Prozesse decken sich nicht. Vielleicht betont man bei
kurzer Schilderung ironisch die Laune gegenüber der Ordnung der Dinge, man
verwendet wie die Maler — vom Naturalistischen aus gesehen ■—- die lyrische
Disproportion, indem nach innerer Wertung Akzente gesetzt werden. Die
Neigung zur „Groteske" erweist Wertverschiebung.
Man mag vielleicht in der bildhaften Introspektion das prozeßhaft Vielfältige
der Seele wahrnehmen, die Zeichen fließen hin, und die Einheit des Subjekts
wird bezweifelt, man erfährt ein „Simultane“, das kaum noch ein Zentrum von
Person besitzt, und das Subjekt wird Fuge vielfältiger Funktionen, die an-
scheinend sich widersprechen. Man verzichtet auf rationalen Zusammenhang
und Sinnhaftigkeit; die Ungebundenheit der Bilder wird gesteigert, die schein-
bare Kausalität gemindert; man nähert sich Dada, doch nur kurze Zeit erträgt
man die eigene Freiheit und sinkt in literarischen Verismus zurück, der mit
deutlicher Kunstverachtung beginnt. Statt Realitätsverdrängung setzt nun

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