Lösung erreiche. Wissenschaftliche Wahrheit heißt eben Limitierung. Die Kraft
der Picassoschen Linienführung beruht in ihrem vieldeutigen Beziehungsreich-
tum und der Integration der verschiedenen Sehachsen. Jede Form ist nach
vielen Raumschichten hin deutbar, die jedoch auf eine Ebene bezogen werden.
Im „Atelier I“ bemerkt man abgegrenzte Wirkungsfelder der Gestalten. Man
könnte von Auren sprechen. Im „Atelier II“ sind die Formfelder scharf abge-
trennt und die den Masken eingefügten Zeichen den senkrechten Bildachsen
gemäß gesetzt.
Diese völlig erfundenen Geschöpfe tragen konstruktive Masken, deren Teile
nach der Gesamtkomposition gesetzt werden. Der formale, nicht der biologische
Kanon gilt, das Gesetz der Wandlung und nicht das der Wiederholung. Der
lebendige Sinn dieser Bilder besteht in der Geltung des unmittelbar Wirklichen
über den naturalistischen Mechanismus heraus. Man gibt eine im Sinne der Kom-
position wahre Orientierung; die Telepathie der erfundenen Formanalogien gilt.
Diese Bilder sind vom genrehaften Beschreiben seelischer Vorgänge entfernt,
das ebenso wie das anekdotische Genrebild uns sein Motiv geschwätzig be-
schreibt. Die knappen Mittel entsprechen der Schnelligkeit der Halluzination
und elementarem Archaismus. Picasso schuf damals eine Reihe Figurenbilder,
Geschöpfe einer formalen Mythologie, die fern von Kommentaren der formalen
Immanenz entspringen. Die unmittelbaren Gesichte erscheinendem Nachahme-
rischen, Gewöhnlichen als das Fernste. Diese Bilder entstammen den noch nicht
angepaßten seelischen Bezirken und überholen die rechnende Vernunft. Die alten
Zeichen von Pfahl, Schädel, Haus und Mutterleib sind wieder gefunden. Diese
Bildwerke bezeugen, daß heute der Isolierte das menschlich Typische formuliert,
da er nicht auf den Umwegen verstorbener Konventionen ermüdet. Jedoch dies
Isolierte spricht in den frühen Typen kollektiver Zeichen; es kennzeichnet die un-
selige Epoche, daß ihr das Typische zur unwahren Ausnahme verzerrt wurde.
Picasso ist ein Signal, was diese Zeit an Freiheit besitzen könnte. Nie hat
er sich mit passiver Wahrnehmung begnügt. Die einzige Möglichkeit des
Menschen ist er selber, und darum ist er gezwungen, stündlich seinen Schatten
zu überspringen und zu erfinden. Jedes Schaffen ist ein Sichentfremden und
Sichloslösen. Picasso führt den Kampf zwischen unmittelbar menschlicher
Struktur und dem äußeren, abgestorbenen Wirklichen. Kunst galt ihm als
dauerndes Erweitern des Selbstbewußtseins. Picasso begnügt sich nicht mit
einem grotesken Umzeichnen, man meidet das witzige Doppelspiel der Ver-
gleiche, wobei jeder Partner zur Allegorie abgeschwächt wird. Selbst die Schat-
ten seiner Gestalten bildet er nicht als Doppelgänger, sondern als eine der vielen
gegensätzlichen Emanationen des Menschen. Auch die Schatten sind Gegen-
spieler und Janus ist nicht mehr Spiegelung des Ichs, sondern Zeichen der Wand-
lung und des Gegensatzes.
Picasso hatte begriffen, daß das autonome Bild das Sterben des Wirklichen
bedingt. Andererseits wird dieses dadurch verstärkt, daß neue Blöcke von Ein-
bildung hineingesprengt werden.
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der Picassoschen Linienführung beruht in ihrem vieldeutigen Beziehungsreich-
tum und der Integration der verschiedenen Sehachsen. Jede Form ist nach
vielen Raumschichten hin deutbar, die jedoch auf eine Ebene bezogen werden.
Im „Atelier I“ bemerkt man abgegrenzte Wirkungsfelder der Gestalten. Man
könnte von Auren sprechen. Im „Atelier II“ sind die Formfelder scharf abge-
trennt und die den Masken eingefügten Zeichen den senkrechten Bildachsen
gemäß gesetzt.
Diese völlig erfundenen Geschöpfe tragen konstruktive Masken, deren Teile
nach der Gesamtkomposition gesetzt werden. Der formale, nicht der biologische
Kanon gilt, das Gesetz der Wandlung und nicht das der Wiederholung. Der
lebendige Sinn dieser Bilder besteht in der Geltung des unmittelbar Wirklichen
über den naturalistischen Mechanismus heraus. Man gibt eine im Sinne der Kom-
position wahre Orientierung; die Telepathie der erfundenen Formanalogien gilt.
Diese Bilder sind vom genrehaften Beschreiben seelischer Vorgänge entfernt,
das ebenso wie das anekdotische Genrebild uns sein Motiv geschwätzig be-
schreibt. Die knappen Mittel entsprechen der Schnelligkeit der Halluzination
und elementarem Archaismus. Picasso schuf damals eine Reihe Figurenbilder,
Geschöpfe einer formalen Mythologie, die fern von Kommentaren der formalen
Immanenz entspringen. Die unmittelbaren Gesichte erscheinendem Nachahme-
rischen, Gewöhnlichen als das Fernste. Diese Bilder entstammen den noch nicht
angepaßten seelischen Bezirken und überholen die rechnende Vernunft. Die alten
Zeichen von Pfahl, Schädel, Haus und Mutterleib sind wieder gefunden. Diese
Bildwerke bezeugen, daß heute der Isolierte das menschlich Typische formuliert,
da er nicht auf den Umwegen verstorbener Konventionen ermüdet. Jedoch dies
Isolierte spricht in den frühen Typen kollektiver Zeichen; es kennzeichnet die un-
selige Epoche, daß ihr das Typische zur unwahren Ausnahme verzerrt wurde.
Picasso ist ein Signal, was diese Zeit an Freiheit besitzen könnte. Nie hat
er sich mit passiver Wahrnehmung begnügt. Die einzige Möglichkeit des
Menschen ist er selber, und darum ist er gezwungen, stündlich seinen Schatten
zu überspringen und zu erfinden. Jedes Schaffen ist ein Sichentfremden und
Sichloslösen. Picasso führt den Kampf zwischen unmittelbar menschlicher
Struktur und dem äußeren, abgestorbenen Wirklichen. Kunst galt ihm als
dauerndes Erweitern des Selbstbewußtseins. Picasso begnügt sich nicht mit
einem grotesken Umzeichnen, man meidet das witzige Doppelspiel der Ver-
gleiche, wobei jeder Partner zur Allegorie abgeschwächt wird. Selbst die Schat-
ten seiner Gestalten bildet er nicht als Doppelgänger, sondern als eine der vielen
gegensätzlichen Emanationen des Menschen. Auch die Schatten sind Gegen-
spieler und Janus ist nicht mehr Spiegelung des Ichs, sondern Zeichen der Wand-
lung und des Gegensatzes.
Picasso hatte begriffen, daß das autonome Bild das Sterben des Wirklichen
bedingt. Andererseits wird dieses dadurch verstärkt, daß neue Blöcke von Ein-
bildung hineingesprengt werden.
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