Die Entwicklung des Götterglaubens in älterer Zeit.
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Sohn der Isis, Thoth, Mat, Anubis enthält, dazu noch,
um die Zahl voll zu machen, einige weniger bekannte Wesen.
Dieser Gedanke der Priester von Heliopolis hat dann leb-
haften Anklang gefunden, und auch andere große Städte
wollen ihrerseits ebenfalls eine Neunheit haben, so gut wie
die Heliopoliten: da ersetzen sie dann einen jener Götter
durch den Gott ihrer Stadt oder sie fügen auch diesen nur
zu jener Zahl hinzu, unbekümmert darum, daß nun diese
Neunheit ja zehn Mitglieder hat.
Die Theologie, von der wir hier sprechen, hat übrigens früh
auch eine Literatur hervorgebracht, von der uns freilich nur
wenig erhalten ist. Sie hat zunächst einmal die Sagen gesammelt
und hat aus ihnen in übel angebrachter Gelehrsamkeit eine
Urgeschichte der Welt konstruiert, in der die Götter als
Könige von Ober- und Unterägypten aufgeführt sind, ein jeder
mit Angabe der Jahrhunderte und Jahre, die er regiert hat.
Da folgen sich Keb, Osiris, Seth, Horus, denen wieder Thoth
und Mat folgen; dann kommen allerlei geringere Götter,
an die sich schließlich die Horusdiener, die menschlichen
Könige der Urzeit schließend). In dieser Plattheit ist man
dann so weit gegangen, daß man für die Götter förmliche
Titulaturen erfunden hat, ähnlich denen, die die irdischen
Könige tragen, und schon im Anfang des mittleren Reiches
führt Osiris auf einem Grabsteine 3°) zwei korrekt gebildete
Königsnamen: Horus'. »der das Gemetzel der beiden Ägypten
schlichtete«, der König von Ober- und Unterägypten'. »Osiris
Wennofre«. Übrigens übersehe man nicht, daß der erste dieser
Namen wieder auf einen uns unbekannten Zug der Osirissage
anspielt; er klingt, als habe der Gott beim Antritt seiner
Herrschaft Ägypten im Kampfe vorgefunden und ihm den
Frieden gebracht.
Eine weitere Aufgabe dieser Theologen war das Erklären
und Deuten alter religiöser Texte. Wir besitzen eine interes-
sante Probe dieser Tätigkeit in dem sogenannten siebzehnten
Kapitel des Totenbuchs, einem alten Texte, in dem der Tote
erklärt, daß er einer der Götter geworden sei. Wenn es dort
völlig verständlich heißt: ich bin Min, wenn er erscheint;
ich habe meine zwei Federn (vgl. S. 17) auf meinen Kopf
gesetzt, so lautet die Erklärung des älteren Kommentars:
was heißt das, seine zwei Federn? Es ist Horus, der seinen
Vater schützte-, seine beiden Federn sind, die beiden Schlangen,
die am Haupte des Atum sind (vgl. S. 13). Der andere, etwas
jüngere Kommentar aber sagt: Was heißt das? Min ist
Horus, der seinen Vater schützt. Sein Erscheinen ist seine
Geburt. Was seine beiden Federn betrifft, so gingen Isis und
l9) Nach dem Turiner Königspapyrus.
3°) Louvre C. 2.
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Sohn der Isis, Thoth, Mat, Anubis enthält, dazu noch,
um die Zahl voll zu machen, einige weniger bekannte Wesen.
Dieser Gedanke der Priester von Heliopolis hat dann leb-
haften Anklang gefunden, und auch andere große Städte
wollen ihrerseits ebenfalls eine Neunheit haben, so gut wie
die Heliopoliten: da ersetzen sie dann einen jener Götter
durch den Gott ihrer Stadt oder sie fügen auch diesen nur
zu jener Zahl hinzu, unbekümmert darum, daß nun diese
Neunheit ja zehn Mitglieder hat.
Die Theologie, von der wir hier sprechen, hat übrigens früh
auch eine Literatur hervorgebracht, von der uns freilich nur
wenig erhalten ist. Sie hat zunächst einmal die Sagen gesammelt
und hat aus ihnen in übel angebrachter Gelehrsamkeit eine
Urgeschichte der Welt konstruiert, in der die Götter als
Könige von Ober- und Unterägypten aufgeführt sind, ein jeder
mit Angabe der Jahrhunderte und Jahre, die er regiert hat.
Da folgen sich Keb, Osiris, Seth, Horus, denen wieder Thoth
und Mat folgen; dann kommen allerlei geringere Götter,
an die sich schließlich die Horusdiener, die menschlichen
Könige der Urzeit schließend). In dieser Plattheit ist man
dann so weit gegangen, daß man für die Götter förmliche
Titulaturen erfunden hat, ähnlich denen, die die irdischen
Könige tragen, und schon im Anfang des mittleren Reiches
führt Osiris auf einem Grabsteine 3°) zwei korrekt gebildete
Königsnamen: Horus'. »der das Gemetzel der beiden Ägypten
schlichtete«, der König von Ober- und Unterägypten'. »Osiris
Wennofre«. Übrigens übersehe man nicht, daß der erste dieser
Namen wieder auf einen uns unbekannten Zug der Osirissage
anspielt; er klingt, als habe der Gott beim Antritt seiner
Herrschaft Ägypten im Kampfe vorgefunden und ihm den
Frieden gebracht.
Eine weitere Aufgabe dieser Theologen war das Erklären
und Deuten alter religiöser Texte. Wir besitzen eine interes-
sante Probe dieser Tätigkeit in dem sogenannten siebzehnten
Kapitel des Totenbuchs, einem alten Texte, in dem der Tote
erklärt, daß er einer der Götter geworden sei. Wenn es dort
völlig verständlich heißt: ich bin Min, wenn er erscheint;
ich habe meine zwei Federn (vgl. S. 17) auf meinen Kopf
gesetzt, so lautet die Erklärung des älteren Kommentars:
was heißt das, seine zwei Federn? Es ist Horus, der seinen
Vater schützte-, seine beiden Federn sind, die beiden Schlangen,
die am Haupte des Atum sind (vgl. S. 13). Der andere, etwas
jüngere Kommentar aber sagt: Was heißt das? Min ist
Horus, der seinen Vater schützt. Sein Erscheinen ist seine
Geburt. Was seine beiden Federn betrifft, so gingen Isis und
l9) Nach dem Turiner Königspapyrus.
3°) Louvre C. 2.