Drei
„Sprich es aus — wer bist Du?"
„Nun Wohl — ich bin Ahasver! wie Ihr mich nennt, oder
Joseph, wie Ananias mich taufte, oder Cartaphilus, der Jude
von Jerusalem."
Ulrike stieß einen Schrei aus. Ihre Glieder versagten ihr
den Dienst; sie sank in die Knie.
„Ist Dein Muth dahin?" — sagte Ahasver mit Hohn: „er-
liegst Tu unter der Last einer Nacht, stolzes Weib? der Mann
vor Dir steht auftecht unter siebenzehnhundert Jahren!"
„Ich habe im Wettkampf der Entschlossenheit mit einem
Menschen ringen wollen — mit einem Geist, einem Gespenst
habe ich nichts zu schaffen!"
„Ich bin kein Gespenst: ich bin ein Mensch wie Du —
dieser Leib ist lebend wie der Deine. Wenn ich hundert Jahre
gewandert habe, dann ergreift mich ein gewaltiges Siechthum, ein
heißes Fieber, und während desselben erfrischt und verjüngt
sich mein Leib genau zu jener Kraft und jenem Alter, das ich
damals hatte, als ich die Hand erhob wider ihn!"
Ahasver streckte bei diesen Worten die rechte Hand in die
Höhe; er stand vor der bebenden Frau in dieser feierlichen
Haltung, umflossen von dem kalten Mondlicht, das nur zit-
ternd auf seine vom Winde geschüttelten Gewänder nieder zu
gleiten schien, wie das verkörperte Grauen, wie die Bildsäule
des Schreckens.
„Dann," fuhr er fort, „wennjene Verjüngung eingetreten,
ist mir ein Jahr der Rast vergönnt. Dasselbe Ruhejahr nach
einem Jahrhundert der Qual ist denen vergönnt, die, wie ich
die Erde, verdammt sind, das Meer und die Luft zu durch-
ziehen. Wir haben in Deiner Vaterstadt eine solche Rast ge-
halten — bis heute, wo sie zu Ende ist."
„Laß mich heimgehn," sagte Ulrike, indem sie alle ihre
Kräfte zusammenraffte, um sich zu erheben.
„Heimgehn? glaubst. Tu, ich ließe Dich? Tu bist in meiner
Hand. Du sollst die öde Einsamkeit meiner Wanderschaft
theilen; mich graut vor dem Alleinsein. Komm!"
Ulrike stieß einen Schrei aus und fiihlte, daß ihre Sinne
nahe daran seien, ihr zu schwinden.
Ta fiel ihr Auge auf den unerklärlichen dritten Schatten,
der ihnen vom Walde her gefolgt war. Dieser Schatten begann
in eine eigenthümliche Bewegung zu gerathen; er zog sich zu
gewöhnlicher Menschenlänge zusammen, erhob sich allmälig und
nach einigen Augenblicken stand ein dürrer schwarzer Alaun vor
dem zitternden Weibe. Zugleich ließ sich eine heisere Stimme
hören, die nicht aus dem Munde des Schwarzen, sondern
mehr wie von der ganzen hagern Gestalt ausgehend klang.
„Nur Muth — nur Muth!" sagte die Stimme und ließ
dann ein meckerndes höhnisches Lachen folgen: „weßhalb willst
Du nicht mit dem melancholischen Schnellläufer gehen? Du wirst
Gelegenheit haben, Deine Welt- und Menschenkenntniß uner-
meßlich zu bereichern. Hast Du nicht Dein Leben daran ge-
setzt, die Männer zu übertreffen? Geh und wandte an der Seite
dieses peripatetischen Weltweisen! er wird Dir die Schicksale
von zwei Jahrtausenden mittheilen und Dir die Gestalten zeigen,
die über den Gräbern ihrer Thaten umwandeln: geh, und wenn
Freier. 27
Tu einst heimkehrst, wirst Du gelehrter sein, als alle Männer
aller Zeiten!"
„Komm!" rief Ahasver noch einmal mit drohender Stimme
aus und ergriff den Arin Ulrikens.
„O Gott — o Gott, ist denn keine Rettung!?"
„Du wendest Dich an den Unrechten," sagte der Schwarze.
„Verschreib mir Deine Seele — ich will Dich retten!"
„Nimm meine Seele — ich gelobe sie Dir — aber schütze
mich, schütze mich!"
„So geh, Ahasver!" sagte der Schwarze gebietend.
„Ich weiche Dir, Verfluchter" — versetzte der Jude von
Jerusalem; „Du aber, Weib, bist nicht befreit, wenn ich auch
Dich fahren laffe!"
Er streckte seine Hand gegen den Horizont aus. Dann
wandte er sich, und ging mit großen Schritten davon, über die
nachtbedeckte Haide fort.
Es war ein dunkles heranziehendes Gewölk, auf das der
Scheidende gedeutet hatte. Als Ulrike ihre Blicke dahin wandte,
sah sie, wie sich heftig bewegte Gestalten daraus bildeten, Roffe,
Reuter, Unholde; der Nachtwind trug ein wüstes Rufen und
Klirren und Gebell an ihr Ohr, — immer lauter und lauter,
bis sie das Wiehern der Roffe, das Knallen der Peitschen,
den Weheschrei gehetzter Thiere vernahm.
„Siehst Du sie kommen?" sagte der Schwarze? „es ist das
wüthende Heer; der wilde Jäger sprengt seinem Troße voran
und an seiner Seite führt er ein gesatteltes Roß —"
„O Gott," stöhnte Ulrike und klammerte ihre Hände krampf-
haft in die Kräuter und Gräser des Bodens fest.
„Ahnst Du, für wen der Rappe mit dem leeren Sattel
bestimmt ist, den Dein feuriger Galan, der Rodensteiner, führt?"
Ulrike war einer Antwort nicht mehr mächtig. Sie sank
bewußt- und leblos zu Boden.
Der Schwarze stieß wieder sein meckerndes Lachen aus.
„Auf Wiedersehen, kühne Frau!" sagte er und dann zerrann
die ganze Gestalt niedersinkend in den Schatten, in dem sie zu-
erst erschienen war; dieser Schatten dehnte und verflüchtigte
sich, so wie der Schatten einer windgejagten Wolkenmaffe, die
über das Antlitz der Sonne zieht, auf einer Berghalde da-
hinflattert.
Aber die ohnmächtige Frau blieb nicht allein. Während
das wüthende Heer brausend über sie fortstürmte, blickte eine
hohe ritterliche Gestalt, die plötzlich vor ihr stand, auf sie nie-
der. Es war dieselbe Gestalt, die vor wenigen Stunden sporen-
klirrend und mit goldner Waffe umgürtet die Stiegen in den
„drei Mohren" niederschritt; noch immer hoch, stolz und ge-
bietend, obwohl jetzt statt der reichen Kleidung die verwitterten
Gewänder einer längst begrabenen Zeit, dem Anzug eines alten
Kriegers aus den Kämpfen des sechszehnten Jahrhunderts ähn-
lich, sie umgaben. Hinter dem Reuter bäumten sich zwei
schwarze, die feurigen Nüstern weit aufschnaubende Roffe.
„Komm!" sagte der dunkle Reuter, streckte den Arm nach
Ulriken aus und hob sie wie eine federleichte Last auf eines der
Roffe, das einen Quersattel trug, und auf dem das ohnmäch-
tige Weib von diesem Augenblicke an so fest saß, als sei sie
4*
„Sprich es aus — wer bist Du?"
„Nun Wohl — ich bin Ahasver! wie Ihr mich nennt, oder
Joseph, wie Ananias mich taufte, oder Cartaphilus, der Jude
von Jerusalem."
Ulrike stieß einen Schrei aus. Ihre Glieder versagten ihr
den Dienst; sie sank in die Knie.
„Ist Dein Muth dahin?" — sagte Ahasver mit Hohn: „er-
liegst Tu unter der Last einer Nacht, stolzes Weib? der Mann
vor Dir steht auftecht unter siebenzehnhundert Jahren!"
„Ich habe im Wettkampf der Entschlossenheit mit einem
Menschen ringen wollen — mit einem Geist, einem Gespenst
habe ich nichts zu schaffen!"
„Ich bin kein Gespenst: ich bin ein Mensch wie Du —
dieser Leib ist lebend wie der Deine. Wenn ich hundert Jahre
gewandert habe, dann ergreift mich ein gewaltiges Siechthum, ein
heißes Fieber, und während desselben erfrischt und verjüngt
sich mein Leib genau zu jener Kraft und jenem Alter, das ich
damals hatte, als ich die Hand erhob wider ihn!"
Ahasver streckte bei diesen Worten die rechte Hand in die
Höhe; er stand vor der bebenden Frau in dieser feierlichen
Haltung, umflossen von dem kalten Mondlicht, das nur zit-
ternd auf seine vom Winde geschüttelten Gewänder nieder zu
gleiten schien, wie das verkörperte Grauen, wie die Bildsäule
des Schreckens.
„Dann," fuhr er fort, „wennjene Verjüngung eingetreten,
ist mir ein Jahr der Rast vergönnt. Dasselbe Ruhejahr nach
einem Jahrhundert der Qual ist denen vergönnt, die, wie ich
die Erde, verdammt sind, das Meer und die Luft zu durch-
ziehen. Wir haben in Deiner Vaterstadt eine solche Rast ge-
halten — bis heute, wo sie zu Ende ist."
„Laß mich heimgehn," sagte Ulrike, indem sie alle ihre
Kräfte zusammenraffte, um sich zu erheben.
„Heimgehn? glaubst. Tu, ich ließe Dich? Tu bist in meiner
Hand. Du sollst die öde Einsamkeit meiner Wanderschaft
theilen; mich graut vor dem Alleinsein. Komm!"
Ulrike stieß einen Schrei aus und fiihlte, daß ihre Sinne
nahe daran seien, ihr zu schwinden.
Ta fiel ihr Auge auf den unerklärlichen dritten Schatten,
der ihnen vom Walde her gefolgt war. Dieser Schatten begann
in eine eigenthümliche Bewegung zu gerathen; er zog sich zu
gewöhnlicher Menschenlänge zusammen, erhob sich allmälig und
nach einigen Augenblicken stand ein dürrer schwarzer Alaun vor
dem zitternden Weibe. Zugleich ließ sich eine heisere Stimme
hören, die nicht aus dem Munde des Schwarzen, sondern
mehr wie von der ganzen hagern Gestalt ausgehend klang.
„Nur Muth — nur Muth!" sagte die Stimme und ließ
dann ein meckerndes höhnisches Lachen folgen: „weßhalb willst
Du nicht mit dem melancholischen Schnellläufer gehen? Du wirst
Gelegenheit haben, Deine Welt- und Menschenkenntniß uner-
meßlich zu bereichern. Hast Du nicht Dein Leben daran ge-
setzt, die Männer zu übertreffen? Geh und wandte an der Seite
dieses peripatetischen Weltweisen! er wird Dir die Schicksale
von zwei Jahrtausenden mittheilen und Dir die Gestalten zeigen,
die über den Gräbern ihrer Thaten umwandeln: geh, und wenn
Freier. 27
Tu einst heimkehrst, wirst Du gelehrter sein, als alle Männer
aller Zeiten!"
„Komm!" rief Ahasver noch einmal mit drohender Stimme
aus und ergriff den Arin Ulrikens.
„O Gott — o Gott, ist denn keine Rettung!?"
„Du wendest Dich an den Unrechten," sagte der Schwarze.
„Verschreib mir Deine Seele — ich will Dich retten!"
„Nimm meine Seele — ich gelobe sie Dir — aber schütze
mich, schütze mich!"
„So geh, Ahasver!" sagte der Schwarze gebietend.
„Ich weiche Dir, Verfluchter" — versetzte der Jude von
Jerusalem; „Du aber, Weib, bist nicht befreit, wenn ich auch
Dich fahren laffe!"
Er streckte seine Hand gegen den Horizont aus. Dann
wandte er sich, und ging mit großen Schritten davon, über die
nachtbedeckte Haide fort.
Es war ein dunkles heranziehendes Gewölk, auf das der
Scheidende gedeutet hatte. Als Ulrike ihre Blicke dahin wandte,
sah sie, wie sich heftig bewegte Gestalten daraus bildeten, Roffe,
Reuter, Unholde; der Nachtwind trug ein wüstes Rufen und
Klirren und Gebell an ihr Ohr, — immer lauter und lauter,
bis sie das Wiehern der Roffe, das Knallen der Peitschen,
den Weheschrei gehetzter Thiere vernahm.
„Siehst Du sie kommen?" sagte der Schwarze? „es ist das
wüthende Heer; der wilde Jäger sprengt seinem Troße voran
und an seiner Seite führt er ein gesatteltes Roß —"
„O Gott," stöhnte Ulrike und klammerte ihre Hände krampf-
haft in die Kräuter und Gräser des Bodens fest.
„Ahnst Du, für wen der Rappe mit dem leeren Sattel
bestimmt ist, den Dein feuriger Galan, der Rodensteiner, führt?"
Ulrike war einer Antwort nicht mehr mächtig. Sie sank
bewußt- und leblos zu Boden.
Der Schwarze stieß wieder sein meckerndes Lachen aus.
„Auf Wiedersehen, kühne Frau!" sagte er und dann zerrann
die ganze Gestalt niedersinkend in den Schatten, in dem sie zu-
erst erschienen war; dieser Schatten dehnte und verflüchtigte
sich, so wie der Schatten einer windgejagten Wolkenmaffe, die
über das Antlitz der Sonne zieht, auf einer Berghalde da-
hinflattert.
Aber die ohnmächtige Frau blieb nicht allein. Während
das wüthende Heer brausend über sie fortstürmte, blickte eine
hohe ritterliche Gestalt, die plötzlich vor ihr stand, auf sie nie-
der. Es war dieselbe Gestalt, die vor wenigen Stunden sporen-
klirrend und mit goldner Waffe umgürtet die Stiegen in den
„drei Mohren" niederschritt; noch immer hoch, stolz und ge-
bietend, obwohl jetzt statt der reichen Kleidung die verwitterten
Gewänder einer längst begrabenen Zeit, dem Anzug eines alten
Kriegers aus den Kämpfen des sechszehnten Jahrhunderts ähn-
lich, sie umgaben. Hinter dem Reuter bäumten sich zwei
schwarze, die feurigen Nüstern weit aufschnaubende Roffe.
„Komm!" sagte der dunkle Reuter, streckte den Arm nach
Ulriken aus und hob sie wie eine federleichte Last auf eines der
Roffe, das einen Quersattel trug, und auf dem das ohnmäch-
tige Weib von diesem Augenblicke an so fest saß, als sei sie
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