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Der neue Euleuspiegel.

Eine alte Geschichte in vier Schwanken von C. H.

Erster Schwank: Der Wahrsager.

An einem Dorfe unseres lieben deutschen Vaterlandes —
vielleicht in Schwaben — lebte eine arme, alte Wittwe init
ihrem Sohne, der hieß Hannes. Die Leute im Dorfe glaubten
nicht', daß er das Pulver erfunden hätte und ich glaub's selber
nicht; aber doch geschieht's zuweilen, daß man Einen für etwas
einfältig hält und am End' ist er halt gescheiter als wir selbst.
So war's auch mit dem Hannes der Fall. —

In dem Dorfe, wo er wohnte, herrschte von uralten Zeiten
her die löbliche Sitte, daß die Bauern, wenn sie im Winter
ein Schwein oder eine Kuh schlachteten, ihrem Nachbarn rechts
und links und so fort vom Schulzen an bis zum Hirten herab,
eine Metzelsuppe schickten. Da dürft Ihr aber nun nicht glauben,
daß das blos ein Topf voll Fleischbrüh mit einigen Bröckchen
gewesen sei, nein, dazu gehörte auch noch eine Blut- und Lebcr-
wurst, die man zweimal um den Leib schlingen konnte.

Wenn nun alle Metzelsuppen verschickt waren, und die Haus-
frau das Uebriggebliebene nachzählte, daun sah es gar scheu
aus, die Fledermäuse und die Hausmäuse brauchten sich auf den
Schornstein und auf die Vorrathskammer keine große Rechnung
zu machen. —

Dagegen konnte aber jeder Bauer von seinem Nachbar, wenn
er schlachtete, ebenfalls eine Metzelsuppe erwarten und das hatte
das Gute, daß einmal die Würste immer frisch und warm ge-
nossen werden konnten und dann, daß die Hausfrau nicht be-
ständig in der Furcht zu leben brauchte, vor einem Diebe, der
ihr in die Vorrathskammer kommen konnte, zu erschrecken. Alles
hat seine zwei Seiten und die zeigten sich auch hier bei der Ver-
sendung der Metzelsuppen.

Der Hannes und seine Mutter hatten nun auch von allen
Nachbarn, d. h. von dem ganzen schlachtfähigen Dorfe Metzel-
suppen erhalten und wußten doch nicht diese Gaben zu erwie-
dern; denn sie besaßen kein Schwein; ihr ganzes Hab und Gut
bestand in einer alten Kuh, welche nicht mehr recht kauen konnte,
weil ihr die Zähne fehlten. Nun hatte der Hannes aber doch
Ehrgeiz, obgleich früher Niemand Etwas davon gemerkt hatte,
bei seiner Mutter konnte man so was nicht mehr voraussetzen,
da sie schon zu alt dazu war.

Eines Tages sagte der Hannes zu seiner Mutter, als er
aus dem Kuhstall gekommen war und wieder tiefes Mitleid über
die Zahnlosigkeit seiner Vielgeliebten empfunden hatte: „Hört ein
Mal, wollen wir nicht auch Metzelsuppen halten? Wir haben
nun von allen Nachbarn schon von ihrer Schweinerei gekriegt,
da müffen wir doch auch was dagegen thun?"

„Ja, was denn, Hannes?" fragte die alte Mutter und guckte
ihren Sohn mit großen Augen an.

„Ei, unsere Alte wollen wir schlachten, sonst krepirt sie uns
doch, sie macht schon an ihrem Testament."

„Wenn du meinst, Hannes, nun ja doch!"

So war denn das Todesurtheil über die treue Hausfreundin
ausgesprochen. Ach! sie ahnte nicht, die Gute, daß die Parze
so bald schon ihren Lebensfaden abschneiden werde! —

Am andern Tage ging die Schlächterei vor sich und als alle
Metzelsuppen verschickt waren, da schien es, als ob der Hannes
vorher mit Hülfe der höheren Rechenkunst Alles genau be-
stimmt hätte; denn es ging Null für Null auf und cs blieb
nichts übrig als die Kuhhaut und die Knochen.

Nun 'war wieder ein Tag in dem großen Meere der Zeit
versunken, da kam dem Hannes der Gedanke, die Kuhhaut auf
den Rücken zu nehmen, in die Stadt zu tragen und dort zu
verkaufen. Bei großen Geistern reift schnell ein Entschluß und
wird eben so bald zur That. Also gedacht, gethan! Der
Hannes hing die Kuhhaut über sich, wie einst Herkules das Fell
des Löwen und wanderte an einem hübschen, heiteren Morgen
mit großen Hoffnungen der Stadt zu. Daselbst angekommen
fand er den Gerber, bei dem er schon oft eingekehrt war und
mit dem er auf einem Freundschaftsfuße lebte, vor der Thüre.

(Fortsetzung folgt.)

Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. — München, Verlag von Braun L Schneider.

Kgl. Hof- und Universitäts-Bnchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.
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Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Der neue Eulenspiegel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Milchviehstall
Kuh <Motiv>
Karikatur
Mutter <Motiv>
Bauer <Motiv>
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 11.1850, Nr. 249, S. 72

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