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Der neue
draußen auf der Straße gehört worden sein. Kaum hatte er
sich von seinem Schrecken erholt, so öffnete sich zum dritten
Mal die Thüre und ein wohlgenährter, gutgekleideter Herr,
der mit vielem Anstande auftrat, wurde sichtbar, hinter ihm
oder vielmehr vor ihm stand dem Gerber seine Frau, die war
sehr freundlich und zuthunlich zu ihrem Besuche.
Plötzlich ließ sich draußen die Stimme des Gerbers hören,
da gerieth das niedliche Pärchen in einen großen Schrecken und
gern oder ungern mußte der stattliche Cavalier in dem großen
Kleiderschrank, welcher in dem Zimmer sich befand, einstweilen
Platz nehmen. Kaum war das geschehen, so kam der Gerber
und befahl mit rauhen Worten seiner Frau das Essen zu
bringen.
Der Hannes aber dachte bei sich: „jetzt kommen die guten
Tractamente," er hatte sich schon lange Zeit auf diesen herz-
erhebenden Augenblick gefteut; aber wie bitter wurde er ge-
täuscht. Gar mancher Liebhaber kann ,sich nicht unglücklicher
fühlen, wenn er von seiner Geliebten an der Nase herumge-
führt wird, als es dem Hannes zu ;9JtutI)e war. Es hätte
wenig gefehlt, so wäre er in Ohnmacht gefallen; denn statt
des kostbaren Kuchens und der hellblinkenden zwei Flaschen
Wein wurden nur dürftige Feldhühner auf den Tisch gesetzt.
Doch nein, ich muß mich anders ausdrücken, ich könnte miß-
verstanden werden, diese Feldhühner waren nichts Anderes, als
nur gequellte Kartoffeln und dabei war keine Butter, höchstens
zur Erquickung ein paar Körner Salz. Salzige Thränen stan-
den dem Hannes in den Augen, der Gerber aber meinte, der
heiße Oualm der Kartoffeln sei dem Hannes in's Gesicht ge-
drungen. Wer vermag die Herzen zu prüfen! —
Da vermochte es der Hannes nicht länger über sich, still
sein konnte er nicht, darum suchte er ein Gespräch anzuknüpfen.
Zu dem Zwecke holte er aus der Tasche seines Camisols ein
Eulenspiegel.
abgebrochenes Kuhhorn, besten Oeffnung mit Gras verstopft
war und hielt dastelbe an das Ohr.
„Was hast du denn da, Hannes?" stagte der Gerber.
„Ei, was Hab' ich, einen Wahrsager Hab' ich," antwortete
der Gast.
„Einen Wahrsager? so laß ihn doch Mal was wahrsagen."
Der Hannes hielt das Kuhhorn an das Ohr, da brummte
und summte etwas, nach einiger Zeit gab er zur Antwort:
„da im Bett steckt ein Kuchen, hat er gesagt."
„So," erwiderte ungläubig der 'Gerber, seine Frau aber
kam in große Verlegenheit und wurde über und über roth,
„da will ich doch gleich ein Mal Nachsehen, ob er die Wahr-
heit gesagt hat." Er ging zu dem Bett, hob die Decke auf und
brachte einen Kuchen zum Vorschein.
„Das ist ja prächtig, Hannes, das ist ein Teufelskerl, dein
Wahrsager," sagte der Gerber, „so laß ihn doch noch ein Mal
wahrsagen."
Der Hannes befolgte die Aufforderung, hielt das Kuhhorn
wieder an das Ohr und antwortete dann: „unter dem Bett
sollen zwei Flaschen Wein liegen, guckt ein Mal, ob's wahr ist."
Der Gerber sprang schnell auf, eilte an den bezeichneten
Ort und kam bald mit den zwei Flaschen Wein zurück.
„Das ist ja ein vortrefflicher Wahrsager, Hannes, komm,
jetzt wollen wir 'uns aber auch gleich über den Kuchen und
den Wein hermachen."
Mit einem Gesichte, das vor Freude glänzte, setzte sich der
Hannes an den Tisch und sprach recht tüchtig dem Kuchen und
dem Weine zu, er legte an den Tag, daß er sich ein Recht an
diese Gaben erworben habe. Als die Mahlzeit beendigt war,
während welcher Zeit dem Gerber seine Frau wie auf Kohlen
oder auch wie auf spitzen Nadeln gesesten hatte — wir haben
die Ursache dafür nie erfahren können — .wurde bei dem Ger-
ber die Neugierde wieder rege.
„Hannes, bester Hannes," sagte der Gerber und machte
das freundlichste Gesicht von der Welt, „stag' doch noch ein
Mal deinen Wahrsager."
„Das darf ich nicht," erwiderte Hannes, „wenn ich ihn zu
viel stage, dann wird er eigensinnig und gibt mir gar keine
Antwort mehr."
„Aber so versuch's doch nur noch ein Mal, es kommt ja
aus die Probe an."
„Nun, meinetwegen," sagte der Hannes und hielt das Horn
wieder an das Ohr; aber es verstrich eine längere Zeit, bis er
Antwort gab, der Wahrsager schien etwas eigensinnig zu sein
oder er hatte eine größere Geschichte zu erzählen. Der Gerber
beobachtete unterdesten aufmerksam den Hannes, der schnitt
wunderliche Gesichter; aber noch seltsamer war das Betragen
der Frau Gerberin, die rückte auf ihrem Stuhle bald rechts,
bald links, bald versuchte sie aufzustehen, dann ließ sie sich
wieder nieder, die Augen verdrehten sich ihr im Kopfe, wie bei
einem angestochenen Kalbe, der Schweiß aber tropfte ihr von
der Stirne und von den Wangen.
(Fortsetzung folgt.)
Der neue
draußen auf der Straße gehört worden sein. Kaum hatte er
sich von seinem Schrecken erholt, so öffnete sich zum dritten
Mal die Thüre und ein wohlgenährter, gutgekleideter Herr,
der mit vielem Anstande auftrat, wurde sichtbar, hinter ihm
oder vielmehr vor ihm stand dem Gerber seine Frau, die war
sehr freundlich und zuthunlich zu ihrem Besuche.
Plötzlich ließ sich draußen die Stimme des Gerbers hören,
da gerieth das niedliche Pärchen in einen großen Schrecken und
gern oder ungern mußte der stattliche Cavalier in dem großen
Kleiderschrank, welcher in dem Zimmer sich befand, einstweilen
Platz nehmen. Kaum war das geschehen, so kam der Gerber
und befahl mit rauhen Worten seiner Frau das Essen zu
bringen.
Der Hannes aber dachte bei sich: „jetzt kommen die guten
Tractamente," er hatte sich schon lange Zeit auf diesen herz-
erhebenden Augenblick gefteut; aber wie bitter wurde er ge-
täuscht. Gar mancher Liebhaber kann ,sich nicht unglücklicher
fühlen, wenn er von seiner Geliebten an der Nase herumge-
führt wird, als es dem Hannes zu ;9JtutI)e war. Es hätte
wenig gefehlt, so wäre er in Ohnmacht gefallen; denn statt
des kostbaren Kuchens und der hellblinkenden zwei Flaschen
Wein wurden nur dürftige Feldhühner auf den Tisch gesetzt.
Doch nein, ich muß mich anders ausdrücken, ich könnte miß-
verstanden werden, diese Feldhühner waren nichts Anderes, als
nur gequellte Kartoffeln und dabei war keine Butter, höchstens
zur Erquickung ein paar Körner Salz. Salzige Thränen stan-
den dem Hannes in den Augen, der Gerber aber meinte, der
heiße Oualm der Kartoffeln sei dem Hannes in's Gesicht ge-
drungen. Wer vermag die Herzen zu prüfen! —
Da vermochte es der Hannes nicht länger über sich, still
sein konnte er nicht, darum suchte er ein Gespräch anzuknüpfen.
Zu dem Zwecke holte er aus der Tasche seines Camisols ein
Eulenspiegel.
abgebrochenes Kuhhorn, besten Oeffnung mit Gras verstopft
war und hielt dastelbe an das Ohr.
„Was hast du denn da, Hannes?" stagte der Gerber.
„Ei, was Hab' ich, einen Wahrsager Hab' ich," antwortete
der Gast.
„Einen Wahrsager? so laß ihn doch Mal was wahrsagen."
Der Hannes hielt das Kuhhorn an das Ohr, da brummte
und summte etwas, nach einiger Zeit gab er zur Antwort:
„da im Bett steckt ein Kuchen, hat er gesagt."
„So," erwiderte ungläubig der 'Gerber, seine Frau aber
kam in große Verlegenheit und wurde über und über roth,
„da will ich doch gleich ein Mal Nachsehen, ob er die Wahr-
heit gesagt hat." Er ging zu dem Bett, hob die Decke auf und
brachte einen Kuchen zum Vorschein.
„Das ist ja prächtig, Hannes, das ist ein Teufelskerl, dein
Wahrsager," sagte der Gerber, „so laß ihn doch noch ein Mal
wahrsagen."
Der Hannes befolgte die Aufforderung, hielt das Kuhhorn
wieder an das Ohr und antwortete dann: „unter dem Bett
sollen zwei Flaschen Wein liegen, guckt ein Mal, ob's wahr ist."
Der Gerber sprang schnell auf, eilte an den bezeichneten
Ort und kam bald mit den zwei Flaschen Wein zurück.
„Das ist ja ein vortrefflicher Wahrsager, Hannes, komm,
jetzt wollen wir 'uns aber auch gleich über den Kuchen und
den Wein hermachen."
Mit einem Gesichte, das vor Freude glänzte, setzte sich der
Hannes an den Tisch und sprach recht tüchtig dem Kuchen und
dem Weine zu, er legte an den Tag, daß er sich ein Recht an
diese Gaben erworben habe. Als die Mahlzeit beendigt war,
während welcher Zeit dem Gerber seine Frau wie auf Kohlen
oder auch wie auf spitzen Nadeln gesesten hatte — wir haben
die Ursache dafür nie erfahren können — .wurde bei dem Ger-
ber die Neugierde wieder rege.
„Hannes, bester Hannes," sagte der Gerber und machte
das freundlichste Gesicht von der Welt, „stag' doch noch ein
Mal deinen Wahrsager."
„Das darf ich nicht," erwiderte Hannes, „wenn ich ihn zu
viel stage, dann wird er eigensinnig und gibt mir gar keine
Antwort mehr."
„Aber so versuch's doch nur noch ein Mal, es kommt ja
aus die Probe an."
„Nun, meinetwegen," sagte der Hannes und hielt das Horn
wieder an das Ohr; aber es verstrich eine längere Zeit, bis er
Antwort gab, der Wahrsager schien etwas eigensinnig zu sein
oder er hatte eine größere Geschichte zu erzählen. Der Gerber
beobachtete unterdesten aufmerksam den Hannes, der schnitt
wunderliche Gesichter; aber noch seltsamer war das Betragen
der Frau Gerberin, die rückte auf ihrem Stuhle bald rechts,
bald links, bald versuchte sie aufzustehen, dann ließ sie sich
wieder nieder, die Augen verdrehten sich ihr im Kopfe, wie bei
einem angestochenen Kalbe, der Schweiß aber tropfte ihr von
der Stirne und von den Wangen.
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der neue Eulenspiegel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 11.1850, Nr. 250, S. 78
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg