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| 90 Die Sage vo

vernommen, und den frommen Ton der Betglocke, wie ihn die

Abcndluft herauf trägt aus dem dämmernden Thale, dann
kennst du wohl das eigene, wunderbar entzückende Gefühl, das
einen Jeden ergreift, der da d'roben weilt in den heitern Re-
gionen unserer freien, luftigen Berge, du hast aber noch Etwas
versäumt, wenn du nicht nähere Bekanntschaft gemacht hast mit
dem wackern alten Sennen, dem ehrlichen Hies (Mathias); er
hätte dir nach geschehenem Tagewerk gewiß so ein Geschichtchen
erzählt, wie sie gang und gäbe sind auf unfern Almen, und
wie sie sich von den Vätern vererben auf Kind .und Kindskinder,
oder hast du vielleicht übersehen, ihm einen Schluck aus deiner
Flasche mitzutheilen, und seine Pfeifchen zu stopfen mit Extra-
Tabak? — In diesem Falle mußt du dir's freilich selbst zu-
schreiben, wenn der alte Knabe spröde geblieben ist! —

So anstrengend und mühesam auch das Gewerbe der Aelpler
ist, und so früh sie auf den Beinen sein müssen, um das Vieh
hinaus zu treiben bis zu den höchsten Bergtriften, so sind die
wackern Leute doch immer fröhlich und guter Laune, und es ist
gebräuchlich unter ihnen, daß man nach dem Rosenkranz noch
ein Stündchen zusammen sitzt und die Zeit sich kürzt mit aller-
lei Geplauder. —

Da versammeln sich dann der „Senner," die „Melker oder
Kühbueben," der „Galtner" (Hüter des Jungviehes) und der
„Schäfer" am lustig lodernden Feuer, schmauchen ihre Pfeifchen
und der Senner muß mit seinen Geschichten heraus rücken, die
er ihnen zwar schon hundertmal erzählt hat, die aber immer
wieder mit dem lebhaftesten Jnteresie angehört werden.

Als ich im verwichenen Sommer, in der Absicht, den Sol-
stein zu ersteigen, eine Nacht auf der Zirleralpe zubrachte, hat
mir der alte Hies, der durch den Genuß meines vortrefflichen
Kirschengeistes sehr leutselig geworden war, so eine Geschichte
mitgetheilt, und wen sie intereffirt, der kann mir zuhören, ich
ivill sie erzählen, so gut ich's kann:

Im Dorfe Zirl lebte vor Zeiten ein reicher Bauer Namens
Ignatz Finster, seines großen Vermögens wegen „der silberne
Natz" genannt, der hatte eine einzige Tochter, die Erbin seiner
vielen Güter und Fahrniffe. — Die Finster Judith galt aber
allgemein für die schönste und tugendhafteste Dirne der ganzen
Gegend, und cs konnte demnach nicht fehlen, daß sich eine
Menge Freyer um ihre Gunst bewarben, von denen aber einer
nach dem andern mit langer Nase abziehen mußte, denn die
schöne Judith blieb kalt wie ein Marmorstein, und wenn sich
die Verschmähten in ihrer Verzweiflung an den Alten machten,
sagte er gewöhnlich mit einem sehr gleichgültigen Gesichte:
„Mein Mädel ist alt genug, daß sie weiß, was sie thut, ich
leg' ihr keinen Zwang an." „Stille Wasser sind aber tief!"
so sagt ein altes bewährtes Sprüchwort, und so traf's auch hier
zu; die schöne züchtige Judith hatte schon über Jahr und Tag
mit einem Gemsenjäger aus der Scharnitz angebandelt, und
gab ihm bald da, bald dort geheime Zusammenkünfte, denn sie
wußte gar wohl, daß die bösen Zungen im Dorfe nicht schwei-
gen würden, und daß ihr Liebster nicht mehr sicher wäre, wenn
das Berhältniß ruchbar wurde.

Der Jörg! (so hieß der Begünstigte), ein stämmiger, hoch-

m Solstein.

gewachsener Bursch mit trotzigen dunkelblauen Augen und sonn-
verbranntem Gesicht, liebte die Dirne mit all' der Tiefe und
Leidenschaftlichkeit, die unfern heißblütigen Gebirgssöhnen eigen
ist, er wäre für sie durch's Feuer gegangen, und hätte auf ihr
Geheiß den Satan aus der Hölle geholt — ei n-c n Wunsch nur
mußte er ihr versagen: „Sein Handwerk zu laffen, die Büchse
an den Nagel zu hängen und daheim am Pfluge ein friedliches
und sicheres Gewerbe zu treiben." Solchen Menschen ergeht
es wie dem edlen Steinbock, der gewohnt auf schwindelnden
Eiszinnen die frischen Gletscherlüfte zu athmen, erblinden und
Hinsterben müßte in der dumpfigen Atmosphäre der anderen
Regionen. —

Damals besaß der silberne Natz die ganze Zirleralpe sammt
ihrer ausgedehnten Gerechtsame, und hatte sich ein bequemes
Haus hinauf gebaut unter die Kasern, wo er mit der Judith
die freundliche Almenzeit zubrachte, denn er wollte seine zahl-
reiche Heerde selbst beaufsichtigen, und war nebenbei ein großer
Liebhaber von der Hochjagd, die zu jener Zeit freilich noch
bester bestellt war, als heut zu Tage, wo gleich ein paar Du-
tzend Jäger auf einen Spielhahn passen!

Die Judith liebte aber aus andern Gründen den Aufent-
halt da d'roben, denn er bot ihr die beste Gelegenheit, mit dem
Jörgl zusammen zu kommen, der es ihr angethan hatte mit
seinen trotzigen Augen und keckem Wesen.

In einer fast unzugänglichen Schlucht des Solsteins soll
sich damals ein kleiner Alpsee befunden haben, der seither wohl
ausgetrocknet sein mag; hohe Steinwände von Alpenröslein be-
kränzt, umgaben rings sein einsames Becken, und die tiefblaue
Glocke des Enzian spiegelte sich träumend in seinen dunkeln, ge-
heimnißvollen Fluthen; nur der Geier, hoch in den Lüsten nach
Beute spähend, belauschte die tief verborgene Stelle.

Diesen Punkt hatten sich die Beiden zu ihren Zusammen-
künften ausersehen; da schwand ihnen manche rosige Stunde in
traulichem Geplauder und neckendem Liebesgetündel, und ihre
Küste verrauschten ungehört im Geplätscher des verschwiegenen
Alpsees. —

Das ging so fort, bis die Tage kürzer wurden und die
Almenzeit sich zu Ende neigte; da sagte Jörg eines Tages zur
Judith: „Alleweil kann es so nicht gehen, der Sommer ist bald
hin, dann mußt du wieder in's Dorf hinab und wir werden
uns oft Monate lang nicht sehen, denn du weißt wohl, daß es
d'runten gar viele Augen gibt, die auf dich Obacht geben, und
ich möchte dich nicht in's Gerede bringen; am Ende aber ist
es mir selbst nicht recht, wie ein Dieb mich um's Haus zu
schleichen, wo ich doch meinen Mann stellen kann; was meinst
du also, Judith, wenn ich zum Vater ging, und ordentlich um
dich anhielte?" Sie sagte aber: „Hast du mich schon satt,
Jörgl, 'daß du einen Schritt thun willst, der uns auf immer
auseinander bringen wird? Du kennst meinen Vater nicht und
noch weniger die Dorfbueben, du wärst deines Lebens nicht
mehr sicher, wo du dich blicken ließest."

Der Jörgl war aber nicht so leicht einzuschüchtern, er schlug
mit den Fingern ein Schnippchen, wobei seine Augen hell auf-
blitzten wie Karfunkel und lachte: „Wenn nur der Vater ein-
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