114 Die Hallst
sehen von ihren katholischen Nachbarn, denen sie doch an Sitt-
lichkeit und Christensinn weit überlegen sind, was diese selbst
zugeben. Aber wie die Feindschaften unter Blutsverwandten
selbst immer am heftigsten sind, so eifern die katholischen Seelen-
hirten auf der Kanzel und in Beichtstühlen, ihren Schäflein
gegenüber, als wahre Wütheriche gegen ihre christlichen Mit-
brüder. die „Ketzer." die sie ärger als Juden und Heiden dar-
stellen. Näherer Umgang mit Lutheranern kömmt in ihrer
Ansicht dem Berühren von Pestkranken gleich, und daher wer-
den an all diesen Orten mit gemischter Bevölkerung die Pro-
testanten. ungeachtet ihres untadeligen Wandels, mehr oder
weniger offen mit Eigendünkel und Geringschätzung von den
zur „alleinseligmachenden" Kirche Gehörenden behandelt.
Traurig ist es für den unparteiischen Beobachter, die kleinen,
den Wohnhäusern ähnlichen Bethäuser der Protestanten zu sehen,
in denselben Gegenden, in denen Gott selbst seine herrlichsten
Tempel für alle Menschen ohne Unterschied errichtet. Weder
Thurm noch Kirchenstyl erlaubt in Oberöstcrreich den Luthe-
ranern das Gesetz, kann aber nicht verhindern, daß sie in ihrem
Herzen selbst den Gott würdigsten Tempel bauen.
Zu Klaras Zeit waren sie und ihre Mutter Walburga die
Einzigen ihrer Confeffion in Hallstadt, und darum zog man
sich wohl scheuer vor ihnen zurück, als an andern Orten, an
denen man längst gewöhnt war mit Protestanten zu leben. So
lange Klaras Vater lebte, ward deffenungeachtet die Fröhlichkeit
bei ihnen nie vermißt. Die kleine Familie genügte sich selbst.
! nur um so inniger aneinanderhängend; aber seit seinem Tode
fühlten sie tief ihre Verlaffenheit und das unfreundliche Ver-
halten ihrer Landsleute.
Die arme Wittwe sehnte sich seitdem mehr als in der ersten
Zeit ihrer Uebersiedlung zurück in ihr heimathliches. schönes
Gosauthal. Dort schweifte ihr Blick stundenweit auf reichen
Kornfeldern und üppigen Wiesen. die leise murmelnd die
Gosau*) durchzieht, auf sanftgeschwungnen Hügeln mit dichtem
Laubwald, und überall Sonnenschein und warmes, tiefes Grün,
auf Berghalde und Thalmatte bis zu dem schattigen Hinter-
gründe. den Bergriesen des Dachsteins mit ihren Zackenkronen
und ihrem Eisgeschmeide. Freundlich, munter, hochgewachsen
und von schönen Zügen ist der Bewohner von Gosau. Um so
erschreckender erschienen dem jungen Weibe, nachdem sie mit
ihrem Manne in die neue Heimath gezogen, die sie umgeben-
! den unfreundlichen und unschönen Gesichter, denn selbst was
! nicht zu den Trotteln gehört, sieht in Hallstadt bleich und ver-
kümmert aus.
Dazu kam. daß Walburg lutherisch war. An ihrem Orte
waren die Lutheraner nicht so streng von den Katholiken ge-
schieden. wie in der Umgegend; sei es. daß die'Mildere Luft
des Thals milderer Sitte günstig war, sei es. weil jene dort
weniger Grund hatten, sich über die Katholiken zu beklagen.
Nicht zu den geringsten Segnungen des Thals gehörte nämlich
ein Seelenhirt ächt christlichen Sinns, der unähnlich seinen
Amtsbrüdern, seine Pfarrkinder anleitete, dem ersten und größten
*) Name des Thals, sowie des durchfließenden Baches.
lädtertrottel.
Gebote Christi gemäß zu leben, anstatt sie gegen Andersglau-
bende zu hetzen. Sein Werk trug Früchte, und wenn deren
nicht so vielfältige waren, als er wünschte, so kam es daher,
weil er seine Pfarrei nicht hermetisch von den sie umgebenden
absperren konnte, wo andere Lehren gegeben wurden. Sein
Wirken brachte ihm auch wenig Heil bei seinen Obern. Nebst
mancher scharfen Rüge mußte er sich gefallen kaffen auf seiner
ärmlichen Pfarrei zu bleiben, während die fetten Pfründen für
seine eifernden Amtsgenoflen waren. Dies trübte indeß nicht
im Geringsten seinen Muth. Er beklagte nur bei sich, daß
ihm die Mittel fehlten, um in dem Maße, als er es wünschte,
den Nothleidenden ohne Unterschied des Glaubens hilfreich zu
sein, im Uebrigen ging er ruhig seinen Weg. Gott als seine
erste Obrigkeit betrachtend.
Ein solcher Mann mußte nothwendig eben so sehr bei
Lutheranern als bei Katholiken beliebt sein, und Walburg ver-
mißte in Hallstadt schwer seinen Einfluß. Nur die Liebe zu
Mann und Kind machte, daß sie sich nach und nach an ihre
neue, unwohnliche, wenn auch malerische Heimath gewöhnte.
Walburgas Mann war Steiger in dem Salzbergwerke zu
Hallstadt und unermüdet arbeitete er Tags über und in der
Woche, damit die Seinen nicht darben sollten. Saß er dann
Sonntags auf der Bank vor seinem Häuschen, neben sich das
geliebte Weib, auf seinen Knieen ihr Ebenbild, die plaudernde
Klara, wer war glücklicher als er? Aber die Sorgen blieben
nicht aus. Walburga fing an zu kränkeln. Die sonst kräftige
junge Frau vertrug die eisig feuchte Luft Hallstadts schwer.
Da fand sich ein Ausweg. Für eine benachbarte Alm ward
eine Sennerin gesucht, und der Bergmann überredete sein Weib,
als solche mit Klara auf die Alm zu ziehen, und das Kind vor
dem fürchterlichen Uebel zu bewahren, dessen Opfer sie täglich
um sich sahen.
„Weigre dich doch nicht/' sagte der besorgte Mann zur
Kranken, „ich weiß, daß du dich im Gmnde des Herzens nach
andrer Luft und Sonne und freier Aussicht sehnst. Gesteh',
du willst meinethalben nicht. Wenn du nur wüßtest, um wie
viel lieber ich täglich Abends eine Stunde weiter steige, um dich
und Klara mit frischen Wangen zu treffen. Und der Spätherbst
bringt dich ja wieder in unsre Hütte zurück."
Und so geschah es auch. Georg, so hieß der Bergmann,
ging ins Gosauthal. wo der Besitzer der Alm, ein reicher Bauer,
lebte. Die Sache war bald in Ordnung, und mit dem Früh-
jahr zog Walburg hinauf mit ihrem Kinde.
Georg hatte Recht gehabt, sie erholte sich zusehends und
Klara blühte mit dem Alpenrosep um die Wette. War es ihnen
auch leid, den Vater nicht jeden Tag zu sehen, so freuten sie
sich nur um so mehr, wenn er kam. und das that er ja. so
oft das Wetter es nur zuließ.
Im Spätherbst, als die Heerde zu Thal getrieben wurde,
waren der Älmbesitzer und Walburg gleich sehr miteinander zu-
frieden und erneuerten daher ihren Contrakt für das nächste
Jahr, wobei es auch inskünftig so blieb, denn die kleine Berg-
mannsfamilie hatte das Leben auf der Alm liebgewonnen trotz
sehen von ihren katholischen Nachbarn, denen sie doch an Sitt-
lichkeit und Christensinn weit überlegen sind, was diese selbst
zugeben. Aber wie die Feindschaften unter Blutsverwandten
selbst immer am heftigsten sind, so eifern die katholischen Seelen-
hirten auf der Kanzel und in Beichtstühlen, ihren Schäflein
gegenüber, als wahre Wütheriche gegen ihre christlichen Mit-
brüder. die „Ketzer." die sie ärger als Juden und Heiden dar-
stellen. Näherer Umgang mit Lutheranern kömmt in ihrer
Ansicht dem Berühren von Pestkranken gleich, und daher wer-
den an all diesen Orten mit gemischter Bevölkerung die Pro-
testanten. ungeachtet ihres untadeligen Wandels, mehr oder
weniger offen mit Eigendünkel und Geringschätzung von den
zur „alleinseligmachenden" Kirche Gehörenden behandelt.
Traurig ist es für den unparteiischen Beobachter, die kleinen,
den Wohnhäusern ähnlichen Bethäuser der Protestanten zu sehen,
in denselben Gegenden, in denen Gott selbst seine herrlichsten
Tempel für alle Menschen ohne Unterschied errichtet. Weder
Thurm noch Kirchenstyl erlaubt in Oberöstcrreich den Luthe-
ranern das Gesetz, kann aber nicht verhindern, daß sie in ihrem
Herzen selbst den Gott würdigsten Tempel bauen.
Zu Klaras Zeit waren sie und ihre Mutter Walburga die
Einzigen ihrer Confeffion in Hallstadt, und darum zog man
sich wohl scheuer vor ihnen zurück, als an andern Orten, an
denen man längst gewöhnt war mit Protestanten zu leben. So
lange Klaras Vater lebte, ward deffenungeachtet die Fröhlichkeit
bei ihnen nie vermißt. Die kleine Familie genügte sich selbst.
! nur um so inniger aneinanderhängend; aber seit seinem Tode
fühlten sie tief ihre Verlaffenheit und das unfreundliche Ver-
halten ihrer Landsleute.
Die arme Wittwe sehnte sich seitdem mehr als in der ersten
Zeit ihrer Uebersiedlung zurück in ihr heimathliches. schönes
Gosauthal. Dort schweifte ihr Blick stundenweit auf reichen
Kornfeldern und üppigen Wiesen. die leise murmelnd die
Gosau*) durchzieht, auf sanftgeschwungnen Hügeln mit dichtem
Laubwald, und überall Sonnenschein und warmes, tiefes Grün,
auf Berghalde und Thalmatte bis zu dem schattigen Hinter-
gründe. den Bergriesen des Dachsteins mit ihren Zackenkronen
und ihrem Eisgeschmeide. Freundlich, munter, hochgewachsen
und von schönen Zügen ist der Bewohner von Gosau. Um so
erschreckender erschienen dem jungen Weibe, nachdem sie mit
ihrem Manne in die neue Heimath gezogen, die sie umgeben-
! den unfreundlichen und unschönen Gesichter, denn selbst was
! nicht zu den Trotteln gehört, sieht in Hallstadt bleich und ver-
kümmert aus.
Dazu kam. daß Walburg lutherisch war. An ihrem Orte
waren die Lutheraner nicht so streng von den Katholiken ge-
schieden. wie in der Umgegend; sei es. daß die'Mildere Luft
des Thals milderer Sitte günstig war, sei es. weil jene dort
weniger Grund hatten, sich über die Katholiken zu beklagen.
Nicht zu den geringsten Segnungen des Thals gehörte nämlich
ein Seelenhirt ächt christlichen Sinns, der unähnlich seinen
Amtsbrüdern, seine Pfarrkinder anleitete, dem ersten und größten
*) Name des Thals, sowie des durchfließenden Baches.
lädtertrottel.
Gebote Christi gemäß zu leben, anstatt sie gegen Andersglau-
bende zu hetzen. Sein Werk trug Früchte, und wenn deren
nicht so vielfältige waren, als er wünschte, so kam es daher,
weil er seine Pfarrei nicht hermetisch von den sie umgebenden
absperren konnte, wo andere Lehren gegeben wurden. Sein
Wirken brachte ihm auch wenig Heil bei seinen Obern. Nebst
mancher scharfen Rüge mußte er sich gefallen kaffen auf seiner
ärmlichen Pfarrei zu bleiben, während die fetten Pfründen für
seine eifernden Amtsgenoflen waren. Dies trübte indeß nicht
im Geringsten seinen Muth. Er beklagte nur bei sich, daß
ihm die Mittel fehlten, um in dem Maße, als er es wünschte,
den Nothleidenden ohne Unterschied des Glaubens hilfreich zu
sein, im Uebrigen ging er ruhig seinen Weg. Gott als seine
erste Obrigkeit betrachtend.
Ein solcher Mann mußte nothwendig eben so sehr bei
Lutheranern als bei Katholiken beliebt sein, und Walburg ver-
mißte in Hallstadt schwer seinen Einfluß. Nur die Liebe zu
Mann und Kind machte, daß sie sich nach und nach an ihre
neue, unwohnliche, wenn auch malerische Heimath gewöhnte.
Walburgas Mann war Steiger in dem Salzbergwerke zu
Hallstadt und unermüdet arbeitete er Tags über und in der
Woche, damit die Seinen nicht darben sollten. Saß er dann
Sonntags auf der Bank vor seinem Häuschen, neben sich das
geliebte Weib, auf seinen Knieen ihr Ebenbild, die plaudernde
Klara, wer war glücklicher als er? Aber die Sorgen blieben
nicht aus. Walburga fing an zu kränkeln. Die sonst kräftige
junge Frau vertrug die eisig feuchte Luft Hallstadts schwer.
Da fand sich ein Ausweg. Für eine benachbarte Alm ward
eine Sennerin gesucht, und der Bergmann überredete sein Weib,
als solche mit Klara auf die Alm zu ziehen, und das Kind vor
dem fürchterlichen Uebel zu bewahren, dessen Opfer sie täglich
um sich sahen.
„Weigre dich doch nicht/' sagte der besorgte Mann zur
Kranken, „ich weiß, daß du dich im Gmnde des Herzens nach
andrer Luft und Sonne und freier Aussicht sehnst. Gesteh',
du willst meinethalben nicht. Wenn du nur wüßtest, um wie
viel lieber ich täglich Abends eine Stunde weiter steige, um dich
und Klara mit frischen Wangen zu treffen. Und der Spätherbst
bringt dich ja wieder in unsre Hütte zurück."
Und so geschah es auch. Georg, so hieß der Bergmann,
ging ins Gosauthal. wo der Besitzer der Alm, ein reicher Bauer,
lebte. Die Sache war bald in Ordnung, und mit dem Früh-
jahr zog Walburg hinauf mit ihrem Kinde.
Georg hatte Recht gehabt, sie erholte sich zusehends und
Klara blühte mit dem Alpenrosep um die Wette. War es ihnen
auch leid, den Vater nicht jeden Tag zu sehen, so freuten sie
sich nur um so mehr, wenn er kam. und das that er ja. so
oft das Wetter es nur zuließ.
Im Spätherbst, als die Heerde zu Thal getrieben wurde,
waren der Älmbesitzer und Walburg gleich sehr miteinander zu-
frieden und erneuerten daher ihren Contrakt für das nächste
Jahr, wobei es auch inskünftig so blieb, denn die kleine Berg-
mannsfamilie hatte das Leben auf der Alm liebgewonnen trotz