154 Herzog
Wenn er das Benehmen seiner Schwester gestern Abend nicht
begriffen hatte, so wunderte er sich heute noch viel mehr über sie.
Sie war ernst und verschloffen und beantwortete alle seine auf
den Hauptpunkt zielenden Aeußerungen und Fragen entweder sehr
einsilbig oder gar nicht. War Bruder Philipp nun kein stockdum-
mer Mensch, so mußte er endlich bemerken, daß Caroline nicht
über die Sache sprechen wolle; das war er nun nicht, deßhalb
lenkte er das Gespräch, so ungern es von seiner Seite geschah,
auf andre Gegenstände und fand jene hier ein wenig gefpräch-
samer. Er wäre längst unbefriedigt hinweggegangcn, wenn er
seinen „Herrn Bruder" nicht hätte erwarten wollen, den er heute
weder gesehen, noch gesprochen. Die Abenddämmerung war nach
und nach eingetreten und Philipp, der sich ein wenig unbehaglich
fühlte, wollte eben, ohne seinen Schwager begrüßt zu haben,
fortgehcn. als sich die Stubenthüre öffnete, ohne daß er Schritte
in der Hausflur gehört hatte.
Schweigend trat eine männliche Gestalt herein ins Zimmer,
das sie forschend zu überblicken schien, ehe sie näher trat. Ca-
roline schaute befremdet von ihrem Sitze auf, Philipp näherte
sich, den Hut schon auf dem Kopfe, dem Eindringling. Plötz-
lich aber riß er denselben vom Kopfe, verbeugte sich tief und
sagte: „Ah, ganz gehorsamster Diener, mein Herr von Sprenkel.
Was verschafft uns die Ehre Ihres späten, doch angenehmen
Besuchs?"
„Mein Kommen gilt nicht Ihm," erwiderte grob der Andre,
welcher sich im Schein der von Carolinen schnell angezündeten
Lampe als ein angehender Jüngling in der reichen Pagentracht
damaliger Zeit darstellte.
Herr Agricola trat im Bewußtsein verletzter Würde einen
Schritt zurück. „Etwa meinem Schwager?" fragte er von
neuem mit einem Anfluge von Bosheit. „Der wird gleich
kommen."
„Meine Botschaft ist für Sie. Frau Mundkoch," sagte Ga-
briel mit halbleiser Stimme, ohne die Worte Philipps zu ach-
ten und trat an Carolinen heran. Mit leiser Stimme flüsterte
er dann lange zu ihr. Vergebens bemühte sich Philipp etwas
zu verstehen. Nur einmal hörte er: „morgen Abend." Er be-
merkte dann, wie der Page in seine Tasche griff und ein Etui
herausholte, dasselbe öffnete und den Inhalt seiner Schwester
triumphirenden Blickes unter die Nase hielt. Nach einigem
Bedenken nahm sie das Geschenk an. Herr Agricola stand wie
auf Kohlen; er hatte das Gefühl, daß er etwas sagen oder
thun müffe, allein lange Zeit marterte er sich vergebens ab,
um irgend einen Anknüpfungspunkt zu finden.
„Ich muß gestehen, ich finde es sonderbar, Herr von Spren-
kel . daß Sie hieherkommen und mit meiner Schwester conver-
siren, als wäre Niemand weiter in der Welt."
„Er hat gar nichts sonderbar zu finden, Herr Canzlist,"
erwiderte der Page hochmüthig und schlug ihn mit dem par-
fümirten Handschuh unter die-Nafe. „Uebrigcns werde ich nicht
verfehlen, meinen Onkel, den Präsidenten, von Seinem ungehö-
rigen Betragen heut Abend zu informiren."
Dem Canzlisten wich vor jähem Schrecken alles Blut aus
dem Gesichte. „Wie!" stammelte er und faltete flehend die
und Koch.
1 Hände. „Sollte ich etwas Respectwidriges gesagt haben, mein
gnädigster Herr Junker? Das ist unmöglich. Und doch, ich
bin verwirrt im Kopfe, krank. Ich bitte demüthigst und pflicht-
schuldigst um Ihre Verzeihung." Er bückte sich, als wolle er
die Hand des jungen Menschen küssen. Doch dieser drehte sich
rasch nach der Thüre. Dieselbe war offen und aus der Schwelle
stand der Mundkoch, wilde Blicke auf den ungewohnten Besuch
werfend. Der junge Herr von Sprenkel gerieth bei dem un-
vermutheten Anblick etwas außer Fassung. Zum Teufel, man
hatte ihm weißgemacht, er werde seine Bestellung ganz ungestört
ausrichten können. Ehe er noch zu irgend einem Entschlüsse
gekommen war, trat der Hausherr rasch auf ihn zu und faßte
ihn derb an der Brust.
„Was wollen Sie hier?" fragte er den Erschrocknen mit
heiserer Stimme.
Der Page sah hilfeflehend die Frau und den Canzlisten an,
doch da er merkte, daß ihm dieselbe schwerlich von zwei Salz-
säulen zu Theil werden würde, so nahm er allen Anfwand von
Würde zusammen und sagte mit feierlicher Stimme: „Lasse Er
mich los. Unglücklicher. Ich stehe hier im Namen und Auftrag
meines allergnädigsten Herrn."
„Was!" kreischte der Koch „So sag' deinem allergnädig-
sten Herrn, wenn er sich hier blicken ließe, wolle ich's ebenso
mit ihm machen, wie mit dir." Damit zog er den Pagen zur
Thüre, öffnete dieselbe und warf ihn hinaus. Ob Gabriel sich
bei dem Fluge die Flügel verstaucht habe, ist nicht bekannt ge-
worden.
Bruder Philipp zitterte am ganzen Leibe, als er seinen
„Herrn Bruder" so kräftigen Gebrauch vom Hausrecht machen
sah. Die Energie desselben schien auf ihn übergegangen zu sein,
denn als sein Schwager wieder ins Zimmer trat, rieb er sich
ganz vergnügt die Hände und sagte: „Dem haben wirs gesagt.
So ist dem frechen Jungen in seinem Leben noch nicht mitge-
spielt worden." Doch mit einemmale nahm sein Gesicht einen
sehr verschiednen Ausdruck an. Es überkam ihn plötzlich der
Jammer einer feigen Seele. Vor seinem geistigen Auge zeigten
sich in unbestimmter, aber desto drohenderer Gestalt, alle
Schrecknisse, die der kühnen That Christians nothwendig folgen
mußten. „Großer Gott, was soll das werden!" jammerte er
verzweifelt.
Auch Müller ging in bedeutender Aufregung, wie es schien,
im Zimmer umher. Er empfand nicht die mindeste Reue über
sein summarisches Verfahren; er hatte im Gegenthelle die Gewiß-
heit, daß es so hatte kommen müffen und daß es gut sei, daß
es so gekommen war. Er achtete weder auf die Worte seines
Schwagers, noch schien er es zu bemerken, daß seine Frau,
welche sich am Fenster niedergesetzt hatte, ihren Blick beständig
mit einen ängstlich zärtlichen Ausdruck auf ihm ruhen ließ und
sich ihm endlich näherte, ihre Hand auf seine Schulter legte
und ihn ftagend ansah. Er starrte zerstreut auf sie, und Caro-
line verließ mit einem Seufzer das Zimmer.
„Aber was fangen wir nun an, Herr Bruder?" zeterte Phi-
lipp und schüttelte seinen Schwager am Arm, um ihn zu sich
selbst zurückzubringen. „Nun gebt guten Rath. Ihr habt die
Wenn er das Benehmen seiner Schwester gestern Abend nicht
begriffen hatte, so wunderte er sich heute noch viel mehr über sie.
Sie war ernst und verschloffen und beantwortete alle seine auf
den Hauptpunkt zielenden Aeußerungen und Fragen entweder sehr
einsilbig oder gar nicht. War Bruder Philipp nun kein stockdum-
mer Mensch, so mußte er endlich bemerken, daß Caroline nicht
über die Sache sprechen wolle; das war er nun nicht, deßhalb
lenkte er das Gespräch, so ungern es von seiner Seite geschah,
auf andre Gegenstände und fand jene hier ein wenig gefpräch-
samer. Er wäre längst unbefriedigt hinweggegangcn, wenn er
seinen „Herrn Bruder" nicht hätte erwarten wollen, den er heute
weder gesehen, noch gesprochen. Die Abenddämmerung war nach
und nach eingetreten und Philipp, der sich ein wenig unbehaglich
fühlte, wollte eben, ohne seinen Schwager begrüßt zu haben,
fortgehcn. als sich die Stubenthüre öffnete, ohne daß er Schritte
in der Hausflur gehört hatte.
Schweigend trat eine männliche Gestalt herein ins Zimmer,
das sie forschend zu überblicken schien, ehe sie näher trat. Ca-
roline schaute befremdet von ihrem Sitze auf, Philipp näherte
sich, den Hut schon auf dem Kopfe, dem Eindringling. Plötz-
lich aber riß er denselben vom Kopfe, verbeugte sich tief und
sagte: „Ah, ganz gehorsamster Diener, mein Herr von Sprenkel.
Was verschafft uns die Ehre Ihres späten, doch angenehmen
Besuchs?"
„Mein Kommen gilt nicht Ihm," erwiderte grob der Andre,
welcher sich im Schein der von Carolinen schnell angezündeten
Lampe als ein angehender Jüngling in der reichen Pagentracht
damaliger Zeit darstellte.
Herr Agricola trat im Bewußtsein verletzter Würde einen
Schritt zurück. „Etwa meinem Schwager?" fragte er von
neuem mit einem Anfluge von Bosheit. „Der wird gleich
kommen."
„Meine Botschaft ist für Sie. Frau Mundkoch," sagte Ga-
briel mit halbleiser Stimme, ohne die Worte Philipps zu ach-
ten und trat an Carolinen heran. Mit leiser Stimme flüsterte
er dann lange zu ihr. Vergebens bemühte sich Philipp etwas
zu verstehen. Nur einmal hörte er: „morgen Abend." Er be-
merkte dann, wie der Page in seine Tasche griff und ein Etui
herausholte, dasselbe öffnete und den Inhalt seiner Schwester
triumphirenden Blickes unter die Nase hielt. Nach einigem
Bedenken nahm sie das Geschenk an. Herr Agricola stand wie
auf Kohlen; er hatte das Gefühl, daß er etwas sagen oder
thun müffe, allein lange Zeit marterte er sich vergebens ab,
um irgend einen Anknüpfungspunkt zu finden.
„Ich muß gestehen, ich finde es sonderbar, Herr von Spren-
kel . daß Sie hieherkommen und mit meiner Schwester conver-
siren, als wäre Niemand weiter in der Welt."
„Er hat gar nichts sonderbar zu finden, Herr Canzlist,"
erwiderte der Page hochmüthig und schlug ihn mit dem par-
fümirten Handschuh unter die-Nafe. „Uebrigcns werde ich nicht
verfehlen, meinen Onkel, den Präsidenten, von Seinem ungehö-
rigen Betragen heut Abend zu informiren."
Dem Canzlisten wich vor jähem Schrecken alles Blut aus
dem Gesichte. „Wie!" stammelte er und faltete flehend die
und Koch.
1 Hände. „Sollte ich etwas Respectwidriges gesagt haben, mein
gnädigster Herr Junker? Das ist unmöglich. Und doch, ich
bin verwirrt im Kopfe, krank. Ich bitte demüthigst und pflicht-
schuldigst um Ihre Verzeihung." Er bückte sich, als wolle er
die Hand des jungen Menschen küssen. Doch dieser drehte sich
rasch nach der Thüre. Dieselbe war offen und aus der Schwelle
stand der Mundkoch, wilde Blicke auf den ungewohnten Besuch
werfend. Der junge Herr von Sprenkel gerieth bei dem un-
vermutheten Anblick etwas außer Fassung. Zum Teufel, man
hatte ihm weißgemacht, er werde seine Bestellung ganz ungestört
ausrichten können. Ehe er noch zu irgend einem Entschlüsse
gekommen war, trat der Hausherr rasch auf ihn zu und faßte
ihn derb an der Brust.
„Was wollen Sie hier?" fragte er den Erschrocknen mit
heiserer Stimme.
Der Page sah hilfeflehend die Frau und den Canzlisten an,
doch da er merkte, daß ihm dieselbe schwerlich von zwei Salz-
säulen zu Theil werden würde, so nahm er allen Anfwand von
Würde zusammen und sagte mit feierlicher Stimme: „Lasse Er
mich los. Unglücklicher. Ich stehe hier im Namen und Auftrag
meines allergnädigsten Herrn."
„Was!" kreischte der Koch „So sag' deinem allergnädig-
sten Herrn, wenn er sich hier blicken ließe, wolle ich's ebenso
mit ihm machen, wie mit dir." Damit zog er den Pagen zur
Thüre, öffnete dieselbe und warf ihn hinaus. Ob Gabriel sich
bei dem Fluge die Flügel verstaucht habe, ist nicht bekannt ge-
worden.
Bruder Philipp zitterte am ganzen Leibe, als er seinen
„Herrn Bruder" so kräftigen Gebrauch vom Hausrecht machen
sah. Die Energie desselben schien auf ihn übergegangen zu sein,
denn als sein Schwager wieder ins Zimmer trat, rieb er sich
ganz vergnügt die Hände und sagte: „Dem haben wirs gesagt.
So ist dem frechen Jungen in seinem Leben noch nicht mitge-
spielt worden." Doch mit einemmale nahm sein Gesicht einen
sehr verschiednen Ausdruck an. Es überkam ihn plötzlich der
Jammer einer feigen Seele. Vor seinem geistigen Auge zeigten
sich in unbestimmter, aber desto drohenderer Gestalt, alle
Schrecknisse, die der kühnen That Christians nothwendig folgen
mußten. „Großer Gott, was soll das werden!" jammerte er
verzweifelt.
Auch Müller ging in bedeutender Aufregung, wie es schien,
im Zimmer umher. Er empfand nicht die mindeste Reue über
sein summarisches Verfahren; er hatte im Gegenthelle die Gewiß-
heit, daß es so hatte kommen müffen und daß es gut sei, daß
es so gekommen war. Er achtete weder auf die Worte seines
Schwagers, noch schien er es zu bemerken, daß seine Frau,
welche sich am Fenster niedergesetzt hatte, ihren Blick beständig
mit einen ängstlich zärtlichen Ausdruck auf ihm ruhen ließ und
sich ihm endlich näherte, ihre Hand auf seine Schulter legte
und ihn ftagend ansah. Er starrte zerstreut auf sie, und Caro-
line verließ mit einem Seufzer das Zimmer.
„Aber was fangen wir nun an, Herr Bruder?" zeterte Phi-
lipp und schüttelte seinen Schwager am Arm, um ihn zu sich
selbst zurückzubringen. „Nun gebt guten Rath. Ihr habt die