Münchner Ballge
Sie. „In andern Tagen glaubt' ich auch an eine solche
Blüthezeit."
Er. „Und warum nicht mehr?"
Sie. „Das Vertrauen ist dahin — ein halbes Jahr ohne
Erinnerung — ohne Wort, ohne Zeichen."
Er. „Sagten Sie nicht selbst, wenn mir etwas nützen
könne, sei es Schweigen."
Sie. „Schweigen? ja. aber wenn ich denke, wie oft ich
Sie zu sehen hoffte. da. dort, in der Stadt. auf dem Lande,
wie oft ich mit trübem Herzen heim kam — nicht gefunden,
nicht gesehen, nicht getroffen!"
Er. „Wollten Sie nicht selbst, ich solle Sie nie mehr
sehen, bis. wir uns hier wieder finden?"
Sie. „Das haben Sie mit eiserner Strenge eingehalten!
Aber sagten Sie nicht auch, wenn mich Ihre Augen nicht
mehr erreichten, sollte mich doch ein Lied erreichen?"
Er. „Wie sollte das gehen? Ich fand es schwieriger, als
ich gedacht."
Sie. „Warum denn nicht frisch in die Welt hinaus mit
Ihren Liedern? Glauben Sie. ich hält' die Deutung nicht ge-
funden?"
E r. „Ach die Welt! Da steigen Sie. liebes Fräulein, ein
Taucher hinunter in die Meerestiefe des Herzens und bringen
verathmend die Schätze herauf, die Korallen und die Perlen
und legen sie flimmernd auf den feuchten Strand. Und dann
p räche. 178
> geht der Leser vorüber und mit den Fußspitzen nachläffig
j in den Kleinodien wühlend, sagt er: Haben wir das nicht
schon gehabt? Wo sind die Meerfeien, wo ist der Kracken?"
Sie. „Vielleicht haben Sie Recht." —
Er. „Und dann zürnen Sie mir mit Unrecht." —
Sie. „Als ich Sie das erste Mal sah, da meint
ich freilich — — —"
Er. „Ja, es ist auch mein schönstes Denken jener
Frühlingsmorgen im Gebirge. Die Maiensonne lachte
so golden herunter; die süße, sehnsüchtige Lenzluft, die
Freude über die ungeahnte Begegnung, die selige Däm-
merung einer herrlichen Liebe, das ging mit mir —"
Sie. Ja, da fühlte man sich auch wie getragen ;
und schwebend über den frischen Kräutern."
Er. Und während wir die jungen Blumen nicder-
traten. glaubte ich, es sprießten andre auf in unserm
Herzen —"
Sie. „Und Sie blickten mir so treu und freundlich
in die Augen und je weiter wir kamen, desto milder
schienen mir Ihre Reden und wenn's mir zuerst gewesen,
als lache ein böser Schalk hinter Ihren Worten, so war's
mir zuletzt doch, als säh ich einen Engel winken."
Er. „Und da fielen mir auch jene Verse ein: O
du liebe, goldnc Zeit seliger Weltvergeflenheit! Will jetzt
zu nichts anderm taugen, als zu träumen Tage lang,
von dem Glanz der schönsten Augen und der weichsten
Stimme Klang."
Sie. „Das war am See —"
Er. „Und das wissen Sie auch noch, als wir Abends
den Berg erklommen hatten und Sie in lieblicher Schwär-
merei auf die Welt hinunter sahen, wie Sie endlich sagten:
Wenn ich die Sonne untergehen sehe, blutroth, da dünkt es
mir, als hänge sich alles Weh und alles blutige Mühen der
Menschen daran, die den Tag über gekeucht und fast erlegen,
da scheint sie mir wie ein herrlicher Held, der sich selbst opfern
will und alle Leiden der Welt mit sich hinunter nimmt und
ersäuft in diesem Gluthmcere. um der großen Nacht Platz zu
machen, die über Alle ihren Schleier zieht, ihre Ruhe und
ihren Frieden —"
Sie. „Die Worte haben Sie wohl gemerkt—"
Er. „Nicht nur die Worte, auch Ihren Blick in seiner
Begeisterung- Ihre wehmüthig schöne Stimme. Ihre verklärte
Gestalt — das ist mit mir gegangen unabläßig von damals
bis auf den heutigen Tag."
Sie. „So wären Sie denn doch nicht so schlimm gewesen."
Er. „Bei Ihrem Leben: Nein — und Sie?"
Sie. „Und ich? — Ich bin versöhnt."
Er. „Himmlisch! Und. da wir heute von unsrer Fehde ge-
sprochen. so laffen Sie uns nächstes Mal von unsrer Liebe reden."
Sie. „Ja. ja. von unsrer Liebe!"
Sie erheben sich; der junge Herr geht in der edelsten Laune ein-
sam zu einem Becher des besten Weines.
83»
Sie. „In andern Tagen glaubt' ich auch an eine solche
Blüthezeit."
Er. „Und warum nicht mehr?"
Sie. „Das Vertrauen ist dahin — ein halbes Jahr ohne
Erinnerung — ohne Wort, ohne Zeichen."
Er. „Sagten Sie nicht selbst, wenn mir etwas nützen
könne, sei es Schweigen."
Sie. „Schweigen? ja. aber wenn ich denke, wie oft ich
Sie zu sehen hoffte. da. dort, in der Stadt. auf dem Lande,
wie oft ich mit trübem Herzen heim kam — nicht gefunden,
nicht gesehen, nicht getroffen!"
Er. „Wollten Sie nicht selbst, ich solle Sie nie mehr
sehen, bis. wir uns hier wieder finden?"
Sie. „Das haben Sie mit eiserner Strenge eingehalten!
Aber sagten Sie nicht auch, wenn mich Ihre Augen nicht
mehr erreichten, sollte mich doch ein Lied erreichen?"
Er. „Wie sollte das gehen? Ich fand es schwieriger, als
ich gedacht."
Sie. „Warum denn nicht frisch in die Welt hinaus mit
Ihren Liedern? Glauben Sie. ich hält' die Deutung nicht ge-
funden?"
E r. „Ach die Welt! Da steigen Sie. liebes Fräulein, ein
Taucher hinunter in die Meerestiefe des Herzens und bringen
verathmend die Schätze herauf, die Korallen und die Perlen
und legen sie flimmernd auf den feuchten Strand. Und dann
p räche. 178
> geht der Leser vorüber und mit den Fußspitzen nachläffig
j in den Kleinodien wühlend, sagt er: Haben wir das nicht
schon gehabt? Wo sind die Meerfeien, wo ist der Kracken?"
Sie. „Vielleicht haben Sie Recht." —
Er. „Und dann zürnen Sie mir mit Unrecht." —
Sie. „Als ich Sie das erste Mal sah, da meint
ich freilich — — —"
Er. „Ja, es ist auch mein schönstes Denken jener
Frühlingsmorgen im Gebirge. Die Maiensonne lachte
so golden herunter; die süße, sehnsüchtige Lenzluft, die
Freude über die ungeahnte Begegnung, die selige Däm-
merung einer herrlichen Liebe, das ging mit mir —"
Sie. Ja, da fühlte man sich auch wie getragen ;
und schwebend über den frischen Kräutern."
Er. Und während wir die jungen Blumen nicder-
traten. glaubte ich, es sprießten andre auf in unserm
Herzen —"
Sie. „Und Sie blickten mir so treu und freundlich
in die Augen und je weiter wir kamen, desto milder
schienen mir Ihre Reden und wenn's mir zuerst gewesen,
als lache ein böser Schalk hinter Ihren Worten, so war's
mir zuletzt doch, als säh ich einen Engel winken."
Er. „Und da fielen mir auch jene Verse ein: O
du liebe, goldnc Zeit seliger Weltvergeflenheit! Will jetzt
zu nichts anderm taugen, als zu träumen Tage lang,
von dem Glanz der schönsten Augen und der weichsten
Stimme Klang."
Sie. „Das war am See —"
Er. „Und das wissen Sie auch noch, als wir Abends
den Berg erklommen hatten und Sie in lieblicher Schwär-
merei auf die Welt hinunter sahen, wie Sie endlich sagten:
Wenn ich die Sonne untergehen sehe, blutroth, da dünkt es
mir, als hänge sich alles Weh und alles blutige Mühen der
Menschen daran, die den Tag über gekeucht und fast erlegen,
da scheint sie mir wie ein herrlicher Held, der sich selbst opfern
will und alle Leiden der Welt mit sich hinunter nimmt und
ersäuft in diesem Gluthmcere. um der großen Nacht Platz zu
machen, die über Alle ihren Schleier zieht, ihre Ruhe und
ihren Frieden —"
Sie. „Die Worte haben Sie wohl gemerkt—"
Er. „Nicht nur die Worte, auch Ihren Blick in seiner
Begeisterung- Ihre wehmüthig schöne Stimme. Ihre verklärte
Gestalt — das ist mit mir gegangen unabläßig von damals
bis auf den heutigen Tag."
Sie. „So wären Sie denn doch nicht so schlimm gewesen."
Er. „Bei Ihrem Leben: Nein — und Sie?"
Sie. „Und ich? — Ich bin versöhnt."
Er. „Himmlisch! Und. da wir heute von unsrer Fehde ge-
sprochen. so laffen Sie uns nächstes Mal von unsrer Liebe reden."
Sie. „Ja. ja. von unsrer Liebe!"
Sie erheben sich; der junge Herr geht in der edelsten Laune ein-
sam zu einem Becher des besten Weines.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Münchner Ballgespräche"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 11.1850, Nr. 263, S. 179
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg