11
Patchouli oder des Onkels Wahn.
^ Iiemieyele begrenzten Corallenlippen mit dem melodischen
! Rythnius einer Cascade entströmte, folgende, gewiß ori-
ginelle Rede an mich: „Madonna! Ich habe in die glut-
strömende Laoa des Vesuvs mit der Eisenspitze meines treuen
j bourdons mein Faksimile eingeschrieben; ich lag im Schatten
j der Cokos-Palme, im Corallensande des Ufers, und die tätto-
> wirten Söhne Maiao's riefen mir vom Weltmeere aus ihrem
pfeilschnellen Canoe ihr gastliches „ckorranua, Jorrauna boy!“ :
grüßend herüber. Ich verlebte zwei Abende als Ehren-Pascha
j der Gesellschaft „Janitscharia" im „deutschen Hause" zu Stutt-
■ gart, und bin nicht zum Islam übergetreten; ich jagte am
j Fuße der Cordilleras von Guatemala, längs der Ufer des
! Missouri, im hohen Grase der Prärien den virginischen Hirsch
! und den flüchtigen Jaguar; ich schlürfte Lethe in dionysischer
Lust im Bockkeller zu München,*) und kam nngeblänt mit dem
geschossenen Glase von hinnen, ich durchschiffte die Fluthen
des Baal im Kajak des Eskimo's, und leerte im Angesicht des
eisigen Roskoe-Gletschers eine Blase Wallftschthran auf das
Wohl des guten Geistes Torngarsuk; ich brachte sieben Tage
(zur Zeit des Aequinootinins) als Uneingeborner in Hannover
zu, ohne mich lebensgefährlich zu ennuyiren: aber so Etwas,
wie diese Ihre „Parallelle" habe ich noch Niemals gehört,
Madonna!" — Ueberraschung, Stolz und Tiscretion ließen
*1 Dies muß eines, der neuesten Gegenwart angehörenden Kunst-
oder Nalur-Museen Münchens sein, von dessen Existenz ich bei meinem
damaligen, mehr nur cursorischen Besuche dieser Wunder-Stadt nicht
die leiseste Kunde vernahm, weßhalb mir auch der Nachsatz mit dem
„geschossenen Glase" rc. als ein dunkler terminus technicus er-
scheinen mußte. — A. d. Vers.
mich im Moment kein Wort der Erwiderung, des Dankes,
der Billigung finden; ich vermochte alles dies nur in einer
stummen, erröthenden Verbeugung dem sardonisch-lächelnden
Touristen abzutragen. Wie sehr sich aber auch die ganze Ge-
sellschaft nach der Hand efforcirte, — mit alleiniger Exception
meines Cousins Hyppolyt, dessen hellbraunes Schwärmer-Auge
mit kaum verhüllter z'alonoie auf dem feuerschwarzen Giraffen-
Auge Arthurs forschend haftete) — jenen gewissen inexpres-
siblen Ton der Conversation zu restituiren, der sich in den
glatten Schienen penibler Convenienz langsam dahinwälzt; so
blieb jeder dieser scurilen Versuche vergeblich und »ans eueres;
die Prägnanz meiner Lektüre hatte in den Seelen Aller ein
unabsehbar meditationelles Echo hervorgerufen. Ich hatte
mehr erreicht, als ich beinahe selbst erwartet hatte. Ich hatte
einen gewählten Damen-Cirkel zum Schweigen gebracht! —
Das war ein Sieg der Spezialität über die Ganzheit, ein Sieg
des Charakters über die Persönlichkeit, — und mein Manuskript
in mein prachtvoll gearbeitetes Portefeuille einlegend, sprach ich
zu mir selbst, mit dem armen Jean Jacques : „II t'ait aus«! par-
iäitement son effet!“ Doch hinweg von einer Betrachtung, deren
fernste Perspective die Richtung zum Wege alltäglicher louage
de soi-mßme anzubahnen vermöchte! — Beim Nachhansefahren !
— (die Soiröe hatte sich um so viel früher, als es projectirt !
schien, durch sich selbst und in sich selbst aufgelöst, so daß, wie !
ich später erfuhr, zwei auserlesene Collations, wahre Triumphe
der Confiturie, gar nicht mehr servirk wurden) — knöpfte sich j
Hippolyt schweigend erst seinen Frack, und hierauf seinen Liszt-
farbigen Paletot von oben bis unten zu, wand sich seinen
kirschroth- und apfelgrün-carirten Jenny-Lind Palatin ans fein-
ster Lama-Wolle dreimal um den schlanken, von einer Glet- •
schergipfelfarbigen Cravatte knapp umschlossenen Hals, fast
bis über das von einem dunkelblonden Henri quatre umwogte
Kinn hinauf; drückte sich den Hut tief in die (mehr den ab-
strakten Denker, als den agilen Beobachter verrathende) Stirne,
bis über die phantastisch-geschwungenen Augenbraunen herab;
vertauschte die sanft orange-gelben, zarten Handschuhe gegen
ein großnüthiges Paar anderer aus grauem, derben Buks-
kin, verschränkte die Arme eu eroix über die Brust, und sank
dann — seufzend in das weiche Luftkissen zurück; — er
schien zu frieren!-— Als der Wagen an meinem
Hause vorfuhr, und Sulpice bereits schon den Schlag geöff-
net hatte, preßte Hippolyt, wortlos, wie auf dem ganzen
Wege, einen gedehnten, — fast möchte ich sagen offiziellen
Kuß auf meine Hand, sprach tonlos: „Lonne nnit, Ad£le!“ ;
und fuhr, nachdem ich ausgestiegen war, — ohne weiteres
Wort nach seinem Hotel.
Hippolyt war eben auch nur eine Persönlichkeit, durch-
aus noch kein Charakter. — Als die Glocke der Kathedrale
Mitternacht verkündete, lag ich erst eine Stunde in den Armen
des gütigen Traumgottes.
(Schluß folgt.)
Patchouli oder des Onkels Wahn.
^ Iiemieyele begrenzten Corallenlippen mit dem melodischen
! Rythnius einer Cascade entströmte, folgende, gewiß ori-
ginelle Rede an mich: „Madonna! Ich habe in die glut-
strömende Laoa des Vesuvs mit der Eisenspitze meines treuen
j bourdons mein Faksimile eingeschrieben; ich lag im Schatten
j der Cokos-Palme, im Corallensande des Ufers, und die tätto-
> wirten Söhne Maiao's riefen mir vom Weltmeere aus ihrem
pfeilschnellen Canoe ihr gastliches „ckorranua, Jorrauna boy!“ :
grüßend herüber. Ich verlebte zwei Abende als Ehren-Pascha
j der Gesellschaft „Janitscharia" im „deutschen Hause" zu Stutt-
■ gart, und bin nicht zum Islam übergetreten; ich jagte am
j Fuße der Cordilleras von Guatemala, längs der Ufer des
! Missouri, im hohen Grase der Prärien den virginischen Hirsch
! und den flüchtigen Jaguar; ich schlürfte Lethe in dionysischer
Lust im Bockkeller zu München,*) und kam nngeblänt mit dem
geschossenen Glase von hinnen, ich durchschiffte die Fluthen
des Baal im Kajak des Eskimo's, und leerte im Angesicht des
eisigen Roskoe-Gletschers eine Blase Wallftschthran auf das
Wohl des guten Geistes Torngarsuk; ich brachte sieben Tage
(zur Zeit des Aequinootinins) als Uneingeborner in Hannover
zu, ohne mich lebensgefährlich zu ennuyiren: aber so Etwas,
wie diese Ihre „Parallelle" habe ich noch Niemals gehört,
Madonna!" — Ueberraschung, Stolz und Tiscretion ließen
*1 Dies muß eines, der neuesten Gegenwart angehörenden Kunst-
oder Nalur-Museen Münchens sein, von dessen Existenz ich bei meinem
damaligen, mehr nur cursorischen Besuche dieser Wunder-Stadt nicht
die leiseste Kunde vernahm, weßhalb mir auch der Nachsatz mit dem
„geschossenen Glase" rc. als ein dunkler terminus technicus er-
scheinen mußte. — A. d. Vers.
mich im Moment kein Wort der Erwiderung, des Dankes,
der Billigung finden; ich vermochte alles dies nur in einer
stummen, erröthenden Verbeugung dem sardonisch-lächelnden
Touristen abzutragen. Wie sehr sich aber auch die ganze Ge-
sellschaft nach der Hand efforcirte, — mit alleiniger Exception
meines Cousins Hyppolyt, dessen hellbraunes Schwärmer-Auge
mit kaum verhüllter z'alonoie auf dem feuerschwarzen Giraffen-
Auge Arthurs forschend haftete) — jenen gewissen inexpres-
siblen Ton der Conversation zu restituiren, der sich in den
glatten Schienen penibler Convenienz langsam dahinwälzt; so
blieb jeder dieser scurilen Versuche vergeblich und »ans eueres;
die Prägnanz meiner Lektüre hatte in den Seelen Aller ein
unabsehbar meditationelles Echo hervorgerufen. Ich hatte
mehr erreicht, als ich beinahe selbst erwartet hatte. Ich hatte
einen gewählten Damen-Cirkel zum Schweigen gebracht! —
Das war ein Sieg der Spezialität über die Ganzheit, ein Sieg
des Charakters über die Persönlichkeit, — und mein Manuskript
in mein prachtvoll gearbeitetes Portefeuille einlegend, sprach ich
zu mir selbst, mit dem armen Jean Jacques : „II t'ait aus«! par-
iäitement son effet!“ Doch hinweg von einer Betrachtung, deren
fernste Perspective die Richtung zum Wege alltäglicher louage
de soi-mßme anzubahnen vermöchte! — Beim Nachhansefahren !
— (die Soiröe hatte sich um so viel früher, als es projectirt !
schien, durch sich selbst und in sich selbst aufgelöst, so daß, wie !
ich später erfuhr, zwei auserlesene Collations, wahre Triumphe
der Confiturie, gar nicht mehr servirk wurden) — knöpfte sich j
Hippolyt schweigend erst seinen Frack, und hierauf seinen Liszt-
farbigen Paletot von oben bis unten zu, wand sich seinen
kirschroth- und apfelgrün-carirten Jenny-Lind Palatin ans fein-
ster Lama-Wolle dreimal um den schlanken, von einer Glet- •
schergipfelfarbigen Cravatte knapp umschlossenen Hals, fast
bis über das von einem dunkelblonden Henri quatre umwogte
Kinn hinauf; drückte sich den Hut tief in die (mehr den ab-
strakten Denker, als den agilen Beobachter verrathende) Stirne,
bis über die phantastisch-geschwungenen Augenbraunen herab;
vertauschte die sanft orange-gelben, zarten Handschuhe gegen
ein großnüthiges Paar anderer aus grauem, derben Buks-
kin, verschränkte die Arme eu eroix über die Brust, und sank
dann — seufzend in das weiche Luftkissen zurück; — er
schien zu frieren!-— Als der Wagen an meinem
Hause vorfuhr, und Sulpice bereits schon den Schlag geöff-
net hatte, preßte Hippolyt, wortlos, wie auf dem ganzen
Wege, einen gedehnten, — fast möchte ich sagen offiziellen
Kuß auf meine Hand, sprach tonlos: „Lonne nnit, Ad£le!“ ;
und fuhr, nachdem ich ausgestiegen war, — ohne weiteres
Wort nach seinem Hotel.
Hippolyt war eben auch nur eine Persönlichkeit, durch-
aus noch kein Charakter. — Als die Glocke der Kathedrale
Mitternacht verkündete, lag ich erst eine Stunde in den Armen
des gütigen Traumgottes.
(Schluß folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Patchouli oder des Onkels Wahn"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 15.1852, Nr. 338, S. 11
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg